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Designgesetz (2016), § 3 Rn. 1—22 
§ 3 Ausschluss vom Designschutz 
Philipp Helmut Günther, Thorsten Beyerlein 

52 § 3 Ausschluss vom Designschutz

(1) Vom Designschutz ausgeschlossen sind

  1. Erscheinungsmerkmale von Erzeugnissen, die ausschließlich durch deren technische Funktion bedingt sind;
  2. Erscheinungsmerkmale von Erzeugnissen, die zwangsläufig in ihrer genauen Form und ihren genauen Abmessungen nachgebildet werden müssen, damit das Erzeugnis, in das Design aufgenommen oder bei dem es verwendet wird, mit einem anderen Erzeugnis mechanisch zusammengebaut oder verbunden oder in diesem, an diesem oder um dieses herum angebracht werden kann, so dass beide Erzeugnisse ihre Funktion erfüllen;
  3. Designs, die gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstoßen;
  4. Designs, die eine missbräuchliche Benutzung eines der in Artikel 6 ter der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums aufgeführten Zeichen oder von sonstigen Abzeichen, Emblemen und Wappen von öffentlichem Interesse darstellen.

(2) Erscheinungsmerkmale im Sinne von Absatz 1 Nummer 2 sind vom Designschutz nicht ausgeschlossen, wenn sie dem Zweck dienen, den Zusammenbau oder die Verbindung einer Vielzahl von untereinander austauschbaren Teilen innerhalb eines Bauteilesystems zu ermöglichen.

Übersicht

53 I. Allgemeines

1

§ 3 bestimmt, welche Erscheinungsmerkmale/Designs vom Designschutz ausgeschlossen sind. Diese materiellrechtliche Prüfung stellt eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass dem DPMA eine materiellrechtliche Prüfung der Anmeldung versagt ist, es sich bei dem eingetragenen Design also um ein ungeprüftes Recht handelt. Stellt das DPMA bei der Prüfung der Anmeldung fest, dass das angemeldete Design gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstößt (§ 3 Abs. 1 Nr. 3) oder eine missbräuchliche Benutzung von Zeichen vorliegt (§ 3 Abs. 1 Nr. 4), weist es die Anmeldung gemäß § 18 zurück.

II. Schutzausschließungsgründe

1. Technische Bedingtheit (§ 3 Abs. 1 Nr. 1)

2

Nach Abs. 1 Nr. 1 – dieser hat Art. 7 Abs. 1 GM-Richtlinie umgesetzt und entspricht Art. 8 Abs. 1 GGV – sind technisch bedingte Erscheinungsmerkmale vom Designschutz ausgeschlossen. Grund für den Schutzausschluss ist, dass technologische Innovationen nicht durch einen rechtlichen Schutz des Designs für ausschließlich technisch bedingte Merkmale behindert werden sollen ( vgl. Erwägungsgrund 14 GM-Richtlinie).1 Vielmehr soll der Schutz von Erfindungen den technischen Schutzrechten (Patenten und Gebrauchsmustern) vorbehalten bleiben. Man kann Abs. 1 Nr. 1 deshalb als Gegenstück – allerdings mit umgekehrten Inhalt – zu Art. 52 Abs. 2 b) EPÜ verstehen, wonach ästhetische Schöpfungen nicht als Erfindungen anzusehen sind.2

3

Ob die Merkmale eines Erzeugnisses ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, muss auf der Grundlage der Schutzrechtssystematik ermittelt werden. „Technische Funktion“ i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ist deshalb eine Wirkungsweise, für die ein Schutz durch ein technisches Schutzrecht in Betracht kommt.3 Ein Erscheinungsmerkmal ist schon dann nicht mehr ausschließlich durch seine technische Funktion bedingt, wenn es alternative Gestaltungen (Drittprodukte) gibt, die bei gleicher technischer Funktion das Erscheinungsmerkmal nicht zeigen. Gibt es somit bei gleicher technischer Funktion eine gangbare Designalternative, mit welcher das Erzeugnis seine technische 54 Funktion in zumindest gleicher Weise erfüllt, liegt kein ausschließlich technisch bedingtes Merkmal vor und der Schutzausschluss greift nicht ein.4

