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BBM 2021, 12
Steigerwald/Wiesenecker 

Corona-Regeln seit Juli 2021

Mit dem Sinken der Inzidenzwerte endete zum 1. Juli 2021 die Pflicht für Unternehmen, ihren Beschäftigten Homeoffice anzubieten.

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Bis zum 30. Juni 2021 galt für Unternehmen nach dem Infektionsschutzgesetz („Bundesnotbremse“) und der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (Corona-Arbeitsschutzverordnung) Folgendes: Den Beschäftigten musste – von Ausnahmen abgesehen – angeboten werden, ihre Tätigkeit aus dem Homeoffice heraus auszuüben. Die Beschäftigten selbst wiederum mussten ein solches Angebot annehmen.

Mit Auslaufen der Bundesnotbremse seit dem 1. Juli gilt nur noch ein eingeschränkter Pflichtenkreis:

  1. Regelmäßige Durchführung einer Gefahrdungsbeurteilung

  2. Erarbeitung eines Hygienekonzepts anhand der Gefährdungsbeurteilung

  3. Sicherstellung der Kontaktreduktion

  4. Kostenfreies Testangebot (zweimal pro Woche)

Arbeitsrechtlich stellen sich im Wesentlichen drei praktische Fragen:

  1. Besteht ein Recht auf Homeoffice?

  2. Hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der Umsetzung der Corona-Arbeitsschutzverordnung?

  3. Und: Kann der Betriebsrat die Rückkehr aus dem Homeoffice sogar verhindern?

1. KEIN RECHT AUF HOMEOFFICE

Im Grundsatz hat ein Arbeitnehmer kein Recht auf Homeoffice, es sei denn, dies ist vertraglich vereinbart.

Weder aus der Neufassung der Corona-Arbeitsschutzverordnung noch aus dem neu eingeführten § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG ergibt sich ein erzwingbares Recht zur Einführung von Homeoffice. Ein grundsätzliches Recht auf Homeoffice besteht somit jedenfalls so lange nicht, solange sich der Referentenentwurf zum mobilen Arbeiten nicht durchgesetzt hat.

Wurden Arbeitnehmer während der „Bundesnotbremse“ im Homeoffice beschäftigt, ist aus jetziger Sicht zu unterscheiden:

  • Sofern die Anordnung oder Duldung von Homeoffice in Umsetzung der Rechtslage erfolgte, hat sich das Arbeitsverhältnis nicht verändert. Die Umsetzung einer gesetzlichen Pflicht begründet keinen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf Homeoffice (BAG, Urt. v. 19.2.2020 – 5 AZR 189/18).

  • Wurde Homeoffice darüber hinaus angeboten oder geduldet, kann dies zur betrieblichen Übung geworden sein. Eine betriebliche Übung ist für jeden Gegenstand vorstellbar, der arbeitsvertraglich in einer so allgemeinen Form geregelt werden kann (BAG, Urt. v. 26.1.2005 – 10 AZR 215/04), wenn eine gleichartige, wiederholte Praktizierung eines bestimmten Verhaltens des Arbeitgebers vorliegt. Wenn der Arbeitgeber nur einzelnen Arbeitnehmern oder unregelmäßig die Arbeit im Homeoffice gestattet, fehlt der kollektive Bezug (BAG, Urt. v. 11.4.2006 – 9 AZR 500/05).

  • Kommuniziert der Arbeitgeber, dass das Arbeiten im Homeoffice weiterhin gestattet ist, kann ein Vertrauenstatbestand geschaffen werden. Lässt der Arbeitgeber – ohne eine ausdrückliche Gestattung – die Arbeitnehmer selbst entscheiden, kann eine

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betriebliche Übung ebenfalls entstehen (BAG, Urt. v. 11.4.2006 – 9 AZR 500/05). Ob eine betriebliche Übung entstanden ist, ist im Einzelfall zu bewerten.

2. MITBESTIMMUNGSRECHT DES BETRIEBSRATS BEI DER UMSETZUNG DER CORONA-ARBSCHVO

Ob der Betriebsrat bei der Umsetzung der Corona-ArbSchVO mitzubestimmen hat, kommt auf den Einzelfall an. Der Grundsatz lautet, dass immer dann nicht mitzubestimmen ist, wenn sich die Umsetzung ausschließlich auf die in Gesetz oder Verordnung vorgegebenen Maßnahmen beschränkt (BAG, Urt. v. 15.1.2002 – 1 ABR 13/01).

Im Einzelnen gilt:

  • Abstandsregelungen: Wenn es bei den bisherigen 1,50 Meter bleibt und keine anderen Maßnahmen getroffen werden, entsteht wohl auch kein neues Mitbestimmungsrecht.

