Prima Klima oder dicke Luft – was unverbindliche Leitlinien der Europäischen Kommission an Überraschungen für die Unternehmensberichterstattung bergen
Am 20.6.2019 erschien im Amtsblatt der Europäischen Union (EU) eine Mitteilung der Europäischen Kommission: Auf 30 Seiten legte diese einen Nachtrag zur klimabezogenen Berichterstattung vor, um den die zwei Jahre zuvor veröffentlichten unverbindlichen Leitlinien für die Berichterstattung über nichtfinanzielle Informationen nun ergänzt wurden. Zugegeben: Die Veröffentlichung hat als solche nun nicht gerade das Potenzial zum Aufstieg in die Spiegel-Bestsellerliste, ist aber vielleicht gerade deshalb eines eingehenderen Blicks würdig.
Im öffentlichen Interesse stehende Unternehmen müssen seit nunmehr zwei Jahren über bestimmte nicht-finanzielle Informationen Bericht erstatten (sog. CSR-Bericht über die soziale Verantwortung von Unternehmen). Dazu gehören Angaben zur Wahrung der Menschenrechte, zur Korruptionsbekämpfung sowie zu Sozial-, Arbeitnehmer- und eben auch zu Umweltbelangen. Das ist zweifelsohne alles spannend . . . aber würden Sie derartige Informationen im Finanzbericht eines Unternehmens vermuten? Auf den ersten Blick mag man geneigt sein, hier mit Nein zu antworten. Das Deutsche Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC) hatte sich mit seinem Standard DRS 20 zur Konzernlageberichterstattung zu dieser Frage schon vor einigen Jahren geäußert: Wenn ein nichtfinanzieller Aspekt eine wesentliche Auswirkung auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage eines Unternehmens haben kann, dann ist dieses gehalten, darüber zu berichten. Und viele Unternehmen tun dies auch, typischerweise im Rahmen der Risikoberichterstattung. Alles kalter Kaffee also? Nun ja, offensichtlich nicht für alle.
Die 2014 verabschiedete und gute zwei Jahre später in deutsches Recht umgesetzte CSR-Richtlinie unterscheidet sich in zwei Belangen deutlich von der deutschen Berichtsnorm: Zum einen legt der europäische Normengeber fest, über welche Aspekte in welchem Detaillierungsgrad zu berichten ist. Ungewöhnlich für Liebhaber der Finanzberichterstattung ist dabei der Umstand, dass eine Berichterstattung in Form einer Negativanzeige selbst dann geboten ist, wenn ein Aspekt keine wesentliche Bedeutung für das Unternehmen besitzt. Ob das ein sinnvoller Beitrag zur Beschränkung auf das wirklich Wichtige ist, darf bezweifelt werden. Die eigentliche Neuerung kommt aber in Form der sog. doppelten Materialität daher: Zu berichten haben Unternehmen nämlich nicht nur dann, wenn ein Aspekt einen wesentlichen Einfluss auf das Unternehmen haben kann, sondern auch dann, wenn das Handeln des Unternehmens einen wesentlichen Einfluss auf dessen Umwelt besitzt.
Dass gerade der zweite Punkt in Deutschland bislang weitgehend ignoriert wurde, liegt an einer sprachlichen Unsauberkeit der Richtlinie, die wortgetreu in deutsches Recht übernommen wurde: Der Normengeber sieht eine Angabepflicht dann, wenn ein Aspekt für das Verständnis des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses, der Lage des Unternehmens sowie der Auswirkungen seiner Tätigkeit erforderlich ist. Das “sowie” kann man nämlich kumulativ oder alternativ verstehen. Im ersten Fall wäre eine Berichtspflicht nur dann gegeben, wenn ein nichtfinanzieller Aspekt gleichermaßen von Belang für das Unternehmen wie für die Gesellschaft ist (und-Verknüpfung), im zweiten Fall reicht es, wenn entweder die Unternehmenssphäre oder die Gesellschaft betroffen ist (oder-Verknüpfung). Auch wenn vieles dafürspricht, dass eigentlich nur die zweite Lesart gemeint sein kann, weil Unternehmen ansonsten gar hinter das Berichtsniveau von DRS 20 zurückfallen würden, scheint eine Klarstellung geboten. Und diese Klarstellung haben wir mit der eingangs genannten Mitteilung der Europäischen Kommission nun bekommen. Hätten Sie das vermutet? Merke: Nicht überall, wo Klima draufsteht, ist auch (nur) Klima drin.
So gänzlich unerwartet kommt die Klarstellung nicht, zumal man den Text außerhalb Deutschlands bereits weitläufig in dieser Weise verstanden hat. Was aber befremdlich daherkommt, ist der Umstand, dass eine derart bedeutende Aussage über unverbindliche Leitlinien bewirkt wird. Die kann man zur Kenntnis nehmen, kann es aber auch sein lassen. Sind ja schließlich unverbindlich. Aber so richtig dann eben doch nicht. Denn was als Hilfestellung für Rat suchende Anwender verbrämt wird, ist im Grunde genommen eine unverhohlene Drohung: Sollten sich Unternehmen uneinsichtig zeigen, ist der weitere Weg einer Nachschärfung der CSR-Richtlinie bereits vorgezeichnet – Goethes Erlkönig kommt einem in den Sinn: “Und bist Du nicht willig, so brauch ich Gewalt”.
Ach ja: Die restlichen 29 Seiten sollen nicht unerwähnt bleiben. Hier tobt sich die Kommission mit unzähligen Vorgaben – pardon: gutgemeinten Hinweisen – zur klimabezogenen Berichterstattung so richtig aus. Ob das wirklich ein sachdienlicher Beitrag zur Bewältigung des Klimawandels ist, mag bezweifelt werden. Zumindest produziert er viel dicke Luft und erhitzte Gemüter. Und die sind dem Klima ganz sicher nicht zuträglich.
Prof. Dr. Andreas Barckow ist Präsident des Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee e. V. (DRSC) und Vizepräsident des Board der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG). Der Beitrag stellt seine persönliche Meinung dar.