4

Der Umstand, dass die Gestaltung eines Designs mit technischen Vorteilen verbunden ist, hindert nicht, dem Design Eigenart oder Eigentümlichkeit beizumessen. Die Schutzfähigkeit ist nur ausgeschlossen, soweit es sich um Formgestaltungen handelt, die objektiv ausschließlich technisch bedingt sind. Der Designfähigkeit steht bei einem Gebrauchszwecken dienenden Erzeugnis nicht entgegen, dass seine Gestaltung in dem maßgeblichen Merkmal zugleich oder sogar in erster Linie dem Gebrauchszweck dient und ihn fördert („form follows function“), der ästhetische Gehalt demnach in die ihrem Zweck gemäß gestaltete Gebrauchsform eingegangen ist.5 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der ästhetischen Formgestaltung eines Erzeugnisses verhältnismäßig enge Grenzen gesetzt sein können, wenn die Ausgestaltung funktionsmäßig und ohne Beeinträchtigung der technischen Brauchbarkeit des Erzeugnisses erfolgen soll. Eine weitere Einengung ergibt sich dadurch, dass die Benutzung des freien Formenschatzes jedem Formgestalter offen stehen muss und ihm auch die Anpassung an neue Geschmacksrichtungen und Stilelemente nicht versperrt werden darf.6 Das hat aber zur Folge, dass jedenfalls in den Fällen, in den es darum geht, ob durch die Kombination vorbekannter Formelemente und Gestaltungen eine eigene ästhetische Gesamtwirkung erzielt wird, die Anforderungen an die für einen Designschutz hinreichende eigenschöpferische Gestaltungshöhe nicht zu niedrig angesetzt werden dürfen.7

5

Ist die Grundform eines Erzeugnisses (etwa einer Kfz-Felge) ausschließlich technisch bedingt, können besondere (nicht technisch bedingte) Ausgestaltungen dieser Grundform gleichwohl zur Neuheit und Eigenart des Erzeugnisses führen.8 Eine an technischen Erfordernissen ausgerichtete Grundform kann folglich in einer Vielzahl von Ausführungsvarianten 55 Designschutz genießen.9 Stehen dagegen für eine technisch bedingte Erscheinungsform nur weitere technisch bedingte Erscheinungsformen zur Verfügung, sind diese Variationsmöglichkeiten ohne Auswirkung auf die technische Bedingtheit der Form, für die Designschutz in Anspruch genommen wird.10 Besondere Ausgestaltungen einer Grundform – etwa eines Stuhles – können sogar als Werke der angewandten Kunst Schutz genießen.11 Technische Weiterentwicklungen sollen nicht durch einen rechtlichen Schutz eines Designs für ausschließlich technisch bedingte Merkmale behindert werden. Eine ästhetische Bereinigung der Form, die zwingender Nebeneffekt einer technischen Umgestaltung des Produkts ist, hat bei der Prüfung, ob das neue Produkt gegenüber dem Vorbild Eigenart aufweist, daher unberücksichtigt zu bleiben.12

6

Ist oder war eine Form Gegenstand eines technischen Schutzrechts, kann diesem Umstand zwar indizielle Bedeutung für die technische Bedingtheit dieser Form beigemessen werden. Besteht jedoch die Ware ausschließlich aus dieser Form, dokumentiert das technische Schutzrecht unwiderleglich die technische Bedingtheit der Formgestaltung.13 Merkmale eines Designs, die nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 vom Schutz ausgenommen sind, sind bei der Beurteilung, ob andere Merkmale des Designs die Schutzvoraussetzungen erfüllen, nicht heranzuziehen ( vgl. Erwägungsgrund 14 GM-Richtlinie).

7

Ob und inwieweit der Betrachter die Form einem technischen Zweck zuordnet oder nicht, spielt keine Rolle.14 Das ästhetische Empfinden wird keineswegs hinsichtlich solcher Formelemente ausgeschlossen, bei denen der Betrachter erkennt, dass sie auch technisch bedingt sind. Vielmehr kann gerade die Harmonie zwischen technischer Funktion und nicht objektiv bedingter, demnach nicht ausschließlich notwendiger Formgebung in besonderem Maße das ästhetische Empfinden ansprechen.15

