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BBM 2021, 4
Drosdeck 

Matrixstrukturen – Kollision mit überkommenen Rechtsfiguren

„Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Ich kann die Vielzahl der Aufgaben kaum stemmen und weiß nicht, welchem Team ich zugeordnet bin und wer mein Chef ist. Das wechselt auch ständig und dann habe ich auch noch einen Disziplinarvorgesetzten.“

Abbildung 2

So klingt es häufig, wenn man Mitarbeitern in Unternehmen mit einer Matrixorganisation zuhört. Der Stoßseufzer bringt die Komplexität der Organisationsform „Matrix“ auf den Punkt. Dies kann zu Stress und Überlast mit Folgeerscheinungen führen.

AUSWIRKUNGEN DURCH HOMEOFFICE

Diese Situation hat sich durch das virtuelle Arbeiten aus dem Homeoffice wahrscheinlich verstärkt. Häufig genug kennen Mitarbeiter ihren Vorgesetzten nur vom Telefon oder über eine Videokonferenz. In internationalen Unternehmen ist es zwischenzeitlich üblich, dass globale Teams für ein Projekt oder ein Produkt etabliert werden. Hier besteht die Weisungs- und Führungstätigkeit in aller Regel nur als „virtuelle“ Möglichkeit. Soziales Empfinden kann daher nur in geringem Maße entstehen oder investiert werden.

DIE ORGANISATIONSFORM

Die Matrixorganisation hat ihren Ursprung in den von zunehmender Internationalisierung und technologischem Wandel geprägten 50er bis 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die erste Matrixorganisation wird einem US-amerikanischen Luft- und Raumfahrtunternehmen zugeschrieben, das produktspezifisches und funktionales Knowhow ohne irgendeine Dominanz zusammenbringen wollte. Eine Renaissance erlebte die Matrix in der zweiten Hälfte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit dem Trend zu flacheren Hierarchien und dem zunehmenden Projektgeschäft. In der Folge hat sie sich bis heute in vielen Branchen und Unternehmen mit hohem Entwicklungsdruck und/oder Projektgeschäft etabliert, also zum Beispiel bei IT- und Software-Unternehmen.

Die Matrixorganisation zeichnet sich dadurch aus, dass sich betriebsübergreifend auf horizontaler Ebene Fach- oder Projektteams für definierte Aufgaben oder Produkte zusammenfinden und in vertikaler Hinsicht die Berichtslinien ausgebildet sind, so dass die Mitarbeiter in der Regel zweifach angebunden sind, nämlich fachlich und disziplinarisch. Darüber hinaus wird die Matrix komplexer, wenn in einer vielbetrieblichen Organisation die Mitarbeiter über verschiedene Lokationen verteilt sind oder gar in unterschiedlichen Gesellschaften eines Konzerns gesellschafts- und betriebsübergreifend Weisungsrechte ausüben, oftmals international.

BBM 2021 S. 4 (5)

DIE RECHTSFRAGEN

Eine der primären rechtlichen Problemstellungen war die Frage, ob Führungskräfte eines Unternehmens, die Weisungsrechte in mehreren Betrieben ausüben, in allen Betrieben, in denen sie tätig sind, der Mitbestimmung unterfallen, ob also jeweils ein Verfahren nach § 99 BetrVG zur Einstellung in allen Betrieben mit den Betriebsräten durchgeführt werden muss.

EINSTELLUNG

Das Bundesarbeitsgericht nimmt zwischenzeitlich an, dass eine betriebsverfassungsrechtliche Eingliederung in den fremden Betrieb schon dann vorliegt, wenn eine tatsächliche Eingliederung in den Betrieb erfolgt und der betriebsverfassungsrechtliche Arbeitgeber wesentliche Weisungsrechte ausübt (BAG vom 17.5.2017, 7 ABR 21/15). Das Bundesarbeitsgericht hat diese Rechtsprechung 2019 fortgesetzt (BAG vom 12.6.2019, 1 ABR 5/18) und bestätigt, dass es eine Einstellung einer Führungskraft nach § 99 BetrVG darstellt, wenn der Führungskraft in dem Fremdbetrieb fachlich oder disziplinarisch ein oder mehrere Mitarbeiter weisungsunterworfen sind. Weitere Voraussetzung war, dass die Führungskraft selbst aufgrund des Arbeitsvertrags weisungsgebunden durch den Betriebsinhaber beziehungsweise Arbeitgeber war. Diese Bewertung nehmen die Instanzgerichte in der Arbeitsgerichtsbarkeit auch dann vor, wenn die Führungskraft unternehmens- und betriebsübergreifend im Sinne von disziplinarischer oder fachlicher Weisung gegenüber anderen Arbeitnehmern tätig wird (so zum Beispiel das LAG Düsseldorf vom 20.12.2017, 12 TaBV 66/17). Diese Entscheidungen sind von großer praktischer Bedeutung, denn sie implizieren, dass Führungskräfte gegebenenfalls eine Vielzahl von mitbestimmten Verfahren nach § 99 BetrVG auslösen, was in der Praxis bei Verweigerung der Zustimmung regelmäßig die Notwendigkeit auslöst, das Prozedere nach § 100 BetrVG anzustoßen, mithin vorläufige Einstellungen erforderlichenfalls mit gerichtlicher Ersetzung der Zustimmung der Betriebsräte unter Beachtung der kurzen Fristen des § 100 Abs. 2, S. 3 BetrVG durchzusetzen. Dies ist ein großer bürokratischer und rechtlicher Aufwand, der sich letzthin auch auf der Kostenseite widerspiegelt und Zeit in Anspruch nimmt.

