DCK 2020: Schaeffler Group setzt auf Integrität in der Unternehmenskultur
Einen anschaulichen Praxisbericht lieferte Dr. Dietmar Deffert, Regional Chief Compliance & Security Officer Europa bei der Schaeffler Group, anlässlich der Deutschen Compliance Konferenz 2020 am 16. September. „Auf dem Weg von regelbasierter Compliance zu einer Integritätskultur“ lautete das Thema seines (ersten) Erfahrungsberichts über das Compliance-Projekt „Horizon Next“.
„Wir sind als globaler Industrie- und Automobilzulieferer in 50 Ländern unterwegs – auch in Ländern mit Compliance- und Risiko-Hotspots“, steckte Deffert den geografischen Rahmen ab, in dem sich die Schaeffler Group mit Compliance konfrontiert sieht. Er selbst ist für Europa, die größte Region des Unternehmens, zuständig. „In der Schaeffler-Welt ist Compliance noch ein bunterer Strauß als woanders“, denn außer klassischen Themen gehöre auch die Unternehmenssicherheit dazu, so Deffert.
Schaeffler sei im Compliance-Management inzwischen sehr gut aufgestellt: „Wir ticken wirklich jede Box eines effizienten Compliance-Management-Systems.“ Als letzten großen Meilenstein hat das Unternehmen zu Beginn des Jahres ein Due-Diligence-Projekt weltweit ausgerollt. Alle Bestandteile eines Compliance-Management-Systems seien implementiert, und auch zertifiziert und testiert. Darum stellte sich dem Compliance-Management die Frage, wo der Ansatzpunkt für eine Weiterentwicklung ist.
„Wir sehen, dass unsere Mitarbeiter das Thema verinnerlicht haben. Aber es gibt Potenzial in diesem Bereich: Verstehe ich Compliance richtig und stehe ich auch wirklich dahinter? Oder tue ich das alles nur, weil ich das muss?“, fasste Deffert die Ausgangssituation zusammen.
Die Schaeffler Group hat sich dieser Thematik auf kreative Weise angenommen. Leicht sei das nicht gewesen, denn Vertrauen, Verantwortung, moralisches Verhalten – alles was in Richtung Ethik, Integrität deutet – musste angesprochen werden. Doch allein schon die Definition dieser Begriffe ist schwammig. „All das hat sehr viel mit der Einstellung des Einzelnen zu tun und kann sehr persönlich sein. Wir mussten also genau hier ansetzen: bei den Menschen.“
Es habe nahe gelegen, sich in erster Linie die Führungskräfte vorzunehmen. Denn nur, was „oben“ verstanden wird und funktioniert, kann auch nach unten weitergereicht werden. Dabei stand fest: „Wir wollten weg von den klassischen Schulungsthemen und dahin kommen, dass die Menschen sich inhaltlich mit dem Thema Integrität auseinandersetzen.“
Die Compliance-Abteilung hat hierzu eigens eine neue Form des Workshops kreiert: „Horizon Next“. „Wir wollen unsere Mitarbeiter damit nicht zu ‚besseren Menschen‘ erziehen“, betonte Deffert. In klassischen Workshop-Formaten, die etwa drei Stunden dauern, kann jeder Compliance Officer, der einen Workshop moderiert, aus einem „bunten Potpourri“ aus verschiedenen Modulen wählen. „Jeder CO nimmt aus diesem Koffer die Teile, von denen er glaubt, dass sie am besten funktionieren.“
Ein Beispiel ist eine eigens entwickelte Dilemma-Situation: „Ein Sachverhalt mit fünf Personen und jeder hat etwas falsch gemacht – aber auf unterschiedlichem Niveau und mit unterschiedlicher Motivation. Dabei spielen auch kulturelle Hintergründe eine Rolle. Die Aufgabe der Teilnehmer besteht darin, in Gruppen zu diskutieren, welche dieser Personen sich am verwerflichsten verhalten hat“, beschrieb Deffert. In der Gruppe sollen sich die Teilnehmer auf eine Reihenfolge der Schwere einigen. Das führe zu interessanten Diskussionen und bringe die Teilnehmer dazu, darüber nachzudenken, was für sie falsches Verhalten ist. „Hier ist der Weg das Ziel“, fasste Deffert zusammen.