8

Beim Schutzausschließungsgrund des § 3 Abs. 1 Nr. 1 zeigt sich ein Unterschied zwischen dem Designrecht und dem Markenrecht. Nach 56 Art. 3 Abs. 1 lit. e zweiter Spiegelstrich Markenrechts-Richtlinie sind solche Zeichen von der Eintragung als Marke ausgeschlossen, die ausschließlich aus der Form der Ware bestehen, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist. Zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist etwas anderes als ausschließlich durch die technische Funktion bedingt. Der Wortlaut des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ist enger als die markenrechtlichen Vorschriften, die darauf abstellen, ob die Form der Ware zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist.16 Es kommt hinzu, dass der EuGH Art. 3 Abs. 1 lit. e zweiter Spiegelstrich Markenrechts-Richtlinie erweiternd interpretiert. Dieses Eintragungshindernis ist nach der Rechtsprechung des EuGH bereits dann gegeben, wenn die wesentlichen funktionellen Merkmale einer Form nur der technischen Wirkung zuzuschreiben sind, selbst wenn die fragliche technische Wirkung durch andere Formen erzielt werden kann.17

9

Hinsichtlich der Schutzfähigkeit unterscheidet sich der Designschutz auch vom wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz. Aus diesem kann bereits dann kein Schutz gegen die Übernahme von Gestaltungsmerkmalen hergeleitet werden, wenn diese dem freizuhaltenden Stand der Technik angehören und – unter Berücksichtigung des Gebrauchszwecks, der Verkäuflichkeit der Ware sowie der Verbrauchererwartung – der angemessenen Lösung einer technischen Aufgabe dienen.18

2. Funktionelle Bedingtheit (§ 3 Abs. 1 Nr. 2)

10

Gemäß Abs. 1 Nr. 2 – dieser hat Art. 7 Abs. 2 GM-Richtlinie umgesetzt und entspricht Art. 8 Abs. 2 GGV – besteht kein Designschutz an Erscheinungsmerkmalen von Erzeugnissen, die zwangsläufig in ihrer genauen Form und ihren genauen Abmessungen nachgebildet werden müssen, damit diese mit einem anderen Erzeugnis verbunden werden können (sog. „must fit“-Klausel). Zweck der Bestimmung ist es, eine weitgehende Interoperabilität von Erzeugnissen unterschiedlicher Hersteller sicherzustellen. Namentlich soll verhindert werden, dass die Vermarktung weiterer Erzeugnisse, die im Zusammenhang mit einem eingetragenen Design verwendet werden können, dadurch monopolisiert wird, dass die Verbindungselemente in besonderer Weise gestaltet und unter Designschutz gestellt werden.

11

Abs. 1 Nr. 2 erfasst keine sog. „must match“-Teile (Teile, die zur Herstellung eines Erscheinungsbildes eines komplexen Erzeugnisses in einer bestimmten Form gefertigt werden müssen). Diese Teile ( z.B. sichtbare Einzelteile einer Kfz-Karosserie) sind trotz des Umstandes, dass ihnen in bestimmter Hinsicht Abmessungen vorgegeben sind, damit sie als Einzelteile in der Karosserie verwendet werden können ( z.B. die äußeren Abmessungen eines Scheinwerfers oder einer Tür), nicht vom Designschutz ausgeschlossen.

12

Gemäß Abs. 2 – dieser hat Art. 7 Abs. 3 GM-Richtlinie umgesetzt – gilt der Grundsatz, dass kein Designschutz an Verbindungselementen besteht, dann nicht, wenn die Elemente dem Zweck dienen, den Zusammenbau oder die Verbindung einer Vielzahl von untereinander austauschbaren Teilen innerhalb eine modularen Systems zu ermöglichen (sog. „Lego-Klausel“). Begründet wird § 3 Abs. 2 damit, dass mechanische Verbindungselemente von Kombinationsteilen ein wichtiges Element der innovativen Merkmale von Kombinationsteilen bilden und einen wesentlichen Aktivposten für das Marketing darstellen können ( vgl. Erwägungsgrund 15 GM-Richtlinie). Diese Überlegung ist dem deutschen Recht nicht fremd. So hat der BGH in seiner „Klemmbausteine“-Rechtsprechung,19 die für Serienbauteile innerhalb modularer Systeme eine Ausnahme von der Regel der prinzipiellen (wettbewerbsrechtlichen) Nachahmungsfreiheit im Bereich von Zubehör und Ersatzteilen begründet hat, ganz ähnliche Überlegungen zu Grunde gelegt: Bei uneingeschränkter Zulässigkeit der Nachbildung modularer Bauelemente würde nicht allein ein akzessorischer Sekundärmarkt für den Wettbewerb freigegeben, sondern der Primärmarkt selbst. Dagegen schützt § 3 Abs. 2, der dem Entwickler solcher Bauteile ein Ausschließlichkeitsrecht sichert.20 Dieses Ausschließlichkeitsrecht ist allerdings – ebenso wie der wettbewerbsrechtliche Schutz nach § 4 UWG21 – zeitlich beschränkt.

