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BB 2020, I
Graewe 

Wir brauchen einen Legal Expert im Aufsichtsrat!

Abbildung 1

Kaum ging die Anzahl an Zeitungsberichten über die Gründe des Zusammenbruchs des einstigen deutschen Vorzeige-FinTechs Wirecard zurück, überschlug man sich in der Fachpresse mit guten Ratschlägen. Die Causa Wirecard und ihre Lehren für die Corporate Governance: Dualistisches Modell abschaffen, höhere Strafrahmen, Compliance Management-Systeme in das Aktiengesetz aufnehmen, Auftragsvergabe der Abschlussprüfung durch öffentliche Stellen, eidesstattliche Versicherungen der Vorstände usw. Die Diskussion darüber hat gerade erst begonnen und wir werden sicherlich einige Änderungen erleben, die insbesondere den Abschlussprüfer und seine Rolle im Unternehmen betreffen werden – und das ist auch gut so. Bei all dem Aktivismus sollten wir aber auch im Hinterkopf behalten, dass unsere Rechtsordnung niemals den planerisch handelnden, wirtschaftskriminellen Täter frühzeitig oder gar präventiv wird aufhalten können. Das ist allerdings auch nicht ihre Aufgabe und daher sollte man auch bereits den Anschein vermeiden, dies könne gelingen, reformiere man das Recht nur gründlich genug.

Hierbei auch einen Hebel bei der Corporate Governance anzusetzen, ist sicher nicht völlig verkehrt, wobei allerdings überrascht, dass von einer einfachen Maßnahme in der Literatur gar nichts zu lesen ist: der verpflichtenden Besetzungsregel eines “Legal Experts” im Aufsichtsrat. Gem. § 100 Abs. 5 AktG muss mindestens ein Mitglied des Aufsichtsrats über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen – der Financial Expert. Das sind insbesondere Wirtschaftsprüfer und Steuerberater sowie sonstige Fachkräfte aus den Bereichen Rechnungswesen und Controlling. Ursprünglich durch das BilMoG im Jahr 2009 eingeführt, gilt diese Vorgabe inzwischen nicht mehr nur für kapitalmarktorientierte Gesellschaften (§ 264d HGB), sondern seit dem AReG aus dem Jahr 2016 darüber hinaus auch für Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen, die den Kapitalmarkt nicht in Anspruch nehmen, insgesamt damit für “Unternehmen von öffentlichem Interesse” (Public Interest Entities, PIE). Diese gesetzliche Besetzungsregel soll die Qualität der Überwachung des Aufsichtsrats und dessen Professionalisierung sicherstellen. Ob dies bislang seinen Zweck erfüllt hat, soll an dieser Stelle einmal dahinstehen.

Wenn die jüngsten Unternehmensskandale in Deutschland aber eines gezeigt haben, dann dass im Aufsichtsrat auch das Bedürfnis nach einem unabhängigen “Legal Expert” besteht. Nicht nur, weil die rechtlichen Rahmenbedingungen immer komplexer werden – man denke nur an Digitalisierung und Compliance – sondern auch, um in Sondersituationen schnell die notwendige fachliche Expertise im Kontrollorgan an der Hand zu haben, sei es in Unternehmenskrisen, bei Transaktionen oder auch nur im operativen Geschäft. Letzteres ist auch deswegen zunehmend wichtig, weil jedes Unternehmen heute durch aktive Aktionäre und eine wirtschaftskritische Öffentlichkeit schnell in nachteilige Situationen geraten kann. Dazu kommt der Umstand, dass kaum noch ein größeres Unternehmen ein dediziertes Vorstandsressort für Recht & Integrität unterhält. Meist ist dies als Annex dem Personalressort angeschlossen, ohne dass das entsprechende Vorstandsmitglied auch über juristische Expertise verfügen würde. Dabei ist regelkonformes Verhalten und die Kompetenz, das einschätzen und überwachen zu können, heute wichtiger denn je.

Bei Vorständen ist dieses Thema schon lange ganz oben auf der Agenda. Denn sie müssen gem. § 93 Abs. 1 S. 1 und 2 AktG bei der Geschäftsleitung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anwenden. Eine Pflichtverletzung liegt dabei nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Dies kennen wir als sog. “Business Judgment Rule”. Voraussetzung des Ausschlusses einer solchen Erfolgshaftung ist dabei, dass das Handeln des Vorstands regelkonform war. Die aus Vorstandsdienstvertrag, Satzung und Geschäftsordnung resultierenden Pflichten wird das durchschnittliche Vorstandsmitglied noch erfassen können. Schwieriger wird es schon bei der Frage, ob auch alle Vorschriften unserer immer komplexer werdenden Rechtsordnung eingehalten wurden.

Kann dabei der Vorstand grundsätzlich auf die Einschätzung seiner Rechtsabteilung vertrauen, so fehlt dem Aufsichtsrat bei seiner täglichen Arbeit diese schnelle und qualifizierte Unterstützung und er muss sich der zeit- und kostenintensiven Unterstützung externer Berater bedienen, wenn er über den notwendigen Sachverstand nicht selbst verfügt. Das kann aber wiederum nicht Ziel eines effektiv und effizient arbeitenden Beratungs- und Kontrollorgans sein; eine Erkenntnis, die man bei der Einführung des Financial Experts bereits umgesetzt hatte. Es ist nun an der Zeit, diesen Gedanken konsequent weiterzudenken und endlich auch einen Legal Expert als verpflichtende Besetzungsregelung für den Aufsichtsrat einzuführen. Das wäre zum einen ein rechtspolitisches Signal, mit dem man auf die Compliance-Probleme bekannter deutscher Unternehmen in der jüngeren Geschichte reagieren könnte, und zum anderen ein Schritt hin in Richtung einer weiteren Professionalisierung des Aufsichtsrats, die dringend geboten ist.

Prof. Dr. Daniel Graewe, LL.M., ist Rechtsanwalt und Direktor des Instituts für angewandtes Wirtschaftsrecht an der Nordakademie Hochschule der Wirtschaft in Hamburg. Er arbeitet schwerpunktmäßig im Bürgerlichen Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht einschließlich M&A und im Recht der Non-Profit-Organisationen. Graewe ist Mitherausgeber der neu in der dfv Mediengruppe, Fachbereich Recht und Wirtschaft, erscheinenden Fachzeitschrift zum Thema Restrukturierung und Interimsmanagement “Der Sanierungsberater”.

 
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