BETRIEBSVEREINBARUNGEN

Bislang ist kollektivrechtlich nicht entschieden, welche Betriebsvereinbarungen auf einen sogenannten Matrix-Manager anwendbar sind. So ist es denkbar, dass die mehrbetriebliche Einstellung eines Matrix-Managers die Anwendbarkeit divergierender Betriebsvereinbarungen in den verschiedenen Betrieben impliziert. In der Literatur wird dies vor allem mit dem Verweis auf Probleme bei Regelungen zu Vergütungsansprüchen oder Sozialplanansprüchen abgelehnt (Barbara Reinhard, ArbRB 2019, 369-37).

KÜNDIGUNG

Weiterhin eröffnen sich bei Fragestellungen rund um die Kündigung von Matrix-Managern Problemkreise, die aus der mehrfachen Zuordnung der Führungskräfte zu diversen Betrieben resultieren. Konkret lautet die Frage, ob bei der Kündigung eines Matrix-Managers alle Betriebsräte nach § 102 BetrVG anzuhören sind, in denen der Manager eingeordnet und damit jeweils eingestellt ist. Dies ist – soweit ersichtlich – ebenso wenig höchstrichterlich entschieden wie die Fragestellung, wie die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes in den Fällen zu bewerten ist, in denen der Matrix-Manager in einem (Stamm-)Betrieb angestellt ist, der unterhalb der nach § 23 KSchG erheblichen Schwellenwerte liegt. Das LAG Hessen (LAG Hessen vom 26.8.2020, 2 Sa 119/20) ist der Auffassung, dass die Einstellung über § 99 BetrVG im Umkehrschluss auch eine Eingliederung nach § 23 KSchG bewirkt, mithin dem Matrix-Manager die Beschäftigtenzahlen der anderen Betriebe zugerechnet werden und er damit Kündigungsschutz genießt.

SOZIALAUSWAHL

Die Problemstellung führt sodann weiter in die Frage der Sozialauswahl. Die Sozialauswahl ist nach bisheriger Rechtsprechung betriebsbezogen durchzuführen und zwar in demjenigen Betrieb, in dem der Beschäftigungsbedarf wegfällt. Allerdings hat das BAG in der Tendenz angedeutet, dass eine betriebsübergreifende Sozialauswahl möglich sein könnte, zum Beispiel bei einer rotierenden Beschäftigung von Arbeitnehmern in mehreren Betrieben eines Unternehmens.

WEITERBESCHÄFTIGUNG

Ähnlich könnte die Entwicklung bei der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit verlaufen. Diese ist ohnehin – anders als die Sozialauswahl – grundsätzlich unternehmensbezogen. Insofern verläuft die Diskussionslinie bei der Fragestellung, ob die Weiterbeschäftigung in den Fällen auf die Konzernebene bezogen werden muss, in denen Matrix-Manager unternehmensübergreifend in einem Konzern in mehreren Betrieben tätig werden, was in Großkonzernen an der Tagesordnung ist.

FAZIT

Es bleibt, fragend festzuhalten, ob die Gerichte bei der leichtfüßigen Bewertung der Matrix-Struktur als Einstellung im Sinne des § 99 BetrVG die Implikationen und nachhaltigen Konsequenzen im System des BetrVG und des KSchG vollständig im Blick hatten.

Klar wird auch, dass das BetrVG und das KSchG dringend einer Anpassung an moderne Arbeitsformen und Organisationsstrukturen bedürfen.

Abbildung 3

Autor

Dr. Thomas Drosdeck

Rechtsanwalt und Partner, BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft, Frankfurt

 
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