58 3. Verstoß gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten (§ 3 Abs. 1 Nr. 3)

13

Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 – dieser hat Art. 9 GM-Richtlinie umgesetzt und entspricht Art. 9 GGV – ist ein Design, welches gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstößt, vom Designschutz ausgeschlossen. Dem DPMA soll nicht zugemutet werden, im Zuge seines Verfahrens Anstößiges publizieren und dadurch mit dem Anschein amtlicher Billigung ausstatten zu müssen.22

14

Ein etwa bestehender Urheberschutz bleibt durch Abs. 1 Nr. 3 unberührt, da auch bei demselben Schutzobjekt Urheberrecht und Designrecht unabhängig voneinander bestehen.23 Auch ein Verwertungsvertrag über ein solches Design ist nicht ohne Weiteres nichtig; er ist rechtwirksam, wenn eine nicht gegen Sittengesetze verstoßende Verwertung möglich ist.24 Beruft sich ein Lizenznehmer, der entsprechende Nutzungen gezogen hat, auf die Nichtigkeit des Verwertungsvertrages, kann dies eine unzulässige Rechtsausübung darstellen.25

15

Verstößt nicht das Design selbst, jedoch die vom Anmelder vorgegebene Bezeichnung gegen Abs. 1 Nr. 3, kann das DPMA an deren Stelle eine ordnungsgemäße Bezeichnung eintragen. Das DPMA übernimmt keine Gewähr für die sachliche Richtigkeit der gewählten Bezeichnung.26

a) Öffentliche Ordnung
16

Der Begriff der öffentlichen Ordnung ist eng auszulegen.27 Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung ist folglich nur zu bejahen, wenn durch das Design die Grundlagen des staatlichen oder wirtschaftlichen Lebens oder die tragenden Grundsätze der Rechtsordnung in Frage gestellt werden.28 Hierzu gehören insbesondere die Grundrechte und wesentliche Normen zum Schutz der Rechtsordnung und des Gemeinwesens. Der Verstoß gegen ein Gesetz oder eine Verwaltungsvorschrift ge 59 nügt nach § 7 Abs. 2 2. Halbsatz für sich alleine nicht, um festzustellen, dass die Verbreitung der Nachbildung eines Designs gegen die öffentliche Ordnung verstößt.29 Ein Verstoß ist beispielsweise dann zu bejahen, wenn sich das Design feindlich verachtend oder verhöhnend gegen stattliche Institutionen oder verfassungsrechtliche Prinzipien richtet. Vom Designschutz ausgeschlossen sind damit Designs, die einen Aufruf gegen die verfassungsmäßige Grundordnung enthalten, die aus Schlagworten oder Symbolen verbotener politischer Organisationen gebildet sind, die stattliche Institutionen verächtlich machen oder auch nur kommerzialisieren oder die Grundwerte der Gesellschaft verhöhnen.30 Einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung hat die Rechtsprechung in folgenden Fällen verneint: Muster oder Modell, welches aus der abgewandelten Abbildung eines Verkehrszeichens besteht;31 Muster oder Modell, in welches ein Postwertzeichen im Original einbezogen ist;32 Plüschteddybär oder sonstige Spielzeugfiguren, welche Uniformen tragen, auf denen Hoheitszeichen oder Teile angebracht sind, die Hoheitszeichen ähnlich sind;33 Anbringen von 1-Pfennig-Münzen auf Geldbörsen;34 Muster oder Modell, das die dekorative Abbildung gesetzlicher Zahlungsmittel (hier: DM-Banknoten und deutsche Münzen auf Tassen) zum Gegenstand hat;35 Phantasiefigur, in welche die Abbildung einer Ein-Euro-Münze eingefügt ist.36

