V Vorwort der Herausgeber
Die Entwicklung zur Nachhaltigkeit als signifikanter Aspekt wirtschaftlichen Handelns – Grundlage für mehr Nachhaltigkeit im deutschen Recht
A. Entwicklungen seit 1972
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In Zeiten globaler Ressourcenverknappung hat sich gezeigt, dass es nicht mehr ausreicht, Nachhaltigkeit für die rein gewinnorientierte Betätigung als Voraussetzung für eine „ernsthafte“ gewerbliche Betätigung zu postulieren. Vielmehr sollte jedes wirtschaftliche Handeln nachhaltig sein, d.h. schonend mit sämtlichen betroffenen Ressourcen umgehen. Dieser Wandel im Denken manifestierte sich erstmals mit dem Bericht der gemeinnützigen Organisation „Club of Rome“ von 1972: „Die Grenzen des Wachstums – Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit“.1
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Ausgangspunkt für eine zeitgemäße, konkrete Definition der Nachhaltigkeit war der Brundtland-Bericht von 1987.2 Hier wurde Nachhaltigkeit als eine Entwicklung definiert, die gewährt, dass künftige Generationen nicht schlechter gestellt sind, ihre Bedürfnisse zu befriedigen als gegenwärtig Lebende. Eine andere, eher wirtschaftlich ausgerichtete Definition der Nachhaltigkeit bestimmt, dass Nachhaltigkeit „[...] nicht bedeutet, Gewinne zu erwirtschaften, die dann in Umwelt- und Sozialprojekte fließen, sondern Gewinne bereits umwelt- und sozialverträglich zu erwirtschaften.“3
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Aus diesen unterschiedlichen Definitionsansätzen hat sich die Einordnung der Nachhaltigkeit in einem Zieldreieck zwischen wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit entwickelt.4
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Der Begriff der Nachhaltigkeit prägt die wissenschaftliche Literatur in vielen Gebieten. Auch im Bereich der rechtlichen und steuerlichen Gestaltung ist diese Begrifflichkeit inzwischen präsent. Bereits 1994 wurde in Deutschland in Art. 20a GG als Staatszielbestimmung der Schutz der natür
B. Die UN-Nachhaltigkeitsziele von 2015
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Konkret und diversifiziert in 17 Einzelziele wurden 2015 die von der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung6 propagierten Nachhaltigkeitskriterien („Sustainable Development Goals, SDG“)7 eingeführt, wobei vorliegend insbesondere, aber nicht abschließend, Ziel 8: „gute Arbeitsplätze und wirtschaftliches Wachstum“ („Decent Work and Economic Growth“) relevant sein dürfte. Ergänzend können auch die Nachhaltigkeitsziele 4 („Quality Education“), 7 („Affordable and Clean Energy“), 9 („Industry, Innovation and Infrastructure“), 12 („Responsible Consumption and Production“) und 13 („Climate Action“) Einfluss auf wirtschaftliches Handeln haben. Mit diesen 2015 verabschiedeten 17 UN-Nachhaltigkeitszielen wurde ein starker Impuls zur Umsetzung von Nachhaltigkeit in allen Lebensbereichen für das Jahr 2030 gesetzt. Im Bereich der Wirtschaft ist hier insbesondere die wirtschaftliche Nachhaltigkeit bestimmend, also die Frage des wirtschaftlichen Handelns durch Gestaltung von Rahmenbedingungen.
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Die wirtschaftliche Nachhaltigkeit, verstanden als Teil der Trias aus ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit, hat Potenzial zur Implementierung in vielen Rechtsgebieten. So stellen sich Nachhaltigkeitsfragen im Spannungsfeld mit Haftungsrisiken bei Kapitalgesellschaften. Hier stellt sich die Frage, inwieweit Defizite beim nachhaltigen Handeln ggf. bereits zur Entstehung von Haftungsansprüchen führen können. Die bereits vor einiger Zeit entwickelte Business Judgement Rule würde in diesem Fall der Korrektur durch Grundsätze der Nachhaltigkeit bedürfen.
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Ein weiteres Thema bei Kapitalgesellschaften ist die Frage der Schaffung einer Gesellschaftsform für nachhaltiges Unternehmertum, die durch eingeschränkten Zugriff auf Vermögen und Gewinne durch Gesellschafter einerseits und Unternehmensnachfolge durch eine Wertefamilie andererseits geprägt ist – zusammengefasst mit dem umstrittenen Begriff des Verantwortungseigentums sowie dem Begriff der Vermögensbindung umschrieben.
