V Vorwort
„The first question you should ask yourself when building an AI system is; can we do it without AI?“
(Common Sense im Machine Learning)
Unser Buch ist ein Frühwerk und doch eines, das die Essenz von fast drei Jahren intensiver Auseinandersetzung mit dem AI Act in sich trägt. Die Erkenntnisse und Einsichten, die auf den folgenden Seiten von AI Act kompakt gesammelt sind, speisen sich aus unserer langjährigen Begleitung von Machine-Learning-Projekten in Forschung und Entwicklung. Von Dynamic Pricing über biometrische Identifikation bis hin zu Social CRMs und Systemen zur Sprach- und Emotionserkennung – wir haben all diese Technologien bereits auf unseren Tischen seziert. Das ist die technische Seite. Seit 2022 jedoch fokussieren wir uns auf die spezifische Regulierung von Machine Learning, also das, was heute als „künstliche Intelligenz“ die Runde macht.
Die frühzeitige Organisation von Compliance entlang der AI Supply Chain für Unternehmen und Organisationen weltweit zwang uns dazu, uns schon lange vor der offiziellen Einführung des AI Acts mit Themen wie Model Disgorgement durch die FTC, Bias Audits in New York und dem ersten umfassenden AI-Gesetz, dem Colorado AI Act, zu beschäftigen. Ohne unsere enge Vernetzung mit Kolleg:innen aus verschiedensten Fachdisziplinen weltweit wären wir nicht in der Lage gewesen, die Entwicklungen zu durchdringen und entsprechend zu handeln, besonders nicht angesichts des Booms generativer AI Systems. Doch wir hatten das Glück, auf gute Freunde zählen zu können.
Teils aus Neugier, teils im Auftrag, aber stets mit Begeisterung haben wir seit 2017 bei der IEEE an der Standardisierung von Algorithmic Bias Consideration (P7003) mitgewirkt, bereits 2018 Algorithmic Impact Assessments durchgeführt, 2020 unmittelbar vor der Pandemie die ersten Fundamental Rights Impact Assessments verfasst und Ende 2022 die ersten Bias Audits von Automated Employment Decision Tools nach dem New Yorker Local Law 144 begleitet. 2023 überprüften wir das automatisierte Kreditscoring von Banken nach der Schufa auf Diskriminierungsfreiheit und zählen heute zu den Vorreitern bei der Implementierung von AI-Managementsystemen nach ISO 42001. Und dennoch fühlen wir uns angesichts der schieren Menge und Vielfalt des Themas „künstliche Intelligenz“ immer wieder wie Anfänger. Mehr als einmal mussten wir unsere Annahmen revidieren und unsere Bewertungen anpassen – das Technologiefolgenrecht hinkt der Technologie selbst eben oft hinterher.
In diesem Buch geht es nicht um juristische Haarspalterei – dafür war uns die Zeit zu schade. Vielmehr wollen wir Verständnis schaffen und praxisnahe
Der AI Act ist handwerklich kein gutes Gesetz. Er wimmelt von Eigentümlichkeiten, sprachlichen Verwirrungen, Wiederholungen, Lücken und Widersprüchen. Aber die großen Linien sind erkennbar, und wir haben uns alle Mühe gegeben, nicht aus jeder sprachlichen Mücke einen rechtlichen Elefanten zu machen, sondern der Praxis eine Handreichung zu bieten, mit der Provider und Deployer den richtigen Weg einschlagen können.
Und wir hatten Freude an der Arbeit – so wie auch an unserem Podcast „RegInt: Decoding AI Regulation“, in dem wir seit 2023 monatlich diejenigen informieren und unterhalten, die an Regulierung, Technologie und den Hintergründen von AI interessiert sind. Wir haben die verfügbare Literatur der letzten Jahre gesichtet und die aktuellen Forschungsergebnisse der Jahre 2020 bis 2024 dort einbezogen, wo sie uns zum Verständnis der gesetzgeberischen Begriffe und Intentionen relevant erschienen. Der AI Act fiel nicht vom Himmel; er basiert in wesentlichen Teilen auf genau diesen Forschungsergebnissen und gesellschaftlichen Entwicklungen – dem Lobbying von Unternehmen genauso wie dem Engagement zivilgesellschaftlicher NGOs.
Einen großen Mehrwert unseres Buches sehen wir in einem weiteren Schwerpunkt: den Standards, Berichten und Guidelines von ISO, IEC, IEEE sowie CEN/CENELEC. Wir geben sogar Einblicke in solche, die sich noch im nichtöffentlichen Entwurfsstadium befinden. Warum? Weil ohne das in diesen Standards verdichtete Fachwissen die Kernanforderungen des AI Acts nur schwer zu verstehen sind. Standardisierung hat den Vorteil, dass juristische, naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Stakeholder auf eine gemeinsame Terminologie und ein gemeinsames Verständnis zurückgreifen können. Glauben Sie uns: Das Wissen um und aus interdisziplinären Standards ist bei der praktischen Umsetzung von AI-Act-Compliance deutlich wichtiger als die Lektüre der neuesten juristischen Fachzeitschrift.
Und nun, viel Spaß beim Lesen!
Leipzig, im September 2024 | Tea und Peter |