b) Gute Sitten
17

Wann ein Verstoß gegen die guten Sitten anzunehmen ist, ist gesetzlich nicht geregelt. Rechtsprechung und Literatur nehmen einen Verstoß dann an, wenn das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verletzt wird.37 Von einem Verstoß gegen die guten Sitten ist danach auszugehen, wenn das Design geeignet ist, das Empfinden der angesprochenen Verkehrskreise erheblich zu verletzen, indem es etwa in sittlicher, politischer oder religiöser Hinsicht anstößig oder herabwürdigend 60 wirkt oder eine grobe Geschmacksverletzung darstellt.38 Maßgeblich ist insoweit die Sicht eines durchschnittlichen Angehörigen der angesprochenen Verkehrskreise, wobei nicht nur die Verkehrskreise zu berücksichtigen sind, an die sich die Erzeugnisse unmittelbar richten, sondern auch die Teile des Publikums, die dem Design im Alltag zufällig begegnen.39 Zu berücksichtigen ist, dass sich die sittlichen Anschauungen der Verkehrskreise mit der Zeit wandeln können; eine übertrieben laxe oder besonders feinfühlige bzw. strenge Anschauung ist nicht zu berücksichtigen.40 Auch darf die Prüfung des Schutzversagungsgrunds nicht in einer Geschmackszensur bestehen. Rechtsprechung und Literatur betonen, dass bei der Annahme von Verstößen dieser Art Zurückhaltung geboten ist.41 Für die Annahme eines Sittenverstoßes muss deshalb das sittliche Empfinden eines beachtlichen Teils des Verkehrs verletzt sein.42

18

Die religiöse Anstößigkeit beurteilt sich auch unter Beachtung des durch Art. 4 Abs. 2 GG gewährleisteten Grundrechts auf Religionsausübungsfreiheit.43 Dieses Grundrecht wirkt in wertausfüllungsfähige und wertausfüllungsbedürftige Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe ein und setzt voraus, dass sich der Staat in religiöser Hinsicht neutral verhält, zumal bei hoheitlicher Tätigkeit.44 Vor dem Hintergrund, dass Designschutz in Deutschland ausschließlich durch Eintragung in das Register (§ 27), also durch einen staatlichen Hoheitsakt, begründet wird, ist das Neutralitätsgebot bei der Auslegung des § 3 Abs. 1 Nr. 3 und der Feststellung einer religiösen Anstößigkeit von besonderer Bedeutung. Zu berücksichtigen ist andererseits, dass die Religionsfreiheit nicht schrankenlos gewährt ist, sondern insbesondere durch die Grundrechte anderer beschränkt wird. Insoweit ist von Bedeutung, dass auch Äußerungen in Wirtschaft und Werbung, also auch bei der Ausübung gewerblicher Schutzrechte, unter dem Schutz der 61 Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG stehen können, sofern sie einen wertenden, auf Meinungsbildung gerichteten Inhalt haben.45

19

Ein Verstoß gegen die guten Sitten wegen sexueller Anstößigkeit ist aufgrund der fortschreitenden Liberalisierung der Anschauungen über Sitte und Moral nur selten anzunehmen.46 Entsprechend den heute herrschenden durchschnittlichen Anschauungen reicht allein ein sexueller Bezug eines Designs nicht aus, damit sich ein beachtlicher Teil des Verkehrs in seinem sittlichen Empfinden verletzt fühlt. Die Grenze ist dort zu ziehen, wo Designs einen diskriminierenden, die Menschenwürde verletzenden Eindruck vermitteln, sei es in der Art ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung oder in der Art der Darstellung ( z.B. , wenn sie Frauen als beliebig verfügbare Sexualobjekte darstellen; vgl. BGH, GRUR 1995, 592, 594 – Busengrapscher) oder wenn ihre Gestaltung derart ist, dass Sexuelles in grob aufdringlicher, anreißerischer Weise in den Vordergrund gerückt ist oder überwiegend auf die Erregung sexueller Reize abgezielt wird.47

