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BB 2011, 1
Rieble, Volker 

Straftäterfürsorge durch arbeitsgerichtlichen Vergleich

Arbeitsstrafrecht

Neulich vor dem Arbeitsgericht. Verhandelt wurde die außerordentliche Kündigung eines Verkäufers mit drei Jahren Betriebszugehörigkeit, der der Münchner Schickeria noble Produkte verkaufen sollte, dabei aber doch in die eigene Tasche gewirtschaftet hatte. So hatte der Verkäufer Gutscheine aus Marketing-Aktionen verbotswidrig auf sich übergeleitet, also Phantomempfänger eingetragen und die Gutscheine dann selbst eingelöst oder auch den Kassenaccount einer Kollegin genutzt. Schaden: zwischen einigen hundert und einigen tausend Euro.

Der Fall ist an sich banal. Klare Straftat und Vermögensschädigung durch solche Selbstbedienung. Keine "Bagatelle". Interessant ist dagegen die Handhabung. Der Anwalt des gekündigten Klägers erscheint unvorbereitet. Das Gericht weist erwartbar auf die Unwägbarkeiten der Interessenabwägung insbesondere seit der Emme-Entscheidung hin. In der Tat droht dem Arbeitgeber zuerst das Annahmeverzugsentgelt für ein bis drei Jahre. Eine risikomindernde vorläufige Prozessbeschäftigung kommt bei Straftätern nicht in Betracht, weil der Arbeitgeber damit der von ihm selbst behaupteten Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung widerspricht. Hinzu kommt neuerdings der aufsummierte Urlaubsanspruch für mehrere Jahre; es ist ja klar, dass ein Gekündigter sich von den Strapazen des Prozesses erholen muss. Kurz: Der Arbeitgeber will den Kandidaten loswerden; der Kündigungsschutzprozess wird auch bei klaren Sachverhalten gezielt hochriskant gehalten, "weil es ja keine absoluten Kündigungsgründe gibt". Also hier: Beendigung gegen eine niedrige Abfindung von nur 3000 € - in Form eines Abwicklungsvergleichs, der die Kündigung bestätigt.

Die Richterin fragt sodann, welche Kündigung man protokollieren solle. Schnell einigt man sich auf eine betriebsbedingte Kündigung; so wird jede Sperrzeit gewiss vermieden. Ach ja: Ein Zeugnis mit "guter Note" wird dann auch noch vereinbart. Dabei weist die Richterin fürsorglich darauf hin, dass das Geforderte "sehr gut" eher kontraproduktiv sei.

Eine klassische Win-win-win-Situation. Alle gewinnen: Der Arbeitgeber wird einen Straftäter los, der sein Schadenspotential künftig bei Konkurrenten austoben kann. 3000 € Betriebsausgabe sind nicht weiter schlimm. Der Arbeitgeber erspart den Kolleginnen des Verkäufers dessen erwartbare Verschwörungstheorien: Dass nämlich sie ihm Taten untergeschoben hätten und dergleichen mehr. Die Richterin gewinnt, weil sie kein Urteil schreiben muss, eine Erledigung hat und an diesem Nachmittag noch andere Dinge erledigen kann. Auch muss sie sich nicht "schlecht fühlen", weil sie durch eine Klagabweisung einen Arbeitsplatzverlust zu verantworten hätte. Rechtsfrieden durch Tatsachenkosmetik, "Fallenlassen von Vorwürfen". Der sozial schutzbedürftige Arbeitnehmer selbst kassiert die Abfindung und zur Überbrückung bis zum nächsten Elster-Einsatz beim nächsten Arbeitgeber auch noch Arbeitslosengeld. So viel soziale Gerechtigkeit war selten.

Für die beiden Anwälte ist es auch schön: Wenn man nämlich weiß, dass wirklich fast alles, auch das Unzumutbare und Unvergleichbare dann doch verglichen wird, dann muss man in die Prozessführung wenig Mühe stecken. Für den Arbeitnehmeranwalt genügt der ganz kurze Klagschriftsatz. Der Arbeitgeberanwalt muss ein wenig zum Kündigungsgrund vortragen. Der Rest ist Verhandlungsgeschick und schnell verdientes Geld.

Wenn alle Beteiligten gewinnen, dann zahlen andere die Zeche: Für die Betriebe wird es mittelfristig zum Problem, wenn Diebe auch noch abkassieren und am Ende sich derjenige "dumm fühlt", der ehrlich seine Arbeit verrichtet. Ob solche Großzügigkeit mit den Compliance-Pflichten des Arbeitgebers vereinbar ist, ist erst zu fragen. Beschädigt wird die Allgemeinheit - in zwei Stufen: Einmal der Beitragszahler zur Arbeitslosenversicherung, weil sich diese womöglich durch Vorlage des Abwicklungsvergleichs über die "betriebsbedingte" Kündigung davon abhalten lässt, eine Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III zu verhängen. Zum anderen der nächste Arbeitgeber, der auf das "gute" Zeugnis hereinfällt und womöglich nächstes Opfer dieses resozialisierungsbedürftigen Straftäters wird.

Mittelfristig drohen andere Schäden: Ein massiver Ansehensverlust der Arbeitsgerichte, wenn deren sozialingenieurhafte Fürsorge letztlich auf Beihilfe zur Sozialleistungserschleichung hinausläuft und dies bekannt wird. Welcher Arbeitsrichter glaubt noch an die eigene Amtsautorität, wenn er selbst die Rechtsordnung durch Beihilfe zum Sozialbetrug und zum Einstellungsbetrug (Zeugnis) beschädigt? Und welcher Anwalt glaubt, dass die Parteiherrschaft über den Streitgegenstand und das Recht, "erhobene Vorwürfe fallen zu lassen", wirklich die Protokollierung einer betriebsbedingten Kündigung deckt, wenn eine solche nie ausgesprochen und nie Streitgegenstand eines Kündigungsschutzprozesses gewesen ist?

Zweitens bedeutet diese - mir von Anwälten als gängig bestätigte Praxis - eine ziemliche Entwertung von richterlich protokollierten Vergleichen, aber auch der Arbeitszeugnisse, auf die wirklich niemand mehr etwas geben kann. Wer jemanden wegen eines guten Zeugnisses einstellt, hat also entweder einen guten Mitarbeiter vor sich - oder aber einen ausgewachsenen Schadbären.

Schuld an solchen Auswüchsen ist allein das unvorhersagbare Kündigungsrecht in seiner Ausformung gerade durch die Arbeitsgerichtsbarkeit, welches eine maximale Rechtsunschärfe verbindet mit einem hohen Rechtsrisiko - und damit den Arbeitgeber letztlich erpressbar macht.

Prof. Dr. Volker Rieble, seit 2004 Inhaber des Lehrstuhles für Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Direktor des Zentrums für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht (ZAAR) an der LMU. Mehr als 400 meist arbeitsrechtliche Veröffentlichungen, darunter der Standardkommentar von Löwisch/Rieble zum Tarifvertragsgesetz.
 
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