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BB 2023, I
Stahlschmidt 

Überlegungen zum Tax-Compliance-System

Abbildung 1

Tax-Compliance-System ist zwingend einzurichten!

Der Begriff “Compliance” wird allgemein definiert als die Einhaltung interner und externer Vorschriften. Aus der Sicht von GmbH-Geschäftsführern und AG-Vorständen ist wegen § 43 GmbHG und § 91 AktG die Einrichtung eines solchen Systems essenziell, damit zivilrechtliche Haftungsansprüche aber auch strafrechtliche Verfolgung abgewehrt werden können. Die Einrichtung eines Compliance-Systems bietet die Chance, Unternehmensprozesse neu zu bewerten und Strukturen zu überprüfen. Insoweit schafft ein Compliance-System einen echten Mehrwert.

Wie sieht es aber nun bei einem Tax-Compliance-System aus? Als Teilsystem eines Compliance-Systems soll die Einhaltung steuerlicher Pflichten eines Unternehmens gewährleistet werden. Damit einher geht die Vermeidung von Haftungs- und Strafrisiken. Ein Tax-Compliance-System soll die Strukturen, Arbeitsabläufe und Sachverhalte in einem Unternehmen, die steuerrechtlichen Bezug aufweisen, identifizieren und so für steuerrechtlich korrektes Verhalten und Handeln sorgen. Dadurch wird auch für steuerrechtliche Sachverhalte sensibilisiert. Das Ziel liegt auf der Hand: die Vermeidung von Steuernachzahlungen und Haftungstatbeständen für das Unternehmen und persönliche strafrechtliche Konsequenzen für Unternehmensangehörige, gleich welche Stellung sie im Unternehmen bekleiden. Pflichtwidriges Verhalten soll, falls vorhanden, abgestellt werden bzw. erst keine Chance haben.

Wie schauen Gesetzgeber und Finanzverwaltung auf das Thema? Mit § 38 AO, Erprobung alternativer Prüfungsmethoden, hat der Gesetzgeber eine Vorschrift geschaffen, die die Möglichkeit eröffnet, bei einer Folgebetriebsprüfung nicht vollumfänglich, sondern nur punktuell zu prüfen. Voraussetzung ist die Feststellung der Wirksamkeit eines Steuerkontrollsystems in einer Außenprüfung. Insoweit deutet der Gesetzgeber einen Bonus für ein Tax-Compliance-System an. Allerdings enthält die Vorschrift viele unbestimmte Rechtsbegriffe. Abzuwarten bleibt daher, wie sich der Anwendungsbereich entwickeln wird. § 38 Abs. 2 AO verlangt als Voraussetzung die zutreffende Aufzeichnung der Besteuerungsgrundlagen und die fristgerechte und vollständige Abführung der Steuern. Beides ist durch innerbetriebliche Maßnahmen sicherzustellen. Die steuerlichen Risiken sind laufend abzubilden. Diese Voraussetzungen zeigen, dass es nicht damit getan ist, einmal ein Tax-Compliance-System einzuführen. Verlangt wird kein statisches, sondern ein “atmendes” System, welches eine ständige Weiterentwicklung gewährleistet.

Das ist für Unternehmen eine neue Herangehensweise. Aus den Entwicklungen im Bereich der Betriebsprüfung zeigt sich, ein solches System für Unternehmen ist zwingend geboten. Während in früheren Jahren, auch als sog. “alte Welt” bezeichnet, Fehler im Rahmen einer Betriebsprüfung besprochen und erledigt wurden, führen Fehler heute zur Kriminalisierung. Die Einleitung von Steuerstrafverfahren ist die Folge. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Zum einen haben Auswüchse der sog. Steuergestaltung dazu geführt, dass immer kritischer auf Steuergestaltungsmodelle geschaut wird. An “Panama Papers”, “Luxemburg-Leaks” und “Cum-Ex” sei erinnert. Infolgedessen blieb der europäische und nationale Gesetzgeber nicht untätig und verschärfte die Regeln für die Abgrenzung von Steuervermeidung und Steuerhinterziehung. Die Rechtsprechung tat ihr übriges hinzu. Auf das obiter dictum des BGH zur Wertgrenze des Merkmals “in großem Ausmaß” bei der Steuerhinterziehung sei verwiesen. Auch die untergerichtliche Rechtsprechung war nicht untätig. Sie sieht bei Beamten der Finanzbehörde, einschließlich der Außenprüfer, eine gesetzlich begründete Garantenstellung, die dazu führt, dass dieser Personenkreis an der Strafverfolgung von Steuerstraftaten mitwirken muss. Wird bei einem Anfangsverdacht kein Steuerstrafverfahren eingeleitet, so kommt eine eigene Straftat wegen Strafvereitelung durch Unterlassen, ggf. als Versuch, in Betracht. Daher ist es nicht verwunderlich, dass heute die Einleitung von Steuerstrafverfahren aufgrund von Fehlern, die in einer Betriebsprüfung zu Tage treten, regelmäßiger die Folge ist, als die Ausnahme. Dies führt bei betroffenen Unternehmen selbstverständlich zu vielfältigen Konsequenzen. Diese reichen von der Festsetzung von Bußgeldern gegen das Unternehmen, Geld- oder Freiheitsstrafen für die an der Tat beteiligten Personen, sei es durch aktives Tun oder aber auch durch Unterlassen. Letzteres ist für Geschäftsführer und Vorstände von juristischen Personen ein Problem. Da dieser Personenkreis als Organ kraft Gesetzes verpflichtet ist, Gesetzesverstöße zu vermeiden. Hier kommt nun das Tax-Compliance-System ins Spiel. Zweck eines solchen Systems ist selbstverständlich in strafrechtlicher Hinsicht nachzuweisen, dass dem gesetzlichen Gebot des gesetzestreuen Verhaltens nachgekommen wird. Insoweit stellt sich nicht mehr die Frage, ob ein Tax-Compliance-System eingerichtet werden sollte, sondern wie das optimale Tax-Compliance-System für ein Unternehmen aussieht.

Allerdings lässt sich ein Tax-Compliance-System nicht ohne Einbettung in das Gesamt-Compliance-System betrachten. Unternehmen müssen sich daher über die Compliance-Kultur und insbesondere über die Tax-Compliance-Kultur klar werden. Welche Werte will das Unternehmen verfolgen. Welche Ziele sollen erreicht werden. Damit einher geht die Fragestellung nach dem optimalen Aufbau der Compliance-Organisation. Ein zentraler Punkt ist selbstverständlich auch die Ermittlung der konkreten Compliance-Risiken und die Lösungsansätze, mit denen diese Risiken beherrschbar gemacht werden sollen. Geklärt werden muss die Kommunikation und die fortlaufende Überwachung und Verbesserung des Systems. An diesen Kurzausführungen zeigt sich, dass die Einrichtung und Befolgung eines Tax-Compliance-Systems eine anspruchsvolle Unternehmensaufgabe ist. Bleibt zu hoffen, dass die Finanzverwaltung durch entsprechende wohlwollende Feststellungen die Einrichtung eines derartigen Systems i. S. d. § 38 AO goutiert.

Prof. Dr. iur. Michael Stahlschmidt lehrt an der FHDW Paderborn Steuerrecht, Rechnungswesen, Controlling und Compliance und ist Ressortleiter Steuerrecht des Betriebs-Berater und Chefredakteur Der SteuerBerater.

 
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