4. Zeichen von öffentlichem Interesse (§ 3 Abs. 1 Nr. 4)

20

Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 – dieser hat Art. 11 Abs. 2 c) GM-Richtlinie umgesetzt und entspricht Art. 25 Abs. 1 g) GGV – sind Design vom Designschutz ausgeschlossen, die eine missbräuchliche Benutzung eines der in Art. 6ter der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums aufgeführten Zeichen oder von sonstigen Abzeichen, Emblemen und Wappen von öffentlichem Interesse darstellen. Durch § 3 Abs. 1 Nr. 4 soll verhindert werden, dass Zeichen, die im öffentlichen Interesse benötigt und verwendet werden, durch ein eingetragenes Design zugunsten Privater monopolisiert werden.48 Durch eine solche Monopolisierung könnte der zweckentsprechende Gebrauch der Zeichen behindert werden, die Kontrolle über die Benutzung staatlicher Souveränitätssymbole verloren gehen und die Öffentlichkeit über die Herkunft der hiermit gekennzeichneten Erzeugnisse getäuscht werden.49

21

Staatliche Hoheitszeichen i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 4 sind sinnbildliche Darstellungen, die ein Staat als Hinweis auf die Staatsgewalt verwendet, z.B. Staatsflaggen, Staatswappen, Staatssiegel, Nationalhymnen, Orden, Ehrenzeichen, Briefmarken, Geldmünzen und Geldscheine. Staatliche Hoheitszeichen sind solche der Bundesrepublik Deutschland sowie der Bundesländer. Das Eintragungsverbot ist auf inländische und ausländische staatliche Hoheitszeichen anzuwenden. Nationale Symbole sind keine staatlichen Hoheitszeichen.50 Amtliche Prüf- und Gewährzeichen und amtliche Prüf- und Gewährstempel sind amtlich vorgeschrieben Zeichen zur Kennzeichnung der Prüfung eines Produkts auf die Erfüllung bestimmter Erfordernisse wie Eichstempel, Legierungsstempel für Edelmetalle etc.51 Sonstige Abzeichen, Embleme, Wappen von öffentlichem Interesse i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 4 sind Zeichen, an deren ungestörter, nicht verwechslungsfähiger Verwendung im Rahmen hoheitlicher und auch schlicht-hoheitlicher Verwaltung ein öffentliches Interesse besteht.52 Zu nennen sind hier Euro-Banknoten,53 kommunale Wappen (inländische Ortswappen, Gemeindeverbandswappen und Kommunalverbandswappen), private Wappen (Familienwappen, Vereinswappen), das Rote Kreuz, die Prüf-Plaketten des TÜV sowie Postwertzeichen.54 Alte staatliche Hoheitszeichen, die der Staat als solche nicht mehr verwendet, können unter dem Vorhalt, dass ihre Verwendung nicht verboten ist, frei benutzt werden.55 Auch gibt es kein allgemeines Verbot, abgewandelte Verkehrsschilder abzubilden oder zu vertreiben.56 Polizeiausstattung und -farbgebung gehören im Allgemeinen ebenfalls nicht zu den geschützten Zeichen.57

22

Voraussetzung für die Anwendung des § 3 Abs. 1 Nr. 4 ist weiter, dass das mit dem Zeichen versehene Design eine missbräuchliche Benutzung des Zeichens darstellt. Die missbräuchliche Benutzung wird anzunehmen sein, wenn der irreführende Anschein eines Bezugs des Designs zu staatlichen Stellen oder eine Ausgabe durch solche Stellen erweckt wird (in Anlehnung an die in Art. 6ter Abs. 1 c) PVÜ enthaltene Bestimmung, wonach die Verbandsländer nicht gehalten sind, die Bestimmungen 63 anzuwenden, falls die Benutzung oder Eintragung offenbar nicht geeignet ist, das Publikum über das Bestehen einer Verbindung zwischen dem Benutzer und der Organisation irrezuführen). Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, bei denen darauf abzustellen ist, wie das Hoheitszeichen im Rahmen der Designgestaltung konkret verwendet ist.58 Entscheidend ist hierbei das Design, wie es durch § 37 Abs. 1 geschützt ist, demnach nur hinsichtlich der Erscheinungsmerkmale, die in der Anmeldung sichtbar wiedergegeben sind. Besteht insoweit Identität oder eine zumindest weitgehende Übereinstimmung zwischen dem Hoheitszeichen und dem angemeldeten Design, liegt eine missbräuchliche Übernahme vor, weil durch ein im Privatinteresse gewährtes Monopol in den Schutzbereich eines im öffentlichen Interesse geschaffenen Hoheitszeichens eingegriffen würde. Die identische oder nahezu identische Übernahme hoheitlicher Zeichen ist auch ohne Hinzutreten weiterer zur Begründung von Missbräuchen geeigneter Umstände missbräuchlich, weil die hoheitliche Zweckbestimmung der Zeichen eine Verwendung zur Verfolgung einzelner privater Interessen ausschließt.59 Ist ein „unbedenklicher“ Gebrauch des Designs möglich, steht die Möglichkeit des Missbrauchs des Designs oder von Teilen des Designs durch die Art der Verwendung oder die ungerechtfertigte Geltendmachung von Verbietungsrechten dessen Eintragung als Design nicht entgegen.60 Eine missbräuchliche Benutzung kann ferner ausgeschlossen sein, wenn das verwendete Zeichen nur eines von mehreren Gestaltungsmerkmalen ist, in seiner optischen Wirkung zurücktritt und der Verkehr aufgrund des optischen Gesamteindrucks des Erzeugnisses nicht davon ausgeht, dass eine hoheitliche Verwendung vorliegt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn gesetzliche Zahlungsmittel auf Erzeugnissen verwendet werden.61