  • Gefährdungsbeurteilung: Eine Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung besteht nach §§ 5 und 6 ArbSchG. Ob zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind, ist allein vom Arbeitgeber zu beurteilen. Einzig die Ausgestaltung und Durchführung der Gefährdungsbeurteilung unterliegt der Mitbestimmung. Ist keine Neuerung erforderlich, besteht auch kein Mitbestimmungsrecht. Ein Initiativrecht hat der Betriebsrat nur, wenn eine neue Gefährdung vorliegt und neue Schutzmaßnahmen i.S.d. § 3 ArbSchG festgelegt werden.

  • Betriebliches Hygienekonzept: Setzt der Arbeitgeber keine zusätzliche Maßnahme um, besteht keine Mitbestimmung. Hat der Arbeitgeber bereits ein mitbestimmtes Hygienekonzept im Betrieb und will das beibehalten oder es galt befristet, dann besteht kein Initiativrecht des Betriebsrats. Der Betriebsrat kann daher nicht mehr Freiheiten für die Arbeitnehmer durchsetzen, wenn der Arbeitgeber sich damit nicht befassen will. Gleiches gilt für Maßnahmen in den Pausenbereichen und Pausenzeiten.

  • Medizinische Gesichtsmasken: Wenn eine Gefährdung besteht und der Arbeitgeber das Tragen eines medizinischen Mund-Nasen-Schutzes bei der Gefährdungsbeurteilung für erforderlich hält und diesen zur Verfügung stellt, bleibt kein Raum für Mitbestimmung. Der Betriebsrat kann nicht weniger einschneidende Maßnahmen erzwingen. Nur bei der Ausgestaltung der Maskenverteilung kommt ein Mitbestimmungsrecht in Betracht.

  • Corona-Tests: Es verhält sich hier gleich zu den medizinischen Gesichtsmasken. Das ändert sich, sobald der Arbeitgeber verpflichtend anordnen will, ob, wann und durch wen Tests durchzuführen sind und welche Folgen sich aus dem Test ergeben. Will der Arbeitgeber ohne Tests gleichwertigen Schutz herstellen, ist der Betriebsrat bei der Festlegung anderer geeigneter Schutzmaßnahmen mit einzubeziehen.

  • Kontaktreduktion im Betrieb: Auch hier stellt sich die Frage, ob eine neue Gefährdungslage vorliegt und eine Anpassung der Maßnahme notwendig ist. Wird ein mitbestimmtes Konzept fortgeführt, bleibt kaum Raum für neue Mitbestimmung.

3. VERHINDERUNG DER RÜCKKEHR AUS DEM HOMEOFFICE?

Die Folgefrage ist, ob der Betriebsrat verhindern kann, dass die Belegschaft in den Betrieb zurückkehrt?

In der ersten Welle hatten das ein paar Gerichte bejaht: Das ArbG Neumünster (28.4.2020 – 4 BVGa 3a/20) sowie das ArbG Berlin (27.4.2020 – 46 AR 50030/20) oder das ArbG Stuttgart (28.4.2020 – 3 BVGa 7/20) hatten wegen der hohen Inzidenzwerte vom März 2020 argumentiert, es bestehe eine akute Gefährdungslage, die der Mitbestimmung unterworfen sei. Eine abrupte Rückkehr aus dem Homeoffice in die damals ungeimpfte Gefährdungslage sei untersagt, wenn zuvor mit dem Betriebsrat keine Einigung getroffen wurde. Als Begründung wurde angeführt, dass das hohe Infektionsrisiko eine hohe Gefährdung widerspiegle und deshalb eine Handlungspflicht des Arbeitgebers bestehe.

Das wird man heute anders sehen müssen: Eine grundlegende Unterscheidung besteht darin, dass nach dem Gesetzgeberwillen die Pflicht, Homeoffice zu ermöglichen, weggefallen ist. Auch liegt die „unmittelbare Infektionsgefahr“ bei den derzeitigen Inzidenzen nicht vor. Hinzu kommen eine hohe Impfquote und Öffnungen allenthalben. Eine Einschränkung der Grundrechte der Unternehmer aus Art. 14 GG und der Freiheit der Arbeitnehmer ist nicht gerechtfertigt. Daher kann der Betriebsrat nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG verlangen, die Mitarbeiter erst bei Vorliegen eines abgesprochenen Gesundheitskonzepts zu beschäftigen.

4. FAZIT

Solange die Inzidenzen nicht steigen, kann der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer in den Betrieb zurückzurufen und die geltenden Regeln fortsetzen. Bis zu einer möglichen weiteren Welle werden weder Betriebsrat noch Arbeitnehmer dies verhindern können. Ob dauerhaft eine Regelung zum Gesundheitsschutz und Hygieneschutz gleichwohl in „guten Zeiten“ verhandelt werden sollte oder man auf den Druck der nächsten Krise setzt, kann wohl nicht allgemeingültig beantwortet werden.

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Autor:in

Verena Steigerwald

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Praxisgruppe „Arbeitsrecht“ GvW Graf von Westphalen Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaft mbB, Frankfurt

Dr. Philipp Wiesenecker

Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner GvW Graf von Westphalen Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaft mbB, Frankfurt

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