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BB 2011, 1
Scheunemann, Marc P. 

Sanierungsklausel vor dem EuG - ein Sanierungsfall für den Gesetzgeber!?

Unternehmenssanierung

Steuerliche Regelungen stehen im Spannungsverhältnis zum europäischen Beihilferecht und rücken verstärkt ins Visier der Europäischen Kommission. Nachdem die Europäische Kommission im Jahr 2009 die im MoRaKG vom 12.8.2008 vorgesehene Sonderregelung für den Erwerb von Anteilen durch Wagnisbeteiligungsgesellschaften als eine unzulässige Beihilfe eingestuft hatte, stand die mit Wirkung zum 1.1.2008 eingeführte Sanierungsklausel in § 8c Abs. 1a KStG auf dem beihilferechtlichen Prüfstand. Nach dieser Vorschrift kann in bestimmten Sanierungsfällen trotz eines an sich schädlichen Beteiligungserwerbs ein Verlustvortrag erhalten bleiben.

Mit Beschluss vom 26.1.2011 hat die Europäische Kommission entschieden, dass die Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG eine unzulässige Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt. Die Europäische Kommission bewertet die Sanierungsklausel als eine Regelung, die Unternehmen in Schwierigkeiten einen selektiven Vorteil gewähren würde. Nach der Auffassung der Europäischen Kommission schließe das deutsche Unternehmenssteuerrecht in § 8c Abs. 1 KStG generell einen Verlustvortrag ganz oder teilweise aus, sobald ein relevanter Beteiligungserwerb vorliege. Die Sanierungsklausel bilde zu diesem Referenzsystem eine Ausnahme, wobei die unterschiedliche Behandlung von sanierungsbedürftigen und nicht sanierungsbedürftigen Körperschaften nicht zu rechtfertigen sei.

Das von der Europäischen Kommission gewählte Referenzsystem ist zu kurzsichtig. Dem deutschen Ertragsteuerrecht liegt als Ausfluss des verfassungsrechtlich begründeten objektiven Nettoprinzips der Grundsatz der nicht begrenzten interperiodischen Verlustverrechnung zugrunde. Regelungen wie § 8c Abs. 1 KStG, die die Verlustverrechnung begrenzen, stellen systematisch eine Ausnahme von diesem Grundsatz dar. Die Sanierungsklausel in § 8c Abs. 1a KStG ist wiederum eine Rückausnahme, die den allgemeinen Grundsatz der interperiodischen Verlustverrechnung wiederherstellt. Bei dieser systematischen Betrachtung fügt sich die Sanierungsklausel gerade in das Referenzsystem ein und ist damit nicht selektiv.

Gegen die Entscheidung der Europäischen Kommission hat die Bundesregierung am 7.4.2011 eine Nichtigkeitsklage vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) erhoben. Sollte der EuG bzw. der letztinstanzlich zuständige EuGH der Klage stattgeben, hätte die rückwirkende Nichtigkeitserklärung der Kommissionsentscheidung für die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2010 zur Folge, dass die Sanierungsklausel wieder angewendet werden könnte. Bei einem Scheitern bliebe es aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts bei der Nichtanwendung der Sanierungsklausel. Für Veranlagungszeiträume ab 2011 soll nach einem Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 6.5.2011 § 8c Abs. 1a KStG ohnehin aufgehoben werden. Von der ursprünglich noch im Referentenentwurf vorgesehenen rückwirkenden Aufhebung wurde im Hinblick auf die anhängige Klage beim EuG abgesehen.

Die Nichtigkeitsklage der Bundesregierung hat keine aufschiebende Wirkung. Deutschland ist nach dem europäischen Beihilferecht verpflichtet, gewährte Beihilfen zuzüglich Zinsen zurückzufordern. Soweit die Sanierungsklausel zu einem Erhalt von Verlustvorträgen geführt hat, sind Körperschaft- und Gewerbesteuerbescheide rückwirkend zu ändern. Insoweit besteht kein Vertrauensschutz. Dies gilt selbst dann, wenn einem Steuerpflichtigen eine verbindliche Auskunft zur Anwendung der Sanierungsklausel erteilt worden ist.

Der Koalitionsvertrag der Regierungsparteien sieht vor, eine Neustrukturierung der Regelungen zur Verlustberücksichtigung zu prüfen. Die Verlustabzugsbeschränkung nach § 8c Abs. 1 KStG behindert den sinnvollen Einstieg von neuen Investoren, da wegen des ganzen oder teilweisen Wegfalls von Verlustvorträgen und eines fehlenden Steuerminderungspotentials Investitionen oftmals unrentabel werden. Auch vor dem Hintergrund des beihilferechtlichen Damoklesschwertes ist es nun an der Zeit, den gesamten § 8c KStG auf den Prüfstand zu stellen und den Anwendungsbereich auf echte Missbrauchsfälle zu beschränken.

Neben den Vorschriften zur Verlustnutzung kann die steuerliche Behandlung von Sanierungsgewinnen infolge eines Forderungsverzichts eine Sanierungsbremse sein. Der Sanierungserlass vom 27.3.2003, der unter bestimmten Voraussetzungen die Stundung bzw. den Erlass von Sanierungsgewinnen vorsieht, erweist sich in der Praxis oftmals als schwer handhabbar. Zudem besteht durch das Urteil des FG München vom 12.12.2007 (1 K 4487/06), wonach der Sanierungserlass mangels gesetzlicher Grundlage rechtswidrig sein soll, bis zu einer Entscheidung in dem Revisionsverfahren (VIII R 2/08) eine Rechtsunsicherheit.

Wegen der unbefriedigenden steuerlichen Rahmenbedingen für Sanierungen hat der Bundesrat mit Stellungnahme vom 15.4.2011 eine Bitte zur Prüfung gestellt, ob der Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) durch entsprechende Regelungen im Steuerrecht ergänzt werden kann. Dies wäre mehr als zu begrüßen. Sowohl im Fall der Sanierungsklausel als auch beim Sanierungserlass zeigt sich wieder, dass das deutsche Unternehmenssteuerecht ein Sanierungsfall ist.

Dr. Marc P. Scheunemann, LL.M., RA/FAStR/StB, ist Partner im Bereich Steuerrecht im Düsseldorfer Büro von Clifford Chance. Er berät Unternehmen, Eigenkapital- sowie Fremdkapitalinvestoren bei steueroptimierten Strukturierungen, Akquisitionen und Finanzierungen. Darüber hinaus begleitet er Betriebsprüfungen sowie Finanzgerichtsverfahren.
 
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