1 LG München, GRUR-RR 2007, 266 – BMW-Welt.
2 Vgl. Eichmann, MittdtPatA 1998, 252, 254.
3 Vgl. Eichmann, MittdtPatA 1998, 252, 254; Eichmann, MarkenR 2003, 10, 17.
4 Schabenberger, WRP 2010, 892, 996; Zentek, WRP 2014, 1289, 1295 Rn. 47, 1298 Rn. 65; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2012, 200ff. – Tablet PC.
5 BGHZ 22, 209, 215 – Europapost; BGH, GRUR 1966, 97, 99 – Zündaufsatz; BGH, GRUR 1975, 81, 83 – Dreifachkombinationsschalter; BGH, GRUR 1981, 269, 271 – Haushaltsschneidemaschine II; BGH, GRUR 2005, 600, 603 – Handtuchklemmen; BGH, GRUR 2008, 153, 156 – Dacheindeckungsplatten.
6 BGH, GRUR 1965, 199, 201 – Küchenmaschine; BGH, GRUR 1962, 258, 260 – Moped-Modell.
7 BGH, GRUR 1975, 81, 83 – Dreifachkombinationsstecker.
8 BGH, GRUR 2000, 1023, 1025 – 3-Speichen-Felgenrad; OLG Frankfurt, GRUR 1995, 115, 116.
9 OLG Frankfurt, GRUR-Prax 2014, 257 – Reifenprofil.
10 Vgl. Eichmann, MittdtPatA 1998, 252, 254; Eichmann, GRUR 2000, 751, 758; MarkenR 2003, 10, 17.
11 Vgl. Eichmann, MittdtPatA 1998, 252, 255.
12 LG München, GRUR-RR 2007, 266 – BMW-Welt.
13 Vgl. Eichmann, GRUR 2000, 751, 758.
14 Vgl. Nirk/Kurtze, § 1 Rn. 108.
15 BGH, GRUR 1966, 97, 99 – Zündaufsatz.
16 Schabenberger, WRP 2010, 892, 997.
17 EuGH, WRP 2002, 924, 931, Tz. 83 – Philips/Remington; BGH, WRP 2006, 900, 902, Tz. 18 – Rasierer mit drei Scherköpfen.
18 BGH, GRUR 2005, 600, 603 – Handtuchklemmen.
19 BGH, GRUR 1964, 621 – Klemmbausteine I; BGH, GRUR 1992, 619 – Klemmbausteine II; BGH, GRUR 2000, 521 – Modulgerüst; BGH, GRUR 2005, 349 – Klemmbausteine III.
20 Vgl. Kur, GRUR 2002, 661, 664.
21 Vgl. BGH, GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III.
22 BGH, GRUR 2000, 1026 – Penistrillerpfeife; BPatG, GRUR 2004, 160, 161 – Vibratoren.
23 Vgl. v. Gamm, § 7 Rn. 13.
24 Vgl. v. Gamm, § 3 Rn. 37; BGH, GRUR 1960, 447, 448 – Comic.
25 Vgl. v. Gamm, § 3 Rn. 37; BGH, GRUR 1981, 530, 532 – PAM-Kino.
26 Vgl. Eichmann/v. Falckenstein, 2. Aufl., § 7 Rn. 72.
27 Vgl. zum MarkenG: Schultz, § 8 Rn. 115.
28 BGH, WRP 2003, 990 – DM-Tassen; BGH, WRP 2003, 992 – Euro-Billy; BGH, GRUR 2003, 708, 709 – Schlüsselanhänger.
29 BPatG, GRUR 2003, 710 – Verkehrszeichen.
30 Vgl. zum Markenrecht: Fezer, § 8 Rn. 585.
31 BGH, WRP 2004, 1177 – Abgewandeltes Verkehrszeichen.
