Freizügigkeit für Unternehmerfamilien durch Familienstiftungen
Die neue Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG stellt eine übermäßig einschränkende und volkswirtschaftlich schädliche Beschränkung dar. Es wird faktisch verhindert, im Ausland zu arbeiten, weil die in Unternehmensanteilen verkörperten stillen Reserven auch bei nur temporärem Wegzug besteuert werden.
Familienunternehmen stehen in Deutschland für mehr als die Hälfte der Wirtschaftsleistung und Beschäftigung. Sie bedürfen eines pfleglichen Umgangs, auch durch den Steuergesetzgeber. Aus diesem Grund hat das Bundesverfassungsgericht in seiner letzten Erbschaftsteuerentscheidung (1 BvL 21/12) eine Privilegierung von Familienunternehmen als sachlich begründet angesehen. Um Familienunternehmen aus Sicht von gut ausgebildeten, international orientierten jungen (angehenden) Unternehmern für eine Fortführung attraktiv zu machen, werden diesen häufig schon in jungen Jahren Beteiligungen an dem Familienunternehmen geschenkt, damit sie nicht den Eindruck gewinnen, als „Gründer“ hätten sie im Verbund mit Venture-Capital-Investoren attraktivere unternehmerische Chancen.
Diese jüngere Unternehmergeneration muss die erfolgreichen Unternehmen im Weltmarkt positionieren. Hierzu sind intime Kenntnisse großer ausländischer Märkte erforderlich, die zuverlässig nur durch eigene Auslandstätigkeiten erworben werden können. Nur so gelangen diese „future leaders“ in die relevanten internationalen Beziehungsnetzwerke der globalen Elite und können Innovationschancen schon in Frühphasen erkennen und wahrnehmen.
WEGZUGSBESTEUERUNG
Die Wegzugsbesteuerung, die der deutsche Steuergesetzgeber im Rahmen des ATAD-Umsetzungsgesetzes in § 6 AStG neu geregelt hat, passt nicht zu diesen Notwendigkeiten. Während § 6 Abs. 5 S. 1 AStG bis 2021 bei Umzügen innerhalb des EU/EWR-Raums eine zinslose Stundung ohne Sicherheitsleistung anordnete und (wenigstens) bei Umzügen im europäischen Wirtschaftsraum die Freiheit der Wohnsitznahme und die Arbeitnehmerfreizügigkeit effektiv gewährte, ist dies durch die Neuregelung abgeschafft. Der Wegziehende muss – selbst bei Rückkehrabsicht – die Steuer bis zur Rückkehr in sieben gleichen unverzinslichen Jahresraten (§ 6 Abs. 4 S. 1, 4 AStG-neu) entrichten und in der Regel eine Sicherheitsleistung (§ 241 AO) erbringen. Angesichts des Umstandes, dass infolge unentgeltlicher Erwerbe die Anschaffungskosten der Unternehmensanteile oft minimal sind und diese regelmäßig nicht belastet
Entsprechendes gilt in Fällen des ausbildungsbedingten temporären Umzuges in die USA oder in den asiatischen Raum. Bis zur Neuregelung ließ sich für solche Umzüge oftmals mit dem Finanzamt vereinbaren, dass die Steuer entweder wegen der belegten Rückkehrabsicht vorläufig (§ 165 AO) nicht festgesetzt wird, so dass der Entfall der Steuer bei tatsächlicher Rückkehr dazu führte, dass kein Aufwand (auch nicht für eine Unternehmensbewertung) produziert wurde, oder jedenfalls, dass es zu einer (im Ergebnis zinslosen) vollständigen Stundung ohne Sicherheitsleistung (§ 6 Abs. 4 AStG bis 2021) kam, vgl. Tz. 6.4 AEAStG, und die Steuer mit der Rückkehr entfiel. Diese Freiheit ist vom Gesetzgeber faktisch abgeschafft, wenn er jetzt in § 6 Abs. 4 AStG-neu allgemein die Zahlung der Steuer in sieben Jahresraten und die Anforderung einer Sicherheitsleistung anordnet. Der spätere Entfall der Steuer ist kein Trost, weil die für einen üblichen drei- bis fünfjährigen Aufenthalt fällig werdenden Raten (über 10 Prozent des Beteiligungswertes) das freie Vermögen des Juniors regelmäßig weit übersteigen.
