Verlustuntergang nach § 8c KStG – Wünsche zum (nächsten) Fest
§ 8c KStG wurde im März diesen Jahres vom BVerfG mit einem “Paukenschlag” für teilweise verfassungswidrig erklärt. Das BVerfG hat dem Gesetzgeber dabei aufgegeben, bis Ende 2018 rückwirkend für einen verfassungskonformen Zustand zu sorgen. Dies betrifft explizit nur die pro-rata-Variante, in der bei einem schädlichen Anteilseignerwechsel zwischen 25 % und 50 % die Verluste der Kapitalgesellschaft anteilig untergehen. Ausdrücklich offengelassen hat das BVerfG, ob die Erwägungen zur Verfassungswidrigkeit auch für die “Fallbeil”-Variante (vollständiger Verlustuntergang bei Anteilsübertragung von mehr als 50 %) gelten. Darüber ist seitdem viel gemutmaßt worden.
In die laufende Umsetzungsfrist platzt nun eine erneute Vorlage zu § 8c KStG. Das FG Hamburg, das bereits den pro-rata-Fall nach Karlsruhe brachte, hat dem BVerfG jetzt mit Beschluss vom 29.8.2017 eine Konstellation zur Entscheidung vorgelegt, in der mehr als die Hälfte der Anteile übertragen wurden.
Der an “Höhepunkten” nicht armen Historie des § 8c KStG wird damit eine weitere (und sicher nicht letzte) Episode hinzugefügt. Kurz zum Rekapitulieren: § 8c KStG ersetzte 2008 die als gestaltungs- und streitanfällig erachtete Mantelkaufregelung in § 8 Abs. 4 KStG. Bereits kurz darauf in der Finanzkrise offenbarte § 8c KStG seinen ganzen Schrecken. Der Gesetzgeber besserte nach; erst mit der Sanierungsausnahme, dann mit der Konzern- und Stille-Reserven-Klausel. Die Sanierungsausnahme liegt derzeit unter Beihilfeverdacht beim EuGH. Hier sollte man – nach allem, was man so zu Sanierungen und Beihilfe hört – wohl eher nicht zu optimistisch sein. Die Konzern- und Stille-Reserven-Klauseln wurden schon mehrfacht nachgebessert und vom BVerfG obiter dictum dennoch für ungeeignet empfunden, § 8c KStG die Verfassungswidrigkeit zu nehmen. Nachdem eine Bereichsausnahme für Start-ups bereits früh als verbotene Beihilfen gescheitert war, wurde eine solche nun mit der neuen Figur des sog. fortführungsgebundenen Verlustvortrags (§ 8d KStG) faktisch eingeführt. Faktisch, da gerade gewachsene Unternehmensstrukturen kaum davon profitieren dürften. Dennoch ruht auf dieser viel zu engen Sonderregelung nun die ganze Hoffnung derer, die das bestehende Konzept mit letzter Kraft in die Verfassungskonformität retten wollen.
Diese Hoffnung hat mit dem jüngsten Vorlagebeschluss des FG Hamburg nun einen weiteren Dämpfer erlitten. Das Finanzgericht lässt überhaupt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Begründung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit des pro-rata-Falls auch dann – ja sogar “letztlich noch verstärkt”, wie es das FG Hamburg explizit formuliert – gilt, wenn mehr als 50 % der Anteile über- und die Verluste damit vollständig untergehen.
Damit haben die Richterinnen und Richter aus Hamburg nach meinem Dafürhalten den Nagel auf den Kopf getroffen. Eine Kapitalgesellschaft hat ihre eigene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die von der Gesellschafterebene zu trennen ist. Vorgänge auf Anteilseignerebene können für sich allein genommen auch keinen Missbrauch indizieren. Eine Kapitalgesellschaft ist ertragsteuerlich nun einmal gerade nicht transparent. Deswegen verbietet sich eine semi-transparente Regelung, die Verluste bei Anteilseignerwechseln anteilig untergehen lässt. Und erst recht verbietet sich eine Regelung, die noch nicht einmal die Transparenz folgerichtig “durchzieht”, sondern die Verluste ab einer Übertragung von 50,01 % der Anteile vollständig (und nicht nur anteilig) vernichtet.
Nach der jetzigen BVerfG-Vorlage besteht eine bemerkenswerte Gemengelage. Das FG Hamburg hat einmal mehr den Takt vorgegeben und ist möglicherweise dem BFH zuvor gekommen, der seine ruhend gestellten 8c-Fälle nach der BVerfG-Entscheidung gar nicht so schnell wieder aufnehmen konnte. Befürchtungen, dass die zu erwartenden gesetzgeberischen Aktivitäten die Finanzgerichte von einer Vorlage abhalten könnten, haben sich zum Glück nicht bewahrheitet. Der momentan nicht handlungsfähige Gesetzgeber steht unter Zeitdruck. Bis Ende 2018 muss eine verfassungskonforme Neuregelung des pro-rata-Falls her, sonst fällt die Vorschrift nach der klaren Ansage des BVerfG jedenfalls bis einschließlich 2015 ersatzlos weg (die Finanzverwaltung wird die BVerfG-Entscheidung bis dahin in geringstmöglichem Umfang – nämlich nur für unmittelbare pro-rata-Erwerbe vor 2016 – anwenden). Für die Ausgestaltung einer verfassungskonformen Neuregelung wäre es für den Gesetzgeber sicher hilfreich, die Position des EuGH zur Sanierungsklausel und des BVerfG zur “Fallbeil”-Variante zu kennen. Rechtzeitige Guidance aus Karlsruhe ist aber wohl nicht realistisch, es sei denn, das BVerfG sähe sich durch seinen selbst gesteckten Zeitrahmen in die Pflicht genommen, beispiellos schnell zu entscheiden. Darauf sollte der Gesetzgeber jedoch nicht vertrauen – und er muss es auch nicht. § 8c KStG ist bereits jetzt derart angeschossen, dass sich minimalinvasive Lösungen verbieten. Verlustvorträge per se zeitlich zu limitieren, muss im Interesse des Wirtschaftsstandorts Deutschland ausscheiden. Eine rückwirkende Anwendung des verunglückten und beihilfeverdächtigen § 8d KStG ist auch keine Lösung, sondern schafft auf unbestimmte Zeit neue Probleme, ohne den Verfassungsverstoß zu heilen. Wie sollte der Gesetzgeber also reagieren?
Die Vorweihnachtszeit ist ja bekanntlich die Zeit der (frommen) Wünsche. Manchmal gehen diese auch erst später in Erfüllung. Das BVerfG hat dem Gesetzgeber eine “harte” Frist bis zum Ende des nächsten Jahres gesetzt. Wenn der Gesetzgeber seine Arbeit wieder aufnimmt, gibt es wahrscheinlich zunächst wichtigere Projekte. Dennoch (und auch das würde den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken): Spätestens zu Weihnachten 2018 wünsche ich mir zum Thema Verluste bei Anteilseignerwechsel ein neues Gesamtkonzept, das sich wieder zielgerichtet gegen missbräuchliche Mantelkäufe richtet und den Gesellschaften im Übrigen ihre Verlustvorträge belässt.
Dr. Markus Ernst, LL.M. (NYU), ist als Rechtsanwalt und Steuerberater bei Hengeler Mueller, Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, in München/Frankfurt a. M. tätig. Er berät zu steuerlichen Fragestellungen bei Transaktionen, Umstrukturierungen, Finanzierungen, Betriebsprüfungen und streitigen Verfahren. Einen Schwerpunkt bildet die Begleitung von Finanzinstituten bei steuer-getriebenen internen Ermittlungen.