Menschenrechte in der Wertschöpfungskette
Mehrere europäische Staaten haben bereits Gesetze erlassen oder initiiert, um die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte umzusetzen und Unternehmen zu größerer Sorgfalt beim Schutz von Menschenrechten entlang der Lieferkette zu verpflichten.
Auch das hierzulande zuständige Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) verschärft nun die Gangart und hat im Entwurf eines Gesetzes zur nachhaltigen Gestaltung globaler Wertschöpfungsketten (NaWKG) die Eckpunkte für höhere Compliance-Anforderungen an deutsche Unternehmen vorgelegt. Bestandteil des NaWKG soll ein Sorgfaltspflichtengesetz zur Regelung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten in globalen Wertschöpfungsketten sein. Überraschend ist das nicht, bereits im Koalitionsvertrag hatten die Regierungsparteien festgehalten, sich „für eine konsequente Umsetzung des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP)“ einzusetzen.
Mit der Gesetzesinitiative nimmt das BMZ die Ergebnisse der im Mai anlaufenden stichprobenartigen Erhebung vorweg, in der ca. 1.800 Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern befragt werden, wie sie die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten umsetzen. Nach aktuellen Medienberichten kennen allerdings nur die Hälfte der in der Stichprobe befragten Unternehmen den NAP. Entsprechend steht in Frage, ob die Selbstverpflichtung der Unternehmen ausreicht oder es weiterer gesetzlicher Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte bedarf.
Wertschöpfungskettengesetz bezieht Großteil des deutschen Mittelstands mit ein.
Der Entwurf des Wertschöpfungskettengesetzes legt Unternehmen in Hochrisikosektoren wie Landwirtschaft oder Textilindustrie sowie in Gebieten mit bewaffneten Konflikten einen umfassenden Menschenrechtsschutz auf. Werden die Vorschriften nicht beachtet, drohen empfindliche Strafen. Der persönliche Schutzbereich betrifft Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern bzw. einer Bilanzsumme von über 20 Millionen Euro oder einem Umsatz von über 40 Millionen Euro. Damit sind nicht nur Konzerne, sondern es ist auch ein Großteil des deutschen Mittelstands betroffen.
Bei ihrer Tätigkeit haben Unternehmen eine besondere Sorgfalt an den Tag zu legen. Dazu gehört unter anderem eine jährliche Risikoanalyse, bei der nicht nur die Risiken in der Lieferkette zu untersuchen sind, sondern auch inwieweit die Produkte oder Dienstleistungen des Unternehmens zu einem Risiko beitragen. Das bedeutet, dass die betroffenen Unternehmen umfassende Sorgfaltspflichten gegenüber ihren potentiellen direkten und indirekten Abnehmern haben. In diesem Rahmen ist eine Menschenrechts- und umweltbezogene Geschäfts- und Wertschöpfungskettenpolitik festzulegen und diese gegenüber Mitarbeitern, Geschäftspartnern und der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Die Unternehmen werden verpflichtet, Beschwerdemechanismen sowie Hinweisgebersysteme einzurichten. Auch eine umfassende Dokumentation und Berichtspflicht zu den ergriffenen Compliance-Maßnahmen sind vorgesehen. Besonders bemerkenswert ist, dass Compliance-Beauftragte bestraft werden können, falls sie bewusst entweder „falsche Angaben in der Dokumentation der Erfüllung der Sorgfaltspflichten machen“ oder es unterlassen, Abhilfe oder Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. Das führt faktisch zu der verpflichtenden Einführung einer umfassenden Prüfung von Geschäftspartnern.
Es ist grundsätzlich richtig, dass die Unternehmen ihre Menschenrechts-Compliance ausweiten und die Risikoprävention in Bezug auf etwaige Menschenrechtsverletzungen bei Zulieferern und Abnehmern verstärken. Allerdings stellt sich die Frage, ob der gewählte Ansatz nicht deutlich über das Ziel hinausschießt. Zum einen werden Compliance-Anforderungen formuliert, die weit über denen von hoch regulierten Industrien-wie der Finanzwelt-liegen. Zum anderen hantiert der Gesetzesentwurf mit einer Unzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen. Damit entstünde erhebliche Rechtsunsicherheit.
Hier sollte unbedingt nachgebessert werden. Der Schutz von Menschenrechten darf nicht dazu führen, dass Unternehmen mit einem hohen Anspruch an ihre unternehmerische Verantwortung sich aus den genannten Hochrisikosektoren und -ländern zurückziehen. Ihr Platz könnte dann von Wettbewerbern mit einem geringeren Verantwortungsgefühl eingenommen werden, deren Hauptverwaltung außerhalb Deutschlands liegt. Insgesamt stellt sich die Frage, ob eine entsprechende Regulierung nicht besser auf EU-Ebene vorangetrieben werden sollte. Es ist international tätigen EU-Unternehmen nicht zuzumuten, in jedem EU-Mitgliedsstaat unterschiedliche menschenrechtliche Sorgfaltspflichten zu beachten. Eine entsprechende Initiative könnte während der deutschen Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte 2020 vorangetrieben werden.
Michael Wiedmann ist Of Counsel bei Norton Rose Fulbright in Frankfurt. Er berät in Compliance-, Governance- und Corporate-Angelegenheiten.