Vermeidung von Unternehmensinsolvenzen – die Krise vom Anfang her denken
Ein professioneller Beirat bedeutet wirksame Prophylaxe
Bei der Zahl der Insolvenzen in Deutschland ist im Jahr 2023 laut Creditreform ein Anstieg um 23 % auf insgesamt 18 100 betroffene Unternehmen zu verzeichnen (Creditreform, PM vom 4.12.2023, abrufbar unter www.creditreform.de, Abruf: 23.5.2024). Deutschlands Wirtschaft schwächelt aus unterschiedlichen Gründen. Doch Unternehmenskrisen sind nicht allein auf eine schlechte Konjunktur oder die durch die Politik gesetzten Rahmenbedingungen zurückzuführen. Der Weg in die Krise beginnt meistens vor der eigenen Haustür – oder in den eigenen Reihen. Das gilt nicht nur für Konzerne, sondern auch für den familiengeführten Mittelstand. Wie Creditreform berichtet, stieg die Zahl der Insolvenzen im Mittelstand 2023 bei Unternehmen zwischen 51 und 250 Beschäftigten sogar um rund 76 % (Creditreform, a. a. O.).
Die Erfahrung zeigt, dass Krisen “nicht vom Himmel fallen”, sondern eine Vorgeschichte haben. “Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben”, sagte der frühere sowjetische Parteichef Michail Gorbatschow. Mein Rat an Unternehmer lautet daher: “Komm nicht zu spät”. Denn Krisen bauen sich auf. Aus meiner Sicht sind es mehrere kritische Phasen, die ein Unternehmen durchläuft, bis die unausweichliche Insolvenz das Ende besiegelt. Grundsätzlich kennen wir es alle aus der Theorie: Es beginnt mit der Stakeholder-Krise. Dann folgen die Strategiekrise, die Produktions- und Absatzkrise, die Ertragskrise und schließlich als letzte Phase die Liquiditätskrise. Je weiter die Phasen voranschreiten bzw. je schneller sie aufeinander folgen, umso größer wird einerseits der Handlungsdruck für das Unternehmen, umso geringer jedoch andererseits der Handlungsspielraum.
Die Stakeholder-Krise bietet den größten Handlungsspielraum – und hat verschiedene Ursachen. Es geht dabei um Menschen mit Bezug zum Unternehmen. Das sind bei einem inhabergeführten Unternehmen beispielsweise die Familie, die Gesellschafter und der Beirat, darüber hinaus Mitarbeiter, Betriebsrat, Banken sowie Lieferanten und nicht zuletzt die Kunden und das Meinungsklima in den Medien vor Ort bzw. im Markt. Gravierende Folgen kann die Zusammensetzung der Lenkungs- und Kontrollgremien, wie Beirat oder Gesellschafterversammlung, haben. Ein Beirat muss hochprofessionell sein, und ich empfehle jedem Unternehmer, bei der Zusammensetzung auf Expertise und Unabhängigkeit der Mitglieder zu achten statt auf “Stallgeruch” und Familienbande.
Ein Beispiel aus der Praxis: Der 70-jährige Inhaber und Geschäftsführer eines mittelständischen Zulieferbetriebs der Bauindustrie etablierte einen Beirat mit dem Ziel, das Unternehmen, das er in zweiter Generation führte, weiterhin in Familienbesitz zu belassen. So weit, so richtig. Allerdings signalisierten ihm seine Kinder, dass sie an der Rolle des Unternehmers kein Interesse hatten. Hier zahlte sich der professionelle Beirat aus. Auf sein Anraten hin entschied sich der Unternehmer daraufhin, seine Firma schon zu Lebzeiten zu verkaufen. Und: Der Beirat war eine wichtige Unterstützung im Verkaufsprozess, der rund zwei Jahre in Anspruch nahm.
Das Learning daraus lautet: Mit Hilfe des Beirats wurde geklärt, dass sich die Familie nicht als künftiger Unternehmer sieht, woraus die richtigen Schlüsse für das Unternehmen gezogen wurden. Diese Selbsterkenntnis sicherte Handlungsspielraum für den genannten Verkaufsprozess.
Unternehmer sollten die Krise vom Anfang her denken. Ein professioneller Beirat bedeutet wirksame Prophylaxe. Versehen mit starken, unabhängigen Persönlichkeiten ist er ein wichtiges Instrument für die Unternehmensführung zwischen operativem Management und der Gesellschafterversammlung. Denn die Gesellschafter sind – je nach Verteilung der Unternehmensanteile – unterschiedlich am Unternehmen interessiert. Ist man eher Investor – mit wenig Anteilen – oder Unternehmer – mit mehr Anteilen? Aus den unterschiedlichen Interessenlagen heraus erfolgt die Erwartungshaltung als Eigentümer, die gemanagt werden muss.
Mindestens die Hälfte der Beiratsmitglieder sollte familienunabhängig sein. Der Vorsitzende sollte ein ausgewiesener Fachmann sein – und nicht “Everybody's Darling”. Die Etablierung eines Beirats muss wie ein Projekt durchgeführt werden. Es geht um klare Ziele, Rollen und Zuständigkeiten. In der Regel handelt es sich dabei um eine einmalige Aktion für Unternehmer und Unternehmen. Doch um diese Entscheidung auch professionell umzusetzen, rate ich dazu, Experten heranzuziehen. Das können Unternehmensberater, Personalberater oder Rechtsanwälte sein. Sorgfalt bei der Etablierung dieses wichtigen Gremiums zahlt sich aus, etwa in der Strategiekrise.
Um dafür ein Beispiel zu nennen: Digitalisierung und Onlinehandel haben dem klassischen Haushaltswarengeschäft arg zugesetzt. Der stationäre Fachhandel ist in der Fläche nahezu verschwunden. Die Notwendigkeit, neue digitale Vertriebskanäle zu nutzen, hat sich in unterschiedlichem Tempo durchgesetzt. Einige Player haben neben eigenen Läden früh auch digitale Plattformen gestartet. Allerdings müssen Unternehmen aus der Branche bei einer strategischen Neuausrichtung auch genau darauf achten, wer sie am Ende sein wollen. Ein Haushaltswarenhersteller hat seinen Wert durch die Qualität der Produkte, die er produziert. Er ist kein E-Commerce-Anbieter, sondern nutzt nur professionell diesen Vertriebskanal. Um in diesem Punkt strategische Klarheit zu schaffen, ist auch hier ein professioneller Beirat mit breiter Expertise, Unabhängigkeit und Commitment hilfreich. Er ist Dreh- und Angelpunkt für erfolgreiche Veränderung.
Daher: Komm nicht zu spät!
Ralf Strehlau ist seit 2017 Präsident des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberatungen (BDU). Vor zwanzig Jahren gründete er nach langjähriger Tätigkeit für Consultingunternehmen die ANXO Management Consulting GmbH mit Sitz in Frankfurt a. M. Als deren Geschäftsführender Gesellschafter gehören zu seinen Beratungsschwerpunkten Unternehmensstrategien, Restrukturierungen, Change Management sowie Marketing und Digitalisierung.