HANDLUNGSBEDARF
Um das Unternehmen im Wettbewerb nicht zurückfallen zu lassen, besteht nunmehr gesteigerter Handlungsbedarf. Die bislang praktizierte Schenkung von Beteiligungen am Familienunternehmen gehört auf den Prüfstand. Das Halten der „eigenen“ Beteiligung zur Herstellung eines Näheverhältnisses zwischen Juniorengeneration und Unternehmen kann – wenn der Junior die neu geregelten Steuerfolgen sieht und sich damit an den Standort Deutschland gefesselt fühlt – in eine offene Ablehnung umschlagen. Kann dies – und wenn ja, wie – verhindert werden?
FAMILIENSTIFTUNG ALS FREIHEITSGEWINN
Anstelle des Haltens der Unternehmensbeteiligung durch die Unternehmerfamilie kann es sich anbieten, die Unternehmensbeteiligung in einer in- oder ausländischen Familienstiftung zu halten und den Mitgliedern der Unternehmerfamilie eine Begünstigtenstellung in diesen Stiftungen einzuräumen. Dies ist gerade bei ausländischen Familienstiftungen zwar ein weniger ausgeprägtes Näheverhältnis, die Begünstigung kann aber so ausgestaltet werden, dass sich die Tätigkeit im Unternehmen, beispielsweise durch eine erhöhte Begünstigungsquote, „lohnt“. Darüber hinaus ist bei einer ausländischen Familienstiftung oftmals erforderlich, zur Vermeidung der Wegzugsbesteuerung zwischen das in Rechtsform einer Kapitalgesellschaft organisierte Familienunternehmen und die Familienstiftung eine inländische gewerbliche Personengesellschaft, die von der Familie geführt wird und unternehmerische Leistungen erbringt, einzuführen. Dies kann ebenfalls eine besondere Nähe zwischen der Juniorengeneration und dem Unternehmen herbeiführen.
Die Übertragung der Beteiligung auf die Familienstiftung kann nach Maßgabe des geltenden Erbschaftsteuerrechts oftmals steuerbegünstigt durchgeführt werden, weil viele Unternehmer von der erbschaftsteuerlichen Befreiung nach § 13a Abs. 10 (oder § 28a) ErbStG profitieren können. Werden die Anteile am Familienunternehmen so in eine Stiftung übertragen, können die Familienmitglieder vergleichsweise unproblematisch international tätig werden. In der Regel lässt sich durch geeignete Ausgestaltung der Familienstiftung erreichen, dass es nicht zu einer Hinzurechnungsbesteuerung der Stiftungserträge und des Stiftungsvermögens im jeweiligen Ansässigkeitsstaat kommt (bei ausländischen Stiftungen ist in Deutschland § 15 Abs. 6 AStG zu beachten).
Ist die Familie auch von den rechtlichen Vorzügen einer Familienstiftung überzeugt (beispielsweise Haftungsabschottung, keine Pflichtteilsansprüche, keine Unsicherheiten bezüglich familien- und erbrechtlicher Berechnungen, Zusammenhalt des Unternehmens), kann sie die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Freiheit der Wohnsitznahme für sich wiederherstellen, indem die Anteile künftig von der Familienstiftung gehalten werden. Um den Anfall der Ersatzerbschaftsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG) zu vermeiden, wird dies oft eine ausländische Familienstiftung (beispielsweise in Liechtenstein) sein. Die Möglichkeit, künftig Ausschüttungen aus der Familienstiftung zu erhalten, löst keine Wegzugsbesteuerung aus. Auch ein Rück- oder Weiterumzug des Familienmitglieds, das keine Beteiligung mehr hält, löst keine Steuern im jeweiligen Gastland aus. Schwierigkeiten, die sich durch die Kombination von anwendbaren Steuerrechtssystemen verschiedener Wohnsitzländer der Gesellschafter für das Familienunternehmen ergeben, werden auf die verstetigte Kombination Stiftungsland und Deutschland eingegrenzt. Ob diese Lösung für den Standort „besser“ ist als ein Umzug in die Schweiz, den der Gesetzgeber mit der Neuregelung ausschließen wollte, erschließt sich nicht.
FAZIT
Will eine Unternehmerfamilie den Familienmitgliedern die Freiheit der Wohnsitznahme erhalten, ist die Übertragung der Unternehmensanteile auf eine ausländische Familienstiftung oftmals sinnvoll. Aus Sicht von Deutschland als (Steuer-)Standort stellt sich die Frage, ob es klug ist, Unternehmerfamilien aus der direkten Beteiligung wegen steuerlicher Erwägungen herauszudrängen, zumal die Dividenden dann regelmäßig durch die Stiftung im Ausland angelegt werden und so Steuersubstrat verloren geht.
Autor Prof. Dr. Jochen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht, Lüdicke & Kollegen Rechtsanwaltsgesellschaft mbH |