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BBM 2021, 11
Lambrich 

Workforce Transformation in der Krise

Gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten stellt sich oft die Herausforderung, Personalkosten zu senken, also die Lohn- und Arbeitsbedingungen oder Struktur und Größe der Belegschaft anzupassen. Doch auch in der Krise gelten die Regelungen des Arbeitsrechts, das Hindernisse enthält, denen man mit kreativen Lösungen begegnen muss.

Psychologisch liegt die beste Strategie darin, einer Krise durch Schulterschluss zwischen Geschäftsleitung und Belegschaft zu trotzen. Verständlicherweise erscheint eine Anpassung der Arbeitsbedingungen gegenüber einem etwaigen Abbau von Arbeitsplätzen vorzugswürdig. Seit etwa 20 Jahren werden unter dem Schlagwort „betriebliches Bündnis für Arbeit“ Vereinbarungen diskutiert und praktiziert, in denen Unternehmen mit den Arbeitnehmern Vereinbarungen treffen, nach denen zum Zweck des Erhalts des Betriebs das bestehende Gehaltsniveau abgesenkt und/oder die Arbeitszeit ohne Lohnsteigerung erhöht wird, sei es vorübergehend oder dauerhaft. Zu beachten ist, dass entsprechende Vereinbarungen nur in solchen Unternehmen in rechtlich zulässiger Weise getroffen werden können, die nicht unter den Geltungsbereich eines Tarifvertrags fallen. In tarifgebundenen Unternehmen werden solche „betrieblichen Bündnisse für Arbeit“ von der Rechtsprechung für unzulässig erachtet, die zudem der zuständigen Gewerkschaft einen klageweise durchsetzbaren Unterlassungsanspruch zubilligt. Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Vorgehensweise ist stets eine möglichst weitgehende Akzeptanz innerhalb der Belegschaft. Besteht ein Betriebsrat, dürfte es strategisch sinnvoll sein, diesen „mit ins Boot zu holen“, um dieses Ziel zu erreichen. Die Erfahrungen während der Corona-Krise zeigen, dass in einigen Unternehmen die Mitarbeiter bereit sind, zumindest vorübergehend auf einen Teil ihres Gehalts zu verzichten. Dies kann ermutigen, einen entsprechenden Schulterschluss in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu versuchen.

Abbildung 9

MIT FREIWILLIGKEIT ZUM PERSONALABBAU?

Erscheint ein Personalabbau angezeigt, stehen Unternehmen vor der weichenstellenden Frage, mit welchen rechtlichen Mitteln er realisiert werden soll. Möglich ist zunächst die Durchführung eines sogenannten „Freiwilligenprogramms“. Darunter versteht man das freiwillige Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis infolge eines Aufhebungsvertrags, meist unter Vereinbarung einer Abfindungszahlung. Ob Mitarbeiter sich hiermit einverstanden erklären, hängt von vielen Faktoren ab. Ein Aspekt, der bei einvernehmlichen Trennungen stets auf der Tagesordnung steht, ist die Gefahr der Verhängung einer Sperrzeit für den Bezug von Arbeitslosengeld. BBM 2021 S. 11 (12)Insoweit sind die Gestaltungsmöglichkeiten in Anlehnung an die Prüfungspraxis der Arbeitsagenturen gemeinsam mit dem betreffenden Mitarbeiter und seinem anwaltlichen Vertreter sorgsam auszuloten. Um eine einvernehmliche Trennung zu ermöglichen, ist oft notwendig, die dem Mitarbeiter etwaig entstehenden finanziellen Nachteile zu kompensieren.

Für den Arbeitgeber hat ein „Freiwilligenprogramm“ den Vorteil, Trennungen ohne Beachtung der Voraussetzungen für eine betriebsbedingte Kündigung realisieren zu können. Der Arbeitgeber ist frei in seiner Entscheidung, wem er eine Aufhebungsvereinbarung anbietet. Entsprechende Angebote können gezielt ausgesprochen werden, etwa unter Leistungsgesichtspunkten. So können etwa auch Stellen von älteren bzw. lange dem Betrieb angehörenden Mitarbeitern oder gar von ordentlich unkündbaren Beschäftigten abgebaut werden. Außerdem lässt sich der gewünschte Personalabbau durch ein „Freiwilligenprogramm“ schneller abschließen als mittels betriebsbedingter Kündigungen, die erfahrungsgemäß immer eine bestimmte Zahl von Kündigungsschutzprozessen nach sich ziehen. Sowohl mit Blick auf die interne Unternehmenskultur und den Betriebsfrieden in der verbleibenden Belegschaft als auch in der äußeren Wahrnehmung erscheint die mit einem „Freiwilligenprogramm“ ermöglichte Konfliktvermeidung vorteilhaft, weil besser kommunizierbar.

