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Der Kaiser ist nackt!

Die Unfähigkeit, Inkompetenz und Korruption einzugestehen und konsequent zu bekämpfen, hat schon unendlich viel Kapital vertilgt.

Abbildung 1

Erinnern Sie sich an das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“? Eine sehr kluge Geschichte: Es war einmal ein eitler Kaiser, der sehr viel Wert auf sein Äußeres legte. Nun, das ist ja nicht so schlimm, seien wir ehrlich, Eitelkeit ist eine wichtige Triebfeder auch für den wirtschaftlichen Erfolg. Doch eines Tages kamen Betrüger zum Hofe, die sich die Eitelkeit des Kaisers zu Nutze machen wollten. Sie sagten dem Kaiser, dass sie die schönsten und prächtigsten Kleider weben könnten. Doch seien Farben und Muster der Gewänder nicht nur ungewöhnlich schön, vielmehr hätten sie die Eigenschaft, dass sie für dumme Menschen unsichtbar seien und nur von Menschen gesehen werden könnten, die ihres Amts würdig und besonders klug sind. Dies gefiel dem Kaiser und er beauftragte die Betrüger für viel Geld diese besonderen Gewänder zu weben. Sie erinnern sich, die Betrüger überreichten dem Kaiser unsichtbare Gewänder, nein, es gab sie gar nicht.

Der Kaiser wundert sich zunächst, dass er die Gewänder nicht sehen kann, erinnert sich aber, dass diese ja nur von klugen Menschen gesehen werden können. Aber er will ja nicht zu den dummen Menschen gehören und glaubt den Scharlatanen mehr, als seinen eigenen Sinnen. Aus Eitelkeit und Unsicherheit lässt er sich also die „unsichtbaren“ Gewänder umlegen. Aus Furcht um ihre Stellung spricht keiner der Hofleute, nicht einmal der treueste Minister, die offensichtliche Wahrheit aus.

Als der Kaiser den Hof für eine Parade verließ, um dem Volk stolz seine neuen Gewänder zu präsentieren, glaubten auch diese mehr der Propaganda, als ihren Augen. Erst als ein Kind ausruft, der Kaiser habe gar keine Kleider an und ist nackt, fliegt der Schwindel auf.

Nun gibt es zwei Varianten, wie es weitergeht: Bei der einen ist auch der Kaiser einsichtig und erkennt, dass er nackt ist. Er sieht aber selbstkritisch ein, dass er dies aushalten muss, nimmt die (unsichtbare) Schleppe und setzt die Parade fort. Bei der anderen Variante sieht sich der Kaiser bestätigt, das Volk ist eben dumm und kann seine Kleider daher nicht sehen.

Kommt Ihnen das nicht bekannt vor? Auch in der Realität findet man dies laufend. Allzu oft wird über Selbstverständlichkeiten fabuliert und das Offensichtliche weggeredet. In der Wirtschaftspresse finden sich regelmäßig Führungskräfte, die, nachdem etwas schiefgegangen ist, über nichts Bescheid wussten. Die in dem von ihnen geführten Unternehmen niemals wussten, was vor sich ging, allerdings viel Geld für dieses Unwissen erhielten. Werden sie dennoch erwischt und verurteilt fehlt es an der Haltung, das eigene Fehlverhalten einzugestehen und zu tragen. Oft entscheidet man sich gegen die Wahrheit, gegen das eigene Bauchgefühl, weil der kurzfristige materielle und ökonomische Vorteil schwerer zu wiegen scheint. Dies dreht sich langfristig in wirtschaftliche Nachteile oder gar schwerwiegende Schieflagen. Für Unternehmen wie Personen. Geht es dann schief, wird das Versagen offensichtlich, will es keiner gewesen sein. Wenn es nicht anders geht, ist Adressat der externe Ombudsmann oder gleich die Medien. Offene Fehlerkultur ist gut, aber nicht bei uns.

Zum Verdrängen des Offensichtlichen gehören aber immer zwei. Zum einen derjenige, der seinen Sinnesorganen nicht trauen mag, und dem der Mut fehlt, dem Bauchgefühl zu folgen und das Offensichtliche auszusprechen. Zum anderen gehört dazu derjenige, der eine Stimmung erzeugt, die Kritik im Vorhinein unterbindet und selbst dann, wenn es nicht anders geht, Realitätsverweigerung betreibt.

Warum fällt es uns so schwer Fehlverhalten, Unvermögen, Inkompetenz, Korruption und sogar offensichtlichen Betrug als solches zu benennen? Bekanntermaßen ist die Hemmschwelle, White-Collar-Crime zu bestrafen, recht hoch. Doch geht es hier um Vermögenswerte, Arbeitsplätze und Reputation, die sehenden Auges vernichtet werden. Die Unfähigkeit, Inkompetenz und Korruption einzugestehen und konsequent zu bekämpfen, hat schon unendlich viel Kapital vertilgt, viele Unternehmen in die Pleite getrieben, Arbeitsplätze vernichtet und Börsenkurse abrutschen lassen. Tatsächlich werden so ungleich größere Schäden angerichtet, als bei einem schmuddeligen Bankraub. Aber warum wehrt man sich so wenig dagegen? Warum lässt man das mit einem Lächeln geschehen und winkt dem Schädiger noch freundlich hinterher? Warum ist es in unserer doch sehr kommoden Gesellschaft nur so schwierig geworden, das Offensichtliche auszusprechen? In Sport, Gesellschaft, Politik und im unternehmerischem Alltag scheint Kritik das allerschlimmste zu sein, v. a., wenn sie berechtigt ist. Doch was tun wir, wenn wir einsehen müssen, dass wir wirklich nackt sind?

Dr. Malte Passarge ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht in der Kanzlei Passarge, Prudentino & Rhein PartGmbB – Studio Legale sowie Vorstand des Instituts für Compliance im Mittelstand (ICM) und Geschäftsführer von Pro Honore e. V. und Chefredakteur des Compliance-Beraters.

 
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