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Ein anderer Aspekt ist die Frage, inwieweit auch Aufsichtsrecht als Korrektiv bei der Aufsichtstätigkeit die Nachhaltigkeit verfolgen sollte oder gar muss.
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Im Steuerrecht wiederum wurden bereits durch das Klimaschutzgesetz und ergänzende steuerliche Vorschriften aus Sicht der ökologischen Nachhaltigkeit gesetzliche Regelungen erlassen, die nachhaltiges Handeln des Bürgers durch Lenkungsinstrumentarien des Steuerrechts sanktionieren bzw. fördern.
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Zudem stellt sich die Frage, inwieweit die immer stärkere digitale Transformation, insbesondere die Verlagerung von Rechtsgeschäften, Recherchen, Entscheidungen und Zusammenkünften bis hin zu Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften (eine Entwicklung, die mit dem Begriff des Datamining nicht vollständig erfasst wird), mit ökologischer Nachhaltigkeit vereinbar ist. Inzwischen ist allgemein bekannt, dass der Energieverbrauch und damit auch der Verbrauch von Ressourcen an nicht erneuerbaren Energien durch die Nutzung des Internet jährlich signifikant steigen.
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Hiermit im Zusammenhang steht auch die Frage, ob verbraucherschützende Widerrufsrechte im E-Commerce einen Fehlanreiz setzen und Retouren von online bestellten Produkten das Ziel der Nachhaltigkeit torpedieren. Wie kann dem gesetzgeberisch wirksam begegnet werden? Ein weiterer nachhaltigkeitsrelevanter Bereich ist das Datenschutzrecht und die Frage, inwieweit die Vorgaben zur Aufsicht und Sicherung allgemeinen Nachhaltigkeitserwägungen entsprechen.
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Schließlich stellt sich bei rechtlichen Erörterungen zur Nachhaltigkeit nicht zuletzt auch die Frage, inwieweit die gesetzgeberischen Regelungen, z.B. das Klimaschutzgesetz, in Grundrechte des Bürgers eingreifen. Inwieweit sind Grundrechte betroffen und halten sich ggf. erfolgte Eingriffe in den verfassungsmäßigen Schranken? Hier ist der verfassungsrechtliche Blick auf die Abwägung der Rechtsgüter, die durch nachhaltiges Handeln geschützt werden, und die Individualgrundrechte lohnend.
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Im Rahmen der nachfolgenden Beiträge werden die beteiligten Autoren Fragen der Nachhaltigkeit im Recht jeweils aus den genannten, unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten. Die Herausgeber erhoffen sich, durch die Beschäftigung mit dieser Thematik innovative und zukunftsweisende Denkanstöße zur Rechtsfortbildung in einer immer stärker durch Nachhaltigkeitsaspekte geprägten Gesellschaft zu geben.
Mannheim/Düsseldorf, 12.10.2022
Die Herausgeber
Hans-Jörg Fischer | Matthias Amort |
1 | Meadows/Meadows/Randers/Behrens, The Limits to Growth, A Report for the Club of Rome’s Project on the Predicament of Mankind, 1972, https://www.library.dartmouth.edu/digital/digital-collections/limits-growth (Abruf vom 18.7.2022). |
2 | Report of the World Commission on Environment and Development, „Brundtland-Report“, vom 4.8.1987, Rn. 24, https://en.wikisource.org/wiki/Brundtland_Report (Abruf vom 9.4.2022). |
3 | Pufé, Nachhaltigkeit, 2. Aufl. 2014, S. 16. |
4 | So der Abschlussbericht der Enquête-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt – Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung, BT-Drs. 13/11200, 26.6.1998, S. 18, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/13/112/1311200.pdf (Abruf vom 4.4.2022). |
5 | Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes, BGBl. I 1994, S. 3146. |
6 | Hierzu im Überblick: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V., https://nachhaltig-entwickeln.dgvn.de/agenda-2030/ziele-fuer-nachhaltige-entwicklung/ (Abruf vom 26.4.2022). |
7 | Sustainable Development Goals, vgl. https://sdgs.un.org/goals (Abruf vom 9.4.2022). |