Es wird nicht überraschen, dass der Arbeitgeber bei einem „Freiwilligenprogramm“ meist einen für den Mitarbeiter attraktiven Abfindungsfaktor anbieten muss. Hierzu können allgemeine Vorgaben entwickelt und gegebenenfalls mit dem Betriebsrat formal niedergelegt werden. Genauso sollten im Zuge der Verhandlungen aber auch die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls berücksichtigt werden, bei denen nicht zuletzt die Chance der Aussprache einer rechtwirksamen Kündigung als mögliche Rückfallebene eine maßgebliche Rolle spielt. Auch in Kündigungsfällen werden in der Praxis – zur Vermeidung zeit- und kostenintensiver, hinsichtlich ihrer Erfolgsaussichten oftmals risikoreicher Gerichtsprozesse – mitunter Abfindungen gezahlt, die nicht selten (mitunter weit) über der sogenannten Regelabfindung von 0,5 Bruttomonatsgehältern pro Beschäftigungsjahr liegen. Hinzu kommt: Der finanzielle Aufwand eines „Freiwilligenprogramms“ ist im Vorhinein (besser) kalkulierbar. Dieser Weg bietet sich vor allem bei einer kontinuierlichen, in ihrer Stoßrichtung eher längerfristigen Transformation der Belegschaftsstruktur oder bei einem zahlenmäßig geringen Personalabbau an, beispielsweise unter Performance-Aspekten.

BETRIEBSBEDINGTE KÜNDIGUNGEN ALS ULTIMA RATIO?

Alternativ kommt die Umsetzung einer Personalabbaumaßnahme durch Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen in Betracht. Notwendig ist dabei das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse. Diese können in außerbetrieblichen (zum Beispiel Auftrags- oder Umsatzrückgänge mit einem konkreten Bezug zum Betrieb) sowie in innerbetrieblichen (zum Beispiel Änderung der Arbeits- oder Produktionsmethoden) Gründen liegen. Hervorzuheben ist, dass das Kündigungsschutzgesetz den dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedarfs verlangt, den der Arbeitgeber im Zuge eines etwaigen Kündigungsschutzprozesses genauestens darlegen und beweisen muss. Hierin liegt der entscheidende Unterschied zur Einführung von Kurzarbeit, die demgegenüber eine vorübergehende Reduzierung des Beschäftigungsbedarfs verlangt. Soll ein Personalabbau nach oder während Kurzarbeit umgesetzt werden, entsteht für den Arbeitgeber insoweit eine gesteigerte Argumentationsnotwendigkeit.

Eine betriebsbedingte Kündigung kann immer nur letztes Mittel sein („ultima ratio“). Vor Ausspruch ist daher zu prüfen, ob innerhalb des Unternehmens zum Zeitpunkt der Kündigung eine geeignete Stelle frei ist oder absehbar frei wird, auf der der betroffene Mitarbeiter weiterbeschäftigt werden kann. Darüber hinaus besteht die – oft mit erheblichem Aufwand verbundene – Verpflichtung zur Durchführung einer Sozialauswahl. Mit Bezug auf den gesamten Betrieb ist zu eruieren, welche Mitarbeiter im Vergleich zu den von der Maßnahme betroffenen Positionen gleichartige Tätigkeiten ausüben und sich innerhalb der Betriebshierarchie auf derselben Ebene befinden. Innerhalb der Vergleichsgruppe ist dann ein Ranking der sozialen Schutzwürdigkeit anhand der gesetzlich vorgeschriebenen Kriterien zu erstellen. Die Erfahrung lehrt, dass es bei Durchführung einer dergestalt ordnungsgemäßen Sozialauswahl meist schwerfällt, sogenannte High Performer oder junge Talente an Bord zu halten, da älteren Mitarbeitern mit langer Betriebszugehörigkeit Vorzug zu gewähren ist. Letztlich ist der Vergleich zwischen denjenigen, denen man kündigen möchte, und den nach der Sozialauswahl zu kündigenden Mitarbeitern entscheidend dafür, ob ein Personalabbau mittels betriebsbedingter Kündigungen ein probates Gestaltungsmittel darstellt. Gestaltungsspielräume ergeben sich etwa bei der Vergleichsgruppenbildung oder durch Auswahl des bestmöglich passenden Punkteschemas bei der Sozialauswahl.

FAZIT

Das deutsche Arbeitsrecht setzt der gerade in Krisenzeiten notwendigen Flexibilität für Anpassungen im Personalbereich enge Grenzen. Um die vorhandenen Gestaltungsspielräume nutzen zu können, sind sorgfältige rechtliche Einschätzungen ebenso erforderlich wie kreative strategische und operative Überlegungen. Nicht zuletzt aber hängt der Erfolg von Transformations-Maßnahmen vom Miteinander aller Beteiligten innerhalb des Unternehmens ab. Die Erfahrungen in den Monaten der Corona-Pandemie geben insoweit Anlass für Hoffnung.

Abbildung 10

Autor

Dr. Thomas Lambrich

Rechtsanwalt und Partner, BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft, Hamburg

 
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