Das HinschG (k)ein Erfolg?
„Der Fokus sollte sich verstärkt auf die Verhältnisse in Politik und Verwaltung richten.“
Nach Schätzungen des Gesetzgebers sollten bei der externen Meldestelle des BfJ pro Jahr etwa 3.000 Meldungen eingehen. Nach Auffassung der EU-Kommission soll das Meldungsaufkommen in einem Zeitraum von fünf Jahren um weitere 200 % steigen. Daher wurde für die externe Meldestelle des Bundes ein Personalbedarf von 29,5 Stellen angesetzt. Dies führt bei der externen Meldestelle zu Kosten in Höhe von 13,4 Mio. EUR und für den jährlichen Betrieb zu rund 5,4 Mio. EUR (RefE Hinweisgeberschutzgesetz, S. 55). Wie sieht es in der Realität aus? Seit Inkrafttreten des HinSchG am 2. 7. 2023 sind bei der externen Meldestelle 419 Meldungen eingegangen, davon 168 anonym (BMJ vom 5. 1. 2024, FAZ vom 28. 01. 2024). Dabei ist unbekannt, ob diese überhaupt relevant waren und welche Folgen sich daraus ergeben haben. Ebenfalls unbekannt sind Anzahl, Relevanz und die Qualität der Meldungen an Meldestellen der Bundes- und Landesverwaltungen sowie Unternehmen der öffentlichen Hand.
Ist dies aber nun ein Erfolg oder ein Misserfolg? Die Beantwortung der Frage hängt von der Erwartungshaltung des Fragestellers und der Einschätzung der deutschen Wirtschaft sowie (möglicher) Hinweisgeber ab.
Blickt man auf die eingangs dargestellten Schätzungen zum Meldungsaufkommen, steht dahinter die Vermutung, dass die zu erwartenden Meldungen relevante Meldungen zu schwerwiegenden Gesetzesverstößen in der deutschen Unternehmenslandschaft sein müssen, es also weit verbreitete schwerwiegende Gesetzesverstöße oder korruptive Strukturen geben müsse, die auf die Aufdeckung warten. Das Ausbeleiben einer Zunahme von Meldungen ist daher positiv zu werten, da die vermuteten weitverbreiteten Rechtsverstöße offensichtlich nicht vorliegen. Auch ist seit Inkrafttreten des HinschG kein verstärktes Aufkommen von Meldungen bei internen Meldestellen bekannt. Dies sollte den Gesetzgeber zu einer Überprüfung seiner Wahrnehmung der Wirtschaft ermutigen – und in eine andere Richtung lenken.
Leider scheinen in der Politik die positiv stimmenden sehr niedrigen Zahlen des Meldungsaufkommens keinen positiven Eindruck zu hinterlassen. Tatsächlich werden von der Politik zahlreiche Institutionen gefördert, die Meldeplattformen unterschiedlichster Inhalte unterhalten, bei denen unliebsames Verhalten unterhalb der Strafbarkeitsschwelle gemeldet werden soll. Diese sogenannten NGOs (Near Government Organisations) sind zum großen Teil staatlich finanziert und das Personal ist in der Regel parteinah besetzt. Wozu dies führen soll, bleibt im Dunkeln.
Rechtsstaatlich ausgesprochen kritisch ist die Tendenz, dass staatliche und nahestehende Institutionen die Bespitzelung von Unternehmen und Bürgern vorantreiben, während besonders schwerwiegende Compliance-Verstöße nicht dort, sondern in Politik und Verwaltung zu verorten sind. Aus der jüngsten Vergangenheit nur beispielhaft zu nennen sind Korruptionsvorwürfe gegen die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Eva Kaili, Zahlungen Aserbaidschans an EU-Parlamentarier, Vetternwirtschaft in Sachen Graichen oder in der NRW-Justiz, Selbstbedienung beim ÖRR, Nordstream-Stiftung usw.
Tatsächlich sollte sich der Fokus der Bekämpfung von Compliance-Verstößen verstärkt auf die Verhältnisse in Politik und Verwaltung richten. Es bietet sich an, hier Whistleblowing zu stärken, statt zu schwächen, wie dies mit den Regelungen der §§ 5 und 6 des HinschG faktisch geschieht.
Als Fazit zu einem Jahr HinschG kann festgestellt werden, dass Compliance-Strukturen in der deutschen Wirtschaft fest etabliert sind und funktionieren. Das HinschG hat insoweit weder besondere Anreize geschaffen oder gar einen Fortschritt initiiert. Wichtige offene Fragen wurden durch das HinschG nicht geregelt, insbesondere die Beschlagnahmefreiheit bei der Hinweisgeberstelle, Rechtsnatur der ausgelagerten internen Meldestelle u. ä. Auch gewährt das HinschG dem Hinweisgeber faktisch nicht mehr Schutz als dies vor Inkrafttreten des HinSchG der Fall war. Tatsächlich wird der Hinweisgeber in trügerischer Sicherheit gewogen, da er ohne rechtlichen Beistand kaum feststellen kann, ob seine Meldung in den Anwendungsbereich nach § 2 HinSchG fällt oder nicht. Ausgesprochen bedenklich ist, dass Hinweisgeber, die Verstöße bei der öffentlichen Hand offenlegen möchten, faktisch schutzlos gestellt sind, da die Regelungen der §§ 5 und 6 HinSchG selbst banalste Vorgänge unter Hinweis auf sicherheitsrelevante Vorgänge dem Schutz des HinSchG entziehen. Somit ist leider festzustellen, dass das HinschG außer einem Zuwachs an Formalismus nicht als Erfolg gewertet werden kann. Auf Nachbesserungen ist zu hoffen.
Dr. Malte Passarge ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht und Partner in der Kanzlei HUTH DIETRICH HAHN Rechtsanwälte PartGmbB, Vorstand des Instituts für Compliance im Mittelstand (ICM) und Geschäftsführer von Pro Honore e. V. sowie Chefredakteur des Compliance-Beraters.