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BBM 2021, 8
Schulze 

Wie funktioniert die Länderöffnungsklausel?

Mit der Reform der Grundsteuer ging auch eine Grundgesetzänderung einher. Der Gesetzgeber hat den Ländern für diese Materie die sogenannte Länderöffnungsklausel eingeräumt. Obwohl dieses föderalistische Instrument nicht ganz neu ist, wird man sich wegen der änderungsintensiven Materie des Steuerrechts mit bestimmten Fragen intensiver beschäftigen müssen.

Die vom BVerfG erzwungene Reform der Grundsteuer hat im Ergebnis dazu geführt, dass jedes Bundesland sein eigenes Regelungskonzept verwirklichen darf. Denn der – vom BVerfG offengelassene – Streit über die Frage, ob dem Bund für die Reform der Grundsteuer überhaupt die Gesetzgebungskompetenz zusteht, hat nicht nur zu einer Festschreibung dieser Kompetenz in Art. 105 GG zugunsten des Bundes geführt. Vielmehr wurde im Gegenzug in Art. 72 GG – zugunsten der Länder – der Katalog für die Abweichungskompetenz (sogenannte Länderöffnungsklausel) um die Grundsteuer erweitert. Sieben Länder haben die Chance ergriffen und in Abkehr von der überregelten Grundsteuer des Bundes jeweils eigene bürgerfreundliche Modelle entwickelt und diese umgesetzt beziehungsweise die Umsetzung in Gang gesetzt. Dabei reichen die landesrechtlichen Regelungstechniken von vollständigen Abweichungsgesetzen (Baden-Württemberg) über partielle Abweichungskomplexe bis hin zu rein punktuellen Abweichungen.

Abbildung 7

In diesem Zusammenhang könnte für die abweichungswilligen Länder der für die Abweichungskompetenz – und damit auch für die Grundsteuer – geltende lex-posterior-Grundsatz zum grundsätzlichen Problem werden. Durch diese in Art. 72 Abs. 3 GG festgeschriebene Kollisionsregel, wonach im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht das jeweils spätere Gesetz vorrangig anzuwenden ist, wird der allgemeine Grundsatz „Bundesrecht bricht Landesrecht“ verdrängt. Die Vorrangfrage zwischen Bundes- und Landesrecht ist ausschließlich nach dem formellen Kriterium der zeitlichen Abfolge zu klären. Sofern also eine Änderung des Bundesgesetzes auf das Abweichungsgesetz des Landes zeitlich nachfolgt, überlagert das Bundesrecht – zum Schutz des Landesrechts mit einer zeitlichen Verzögerung von sechs Monaten – das Landesgesetz und geht ihm danach vor. Um das Landesgrundsteuergesetz wieder zur Anwendung zu bringen, muss das Landesgesetzgebungsverfahren erneut durchlaufen werden. Im änderungsanfälligen Steuerrecht könnte dieser Mechanismus zum Problem werden.

Die Bürger und Unternehmen, die Länder und Gemeinden und auch die Verwaltung brauchen nämlich eine rechtssichere Antwort darauf, wann eine Änderung des Bundesgrundsteuergesetzes zu einer Überlagerung des Landesrechts führt mit der Folge, dass letzteres – ohne einen erneuten Akt des Landesgesetzgebers – nicht mehr anwendbar ist. Immerhin hängt von dieser Frage ab, ob danach überhaupt noch eine Landesgrundsteuer erhoben werden darf beziehungsweise – und das würde die Administration an die Grenzen ihrer Belastbarkeit bringen – gegebenenfalls (plötzlich) das Bundesgrundsteuergesetz anzuwenden wäre. Deshalb muss die Rechtsfrage geklärt werden, ab welcher Rechtsänderungsqualität der lex-posterior-Grundsatz ausgelöst wird. Das BVerfG hat hierzu noch nicht entschieden. Das maßgebliche Schrifttum ist in der Frage gespalten. Nach restriktiver Ansicht löse jede dem abweichenden Landesgesetz nachfolgende Bundesregelung den Anwendungsvorrang aus. Nach einer gemäßigten Ansicht führe nicht jede bundesgesetzliche (Neu-)Regelung zur Unanwendbarkeit der landesrechtlichen Abweichungsregelung in toto. Vielmehr müsse die Reichweite des Anwendungsvorrangs gegenüber dem Landesrecht im Einzelfall bestimmt werden. Beide Ansätze sind für den Rechtsanwender und den Gesetzgeber wenig erfreulich. Deshalb ist es an der Zeit, dass sich Wissenschaft und Praxis dieser Thematik stärker annehmen und praxistaugliche Lösungsansätze entwickeln.

Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Verfassers wieder.

Abbildung 8

Autor

Dr. Michael Schulze

Dipl.-Finw. (FH), Mitglied der hessischen Finanzverwaltung, zuvor wiss. Mitarbeiter am BVerfG

BBM 2021 S. 8 (9)

Abbildung 9

 
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