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BB 2018, I
Kübler 

Milliarden-Bußgeld gegen Google – ein Gigant im Alltag des EU-Kartellrechts

Abbildung 1

Ein “Rekord”-Bußgeld von mehr als 4,34 Mrd. Euro erregt Aufsehen. Zumal, wenn es sich wie bei dem im Juli dieses Jahres verhängten nicht um das erste Bußgeld jenseits der Milliardengrenze gegen das gleiche Unternehmen handelt: Google hatte schon im Juni 2017 ein zu diesem Zeitpunkt “Rekord”-Bußgeld in Höhe von mehr als 2,42 Mrd. Euro – ebenfalls wegen des Missbrauchs von Marktmacht – kassiert. Es wird darüber sinniert, ob das Verhalten von Google tatsächlich wettbewerbsschädigend und nach dem EU-Kartellrecht verboten, ein Bußgeld in dieser Höhe übermäßig und die Entscheidung der EU-Kommission vielleicht sogar politisch motiviert ist.

Der kartellrechtliche Vorwurf des Missbrauchs von Marktmacht im jetzt bebußten “Android”-Fall ergibt sich nach Auffassung der EU-Kommission unter anderem daraus, dass Google Hersteller von Smartphones dazu verpflichtet, die Google-Suche und den Browser Google Chrome auf ihren Geräten vorzuinstallieren, und finanzielle Vorteile dafür gewährt, dass ausschließlich die Google-Suche vorinstalliert wird. Zudem habe Google die Einführung von Smartphones mit Abwandlungen seines Android-Betriebssystems behindert. Ziel der Maßnahmen von Google sei, die bereits bestehende marktbeherrschende Stellung hinsichtlich seiner Suchmaschine weiter zu festigen bzw. auszubauen. Zu diesem Zweck habe Google seine marktbeherrschende Stellung im Bereich Betriebssysteme für Smartphones eingesetzt, um die Hersteller von Smartphones zu den genannten (exklusiven) Vorinstallationen zu bringen. Für Wettbewerber hinsichtlich Suchmaschinen, Browsern und Betriebssystemen werde es dadurch deutlich schwieriger, mit Google in Konkurrenz zu treten. Dass derartige Koppelungspraktiken wegen ihrer marktabschottenden Wirkung als kartellrechtswidrig angesehen werden, ist ebenso fester Bestandteil der Entscheidungspraxis der EU-Kommission wie das Verbot, für die exklusive Nutzung eines marktbeherrschenden Produkts finanzielle Vorteile zu gewähren und Wettbewerber bei der Entwicklung von konkurrierenden Produkten zu behindern. Kartellrechtliches Neuland hat die Kommission mit dem Android-Bußgeld gegen Google nicht betreten.

Das wirtschaftliche Ausmaß des Bußgelds ist absolut betrachtet enorm. Bei genauer Betrachtung bewegt es sich aber zumindest im nachvollziehbaren Bereich der Strafen, die die EU-Kommission im Zusammenhang mit Kartellrechtsverstößen verhängt: Sie hat sich selbst im Jahr 2006 Leitlinien zur Berechnung von Geldbußen gesetzt, die zwar keine exakte Vorabberechnung von Bußgeldern durch Dritte ermöglichen, da auch nicht absolut quantifizierbare Elemente wie “schärfende” und “mildernde” Faktoren die Bußgeldhöhe mitbestimmen. Wichtigste Ausgangs-Messgröße sind aber die Umsätze, die das betroffene Unternehmen im Zusammenhang mit dem gegen das Kartellrecht verstoßenden Verhalten erzielt hat. Im Fall Google Android waren diese Umsätze besonders hoch – entsprechend bewegt sich auch das verhängte Bußgeld in “Rekordhöhe”. Wird ein Unternehmen mehrmals von der EU-Kommission wegen Verstößen gegen die Wettbewerbsregeln sanktioniert, wird das Bußgeld – auch das ergibt sich aus den Bußgeld-Leitlinien – wegen Wiederholungstäterschaft erhöht. Das auf den ersten Blick zweifellos exorbitant klingende Bußgeld relativiert sich vor diesem Hintergrund. Alphabet, Googles Muttergesellschaft, hat immerhin im 2. Quartal 2018 Umsatzerlöse von mehr als 32 Mrd. US-Dollar und trotz des Bußgelds einen Nettogewinn von mehr als 3 Mrd. US-Dollar erwirtschaftet.

Dass hinter der Entscheidung eine politische Motivation stehen könnte, ist für Kartellrechtler fernliegend. Dennoch hat der amtierende US-amerikanische Präsident der EU Protektionismus vorgeworfen: Die Wettbewerbskommissarin missbrauche das Kartellrecht, um eines der besonders erfolgreichen amerikanischen Unternehmen in Europa zu schwächen. Anders herum betrachtet könnte man die Frage stellen, ob nicht ein gewisser Protektionismus aufseiten der US-amerikanischen Kartellwächter vorliegt, die das Marktgebaren von Google bisher nicht ernsthaft in Frage gestellt haben. Die Agenda von Margrethe Vestager ist eine völlig andere. Sie hat sich die Bekämpfung wettbewerbsschädigender Verhaltensweisen von Unternehmen auf die Fahnen geschrieben und verfolgt dieses Ziel ohne Rücksicht auf die Herkunft von Unternehmen oder politische Befindlichkeiten. Dass es mit Microsoft, Intel, Qualcomm und Google in den letzten Jahren verschiedene große US-Konzerne mit hohen Bußgeldern getroffen hat, dürfte an der derzeitigen US-amerikanischen Innovationsführerschaft in der IT- und Digitalwirtschaft liegen. Bußgelder im Bereich Industrieunternehmen dagegen haben in den letzten Jahren wesentlich mehr europäische – und insbesondere deutsche – Konzerne getroffen.

Man muss nicht mit der EU-Kommission einer Meinung sein über die Auslegung und Anwendung des Kartellrechts, aber sowohl das Vorgehen gegen Google als auch die Höhe des verhängten Bußgelds fügen sich nahtlos in den Alltag des EU-Kartellrechts, d. h. in die – insgesamt in den letzten Jahren freilich intensivierten – Aktivitäten der EU-Kommission bei der für das Funktionieren des Binnenmarktes essenziellen Bekämpfung von Wettbewerbsbeschränkungen. Diesen Weg wird sie ohne Zweifel unbeirrt weitergehen. Es ist also sicher: There is more to come!

Dr. Johanna Kübler, RAin, ist Gründungsmitglied von Commeo LLP. Sie berät nationale und internationale Mandanten in allen Fragen des deutschen und europäischen Kartellrechts.

 
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