32 BGH, WRP 2004, 1179 – Ersttagssammelblatt.
33 MittdtPatA 2004, 42.
34 BPatG, Beschluss vom 31.07.2003, Az: 10 W (pat) 703/02.
35 BGH, WRP 2003, 990 – DM-Tassen.
36 BGH, WRP 2003, 992 – Euro-Billy.
37 BPatG, GRUR 2000, 1026f., Rn. 10 – Penistrillerpfeife.
38 BGH, GRUR 2013, 729, Rn. 9 – READY TO FUCK.
39 BGH, GRUR 2013, 729, Rn. 9 – READY TO FUCK; EuG, GRUR Int. 2012, 247, Rn. 18 – PAKI.
40 BGH, GRUR 2000, 1026 – Penistrillerpfeife; BGH, GRUR 2002, 360 – H.I.V. POSITIVE II; BPatG, GRUR 2004, 160 – Vibratoren; BGH, GRUR 2013, 729, Rn. 9 – READY TO FUCK; Eichmann/v. Falckenstein, § 3 Rn. 19; Nirk/Kurtze, § 7 Rn. 16.
41 BPatG, GRUR 2004, 160 – Vibratoren; BPatG, MittdtPatA 2006, 88 (BeckRS 2011, 28558) – Flasche in Form eines Sperma; Eichmann/v. Falckenstein, § 3 Rn. 19.
42 BGH, GRUR 2000, 1026 – Penistrillerpfeife; BGH, GRUR 2002, 360 – H.I.V. POSITIVE II; BPatG, GRUR 2004, 160 – Vibratoren.
43 BPatG, GRUR-RR 2012, 467, Rn. 26 – Hl. Hildegard.
44 BPatG, Beschluss vom 14.11.2013 – 30 W (pat) 704/13 (BeckRS 2014, 01384).
45 BVerfG, GRUR 2001, 170, 172 – Schockwerbung Benetton; BVerfG, GRUR 2003, 442 – Schockwerbung Benetton II; BVerfG, GRUR 2008, 81 – Pharmakartell.
46 BPatG, GRUR 2004, 160 – Vibratoren; BPatG, MittdtPatA 2006, 88 (BeckRS 2011, 28558) – Flasche in Form eines Sperma.
47 BPatG, GRUR 2004, 160, 161 – Vibratoren.
48 Vgl. Gesetzesbegründung, BlPMZ 2004, 222, 229.
49 Vgl. Eichmann/v. Falckenstein, § 3 Rn. 21.
50 Vgl. zum Markenrecht: Fezer, § 8 Rn. 601; Art. 6ter PVÜ Rn. 2.
51 Vgl. zum Markenrecht: Fezer, Art. 6ter PVÜ Rn. 3.
52 Vgl. Eichmann/v. Falckenstein, § 3 Rn. 25.
53 BPatG, MittdtPatA 2013, 145 (BeckRS 2012, 22881) – 100 Euro-Banknote.
54 Vgl. zum Markenrecht: Fezer, § 8 Rn. 604ff.; Eichmann/v. Falckenstein, § 3 Rn. 25.
55 Vgl. zum Markenrecht: Fezer, § 8 Rn. 608.
56 BGH, WRP 2004, 1177 – Abgewandeltes Verkehrszeichen.
57 Vgl. Eichmann/v. Falckenstein, § 3 Rn. 25.
58 BPatG, GRUR 2002, 337 – Schlüsselanhänger; Eichmann/v. Falckenstein, § 3Rn. 26ff.
59 BPatG, MittdtPatA 2013, 145.
60 BGH, GRUR 2003, 705, 706 – Euro-Billy; BGH, GRUR 1972, 704, 707 – Wasser-Aufbereitung.
61 Vgl. Eichmann/v. Falckenstein, § 3 Rn. 27 m.w.N.
 
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