Die Deutsche Compliance Konferenz 2020 fand in diesem Jahr vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie erstmals rein digital im Livestream statt. Dem anspruchsvollen Programm tat dies keinen Abbruch. Außer vielfältigen Schilderungen aus der täglichen Compliance-Praxis der Referenten wurden auch die aktuell wichtigsten Compliance-Themen behandelt. Darunter der viel diskutierte Entwurf des Verbandssanktionengesetzes mitsamt seinen Fallstricken und Auswirkungen, aber zum Beispiel auch die zunehmenden Bußgeldverfahren bei DSGVO-Verstößen. Ein Veranstaltungsbericht zur Deutschen Compliance Konferenz erscheint in der November-Ausgabe von Compliance.
Ein weiteres Beispiel ist eine Intranet-Umfrage zu verschiedenen Fragen, etwa was Integrität für die Mitarbeiter bedeutet. „Die Ergebnisse können nun bei den Workshops diskutiert oder auch spielerisch aufgearbeitet werden, indem man in Anlehnung an eine frühere Fernsehshow eine Art ‚Familien-Duell‘ macht, z.B.: Was waren die häufigsten Antworten?“
Sogenannte Black-Stories, die auch als Gesellschaftsspiel bekannt sind, eigneten sich ebenfalls für die Workshops, so Deffert. Dabei werde das Ende einer Geschichte erzählt und dann diskutiert, wie es dazu gekommen ist. Diese eher verspielten Ansätze würden allerdings auf der Führungsebene manchmal auch skeptisch betrachtet. „Die Leute sind hier nüchterner unterwegs. Das sollte man von der Zielgruppe abhängig machen“, rät Deffert.
Die Dauer der „Horizon Next“-Workshops von drei Stunden sei anfänglich nicht leicht zu vermitteln gewesen. „Das ist relativ lang, hat sich aber trotzdem mittlerweile recht gut gefügt, was vermutlich auch mit den Inhalten zu tun hat.“
Die „Horizon Next“-Workshops setzt die Schaeffler Group bislang vor allem in Deutschland ein. Das Feedback sei insgesamt erstaunlich gut. Bedenken wie „zu lange, muss das sein, noch etwas Zusätzliches – wir machen ja auch unsere regulären Schulungen weiter“ hätten sich nicht bewahrheitet. Vereinzelt gebe es nach wie vor die Skepsis gegenüber „Erziehung“ durch das Unternehmen, was als anmaßend empfunden werde. „Aber wer den Workshop mitgemacht hat, sieht, dass das gerade nicht Ziel der Veranstaltung ist“, resümiert Deffert.
„Der Fluch der guten Tat“ sei indes, dass die Mitarbeiter zum Teil enttäuscht reagierten, wenn sie keinen „Horizon Next“-Workshop besuchen, sondern eine der selbstverständlich weiterhin notwendigen regulären Compliance-Schulungen absolvieren.
In Zeiten von Corona nutzt die Schaeffler Group auch die Möglichkeit „Horizon Next“-Workshops virtuell durchzuführen. „Das funktioniert mit nicht allzu großen Gruppen – mehr als acht bis zehn Leute sollten es dann nicht sein.“ Die bessere Variante sei aber der Austausch „face to face“.
Deffert zeigte sich überzeugt von „Horizon Next“: „Das ist ein wichtiger Beitrag hin zu einer von Integrität geprägten Unternehmenskultur. Aber es ist herausfordernd, allein schon, weil die Inhalte der Workshops immer weiterentwickelt werden müssen.“
chk
Dr. Dietmar Deffert ist seit 2016 als Regional Chief Compliance & Security Officer Europa bei der Schaeffler Group tätig und betreut mit seinem Team alle operativen Compliance-Themen in der Region.