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CNL 2022, 9
Caliebe/Güler 

Betriebsratswahlen 2022 mittels reiner Briefwahl?

Die regulären Betriebsratswahlen haben am 1. März 2022 begonnen. Gleichzeitig stellen sich Arbeitgeber und die zu den Betriebsratswahlen Einladenden die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Wahlen ausnahmsweise generell per Briefwahl durchgeführt werden können. Denn für die Betriebsratswahlen gilt eigentlich der Grundsatz der persönlichen Stimmabgabe vor Ort im Wahlraum.

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Betriebsratswahl: In der Pandemie möchte so mancher vom Grundsatz der persönlichen Stimmabgabe abweichen.

Auch nach der jüngsten Änderung der Ersten Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes („Wahlordnung“ oder kurz: WO) im vergangenen Jahr bleibt die Stimmabgabe mittels Briefwahl nach der maßgeblichen Vorschrift des § 24 WO nur unter engen gesetzlichen Voraussetzungen zulässig.

Nach den gesetzlichen Vorgaben zur Briefwahl können einerseits wahlberechtigte Arbeitnehmer die Briefwahl verlangen, soweit sie zum Zeitpunkt der Wahl wegen einer Abwesenheit vom Betrieb an der persönlichen Stimmabgabe verhindert sind. Die Voraussetzungen für die Briefwahl muss der Wahlvorstand aber dennoch auch bei einem derartigen Verlangen des Wahlberechtigten prüfen.

Darüber hinaus hat der Wahlvorstand die Briefwahl gemäß § 24 Abs. 2 WO auch ohne ein solches Verlangen des Wahlberechtigten „von Amts wegen“ zu ermöglichen, soweit ihm bekannt ist, dass die Wahlberechtigten

– nach der Eigenart des Beschäftigungsverhältnisses im Zeitpunkt der Wahl voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden (etwa bei Außendienstmitarbeitern sowie in Telearbeit und Heimarbeit Beschäftigten), oder

– vom Erlass des Wahlausschreibens bis zum Zeitpunkt der Wahl aus anderen Gründen voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden (etwa bei ruhenden Arbeitsverhältnissen oder Arbeitsunfähigkeit).

Die Wahlordnung sieht eine pauschale Anordnung der Briefwahl dagegen gemäß § 24 Abs. 3 WO nur für Betriebsteile und Kleinstbetriebe vor, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind, jedoch betriebsverfassungsrechtlich zum Hauptbetrieb gehören. Eine reine Briefwahl für alle Wahlberechtigten eines Betriebes, der nicht lediglich räumlich weit entfernter Betriebsteil oder Kleinstbetrieb ist, lässt sich hieraus jedoch nicht ableiten.

Nach der gesetzlichen Wertung muss also anhand des Einzelfalles beurteilt werden, ob die persönliche Stimmabgabe am Wahltag weiterhin möglich ist. Ein solcher die Ausnahme begründender Einzelfall kann etwa bei einer Abwesenheit aufgrund von Urlaub, Krankheit oder Kurzarbeit vorliegen, wenn bekannt und absehbar ist, dass die persönliche Verhinderung des einzelnen Wahlberechtigten auch am Wahltag besteht. Auch eine generelle Durchführung der Betriebsratswahl durch reine Briefwahl innerhalb eines Betriebes müsste also in jedem Einzelfall von der Ausnahmeregelung gedeckt sein.

Auch im Lichte der Pandemie sieht die Wahlordnung keine speziellen Ausnahmen vor, die zu einer Befugnis des Wahlvorstands zur einseitigen Anordnung der Briefwahl führen. Sondervorschriften für Betriebsratswahlen unter pandemischen Bedingungen wurden im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und der WO nicht geschaffen. Es gelten auch hier die allgemeinen Regelungen. Die Abwesenheit vom Betrieb muss sich also auch bei den Betriebsratswahlen 2022 unter Pandemiebedingungen aus der konkreten Eigenart des Beschäftigungsverhältnisses oder der persönlichen Sphäre des Wahlberechtigten ergeben. Allein das der Pandemie geschuldete von außen einwirkende Erfordernis des Gesundheitsschutzes stellt gerade keinen Ausnahmefall im Sinne der Wahlvorschriften dar und kann den Grundsatz der persönlichen Stimmabgabe daher nicht durchbrechen.

Damit stellen auch Fälle eines (Corona-)Homeoffice per se keinen Ausnahmefall für eine (reine) Briefwahl dar. Dennoch kann auch hier im Einzelfall eine Briefwahl gerechtfertigt sein: Das Homeoffice kann eine zur Briefwahl berechtigende Ausnahme darstellen. Hierzu müssten sich aber sämtliche Wahlberechtigten eines Betriebes in bekannter und absehbarer Weise zum Zeitpunkt der Wahl im Homeoffice befinden. Dies setzt bereits von vornherein fest durch den Arbeitgeber vorgegebene Homeoffice-Tage voraus, an denen der einzelne Wahlberechtigte regulär nicht im Betrieb anwesend ist.

In der generellen Anordnung einer reinen Briefwahl für alle Arbeitnehmer eines Betriebes kann daher aufgrund Verstoßes gegen wesentliche Wahlvorschriften ein Grund für die Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl gemäß § 19 BetrVG liegen. Eine mögliche Abkehr vom Grundsatz der persönlichen Stimmabgabe in Form der Urnenwahl bringt möglicherweise der Ende des Jahres 2021 veröffentlichte Koalitionsvertrag. Die Ampelkoalition setzt sich nämlich unter dem Punkt „Mitbestimmung“ zum Ziel, Online-Betriebsratswahlen in einem Pilotprojekt zu erproben.

Victoria Caliebe und Aylin Güler

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Rechtsanwältin Victoria Caliebe ist in der arbeitsrechtlichen Praxis bei Rödl & Partner in Nürnberg tätig. Frau Caliebe berät mittelständische und große Unternehmen in allen individual- und kollektivrechtlichen Fragestellungen des nationalen Arbeitsrechts, insbesondere an der Schnittstelle zum Insolvenz- und Gesellschaftsrecht.

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Rechtsanwältin Aylin Güler ist in der arbeitsrechtlichen Praxis bei Rödl & Partner in Nürnberg tätig. Sie betreut mittelständische und große Unternehmen in allen Fragen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts.

 
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