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CNL 2024, 6
Rack 

Compliance ist ohne Alternative

In seinem Beitrag bricht Dr. Manfred Rack – ganz gegen den allgemeinen Trend – eine Lanze für die Regulierung und den damit verbundenen Compliance-Aufwand. Warum die populäre politische Forderung, für jedes neue Gesetz zwei bestehende zu streichen, nicht zielführend und diese Art der Deregulierung eine Illusion ist, beschreibt er hier und unter anderem auch in seinem ausführlichen Beitrag im Compliance-Berater 6/2024, der am 23. Mai erscheint.

Abbildung 7

Gefangen im Strudel der Gesetzgebung: So kommt es wohl manchem Compliance-Verantwortlichen vor.

Bürokratie durch Überregulierung wird allgemein als Wachstumsbremse und unverhältnismäßige Belastung von Wirtschaft und Industrie wahrgenommen. Allerdings werden trotz der Klagen über Überregulierung und Bürokratie sämtliche neuen Gesetze mit parlamentarischen Mehrheiten beschlossen. Der jeweilige Gesetzeszweck dient immer der Abwendung eines bedrohlichen Risikos, vor dem eine spezielle Angst empfunden wird und dessen Vermeidung deswegen von Interessenvertretern und einer Bevölkerungsmehrheit politisch gefordert und von einer gesellschaftlichen Mehrheit als Regelungsbedarf gebilligt wird. Sobald aber ein Gesetz erlassen ist, wird es als Überregulierung beklagt, während der Schutzzweck vergessen wird. Dieses widersprüchliche Verhalten hat System und wiederholt sich ständig.

Der Vorteil der Risikoabwehr ist aber nicht ohne den Nachteil des Compliance-Aufwands zu haben. Alle stehen vor der Wahl, ein erkanntes und bedrohliches Risiko bewusst hinzunehmen oder eine gesetzliche Regelung zu dessen präventiver Abwendung mit Compliance-Aufwand zu akzeptieren. Ein Zustand ohne Risiken und ohne Schutzgesetze zur Risikoabwehr und ohne Aufwand präventiver Compliance bleibt Utopie. Beide Ziele lassen sich nicht gleichzeitig verwirklichen. Sie können deshalb auch nicht gleichzeitig zusammen gefordert werden.

Dieser Zusammenhang wird von den Verantwortlichen verkannt, die gleichzeitig eine Überregulierung beklagen, den Zustand als Wachstumsbremse der Wirtschaft bewerten, den Bürokratieabbau fordern, aber für jedes neue Risiko den Schutz durch eine gesetzliche Regelung fordern und mit der Mehrheit des Gesetzgebers durchsetzen.

Gleichzeitig macht eine populäre Forderung von Politikern die Runde: „One in, two out“. Danach müssten mit der Rasenmäher-Methode für jedes neue Gesetz zwei geltende mit parlamentarischer Mehrheit abgeschafft werden. Zu Ende gedacht würden nach einer gewissen Zeit keine Gesetze mehr gelten. Risiken würden nicht mehr präventiv abgewendet. Vor allem schafft der Gesetzgeber nach allen Erfahrungen keine Gesetze ab. Er weckt allenfalls die Illusion der Deregulierung. Die Forderung stellt eine Doppelbotschaft mit fatalen Konsequenzen dar. Sie delegitimiert im Ergebnis Compliance. Der Gesetzgeber verhält sich paradox. Er erlässt per Saldo jährlich mehr Gesetze und fordert gleichzeitig, die doppelte Anzahl abzuschaffen, ohne sich selbst an seine eigene Deregulierungsforderung zu halten. Dieses paradoxe Verhalten von Politikern mit Gesetzgeberfunktion bleibt nicht ohne Rückwirkung auf die Adressaten von Gesetzen: die Vorstände, Geschäftsführer und Mitarbeiter in Unternehmen, die die Vielzahl der geltenden Rechtspflichten täglich mit großem Aufwand einhalten müssen. Wenn Vertreter des Gesetzgebers die Botschaft vermitteln, die eigenen Gesetze würden zwar mit Mehrheit nach langen Vorbereitungen und Debatten erlassen, seien aber überflüssig und müssten in doppelter Anzahl gleichzeitig abgeschafft werden, können dieselben Politiker nicht von den Normadressaten erwarten, ernst genommen zu werden. Sie delegitimieren mit dieser Doppelbotschaft das Gesetzgebungsverfahren und den Grundsatz der Bindung an Gesetz und Recht. Politiker biedern sich mit der nie realisierten Deregulierungsforderung an, folgen dem populären Trend zum Bürokratieabbau und liefern nur Scheinalternativen. Compliance wird dadurch konterkariert und unterlaufen. Es lähmt und verunsichert die Compliance-Beauftragten bei ihrer Aufgabe, die Einhaltung von einschlägigen Rechtspflichten im Unternehmen zu beraten, zu kontrollieren und zu informieren. Es untergräbt die Autorität von Vorständen und Geschäftsführern, die ihre Legalitätspflicht einhalten müssen, sich selbst legal zu verhalten und dafür zu sorgen, dass auch alle Mitarbeiter die an sie delegierten Pflichten des Unternehmens einhalten.

Im Ergebnis führt die oben beschriebene Doppelbotschaft nicht selten zu einer lähmenden Selbstblockade, die an dem Verhaltensprinzip und der Redensart zu erkennen ist, „wer nichts macht, macht auch nichts falsch“. Dass diese Redensart nicht zutrifft, zeigt sich indes an den vielen BGH-Entscheidungen zum Organisationsverschulden, die fast alle auf dem Unterlassen einer Rechtspflicht beruhen.

Dr. Manfred Rack

Abbildung 8

Dr. Manfred Rack, RA, Rack Rechtsanwälte, Frankfurt. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Compliance- und Risikomanagement. Er ist Beiratsmitglied des Compliance-Beraters.

 
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