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CNL 2025, 4
Schoch 

DPAs, CJIPs & Co. auf dem Vormarsch: Europas Unternehmensstrafrecht im Wandel

Die Strafverfolgung von Unternehmen steht weltweit vor immer komplexeren Herausforderungen: Wachsende Datenmengen, internationale Verflechtungen und jahrelange Verfahren binden erhebliche Ressourcen und belasten sowohl Behörden als auch Unternehmen. Verfahrensbeendende Vereinbarungen – wie die insbesondere aus den USA bekannten „Deferred Prosecution Agreements“ (DPAs) – bieten Lösungsansätze, die auch in Europa immer mehr Nachahmung finden. Dennoch bleiben vergleichbare Impulse für das deutsche Recht bislang aus. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich eine vierteilige Serie, die derzeit im Compliance-Berater erscheint (CB 9-12/2025), ausführlich mit den Entwicklungen in Europa und den möglichen Auswirkungen auf Deutschland.

Abbildung 5

Geldzahlungen, Compliance-Maßnahmen, Kooperation: In anderen Ländern können Verfahren gegen Unternehmen so beendet werden. In Deutschland geht das bislang nicht.

Blickt man in die USA, so sind verfahrensbeendende Vereinbarungen im Bereich des Unternehmensstrafrechts ein „alter Hut“. DPAs etablierten sich dort schon in den 2000er Jahren im Unternehmensstrafrecht. In diesen Konstellationen verpflichten sich die betroffenen Unternehmen zur Erfüllung von Auflagen (Geldzahlungen, Compliance-Maßnahmen, Kooperation), im Gegenzug verzichten die Strafverfolgungsbehörden vorläufig auf die (weitere) Strafverfolgung. Nach Ablauf einer Bewährungszeit kann das Verfahren sodann endgültig eingestellt werden. Auf diese Weise soll ein passgenauer Interessenausgleich zwischen effektiver Sanktionierung und effizienter sowie ressourcenschonender Strafverfolgung erreicht werden.

Auch in Großbritannien existiert auf Grundlage des „Crime and Courts Act“ seit 2013 die Möglichkeit, DPAs zwischen den Strafverfolgungsbehörden und betroffenen Unternehmen, denen bestimmte Wirtschaftsstraftaten zur Last gelegt werden, abzuschließen. Der Abschluss erfordert eine gerichtliche Prüfung und Zustimmung. Kommt das Unternehmen seinen im DPA vereinbarten Verpflichtungen nach, wird das Verfahren endgültig eingestellt; ein neuerliches Strafverfahren ist ausgeschlossen. Frankreich schuf 2017 mit der „Convention judiciaire d’intérêt public“ (CJIP) ein vergleichbares Instrument, das ebenfalls verfahrensbeendende Vereinbarungen zwischen den Strafverfolgungsbehörden und Unternehmen ermöglicht.

In den vergangenen Monaten hat die Diskussion rund um die Einführung derartiger Instrumentarien auch in weiteren europäischen Ländern an Dynamik gewonnen. Ungarn hat bereits gesetzliche Änderungen beschlossen, die es ab Anfang 2026 ermöglichen, dass auch Unternehmen – nicht nur Einzelpersonen – verfahrensbeendende Vereinbarungen abschließen können, in denen Auflagen wie Geständnisse, Kooperation und Schadenswiedergutmachung vereinbart werden.

In Tschechien wurden die Regelungen des Unternehmensstrafrechts ebenfalls erst in diesem Jahr angepasst. Ab Juli 2026 werden Unternehmen dort schon frühzeitig im Rahmen des Ermittlungsverfahrens die Möglichkeit haben, im Wege einer Vereinbarung mit den Strafverfolgungsbehörden eine Weiterverfolgung zu verhindern, ohne dass hierfür ein formelles Schuldeingeständnis vonnöten ist. Vielmehr werden insbesondere eine proaktive Schadenswiedergutmachung und die Herausgabe unrechtmäßiger Vorteile, mithin also die Beseitigung der Tatfolgen, eingefordert. In besonders schweren Fällen, in denen diese Beseitigung der Tatfolgen alleine als nicht ausreichend angesehen wird, können zusätzlich die Einführung oder Verbesserung präventiver Compliance-Maßnahmen sowie ein externes Compliance-Monitoring vorgesehen werden.

Die Reformen in Ungarn und Tschechien zielen beide darauf ab, eine effiziente Strafverfolgung und passgenaue Sanktionierung bei gleichzeitiger Sicherstellung einer bestmöglichen Prävention zukünftigen Fehlverhaltens auch ohne umfangreiches Ermittlungs- und Strafverfahren zu ermöglichen.

Auch in der Schweiz wird nach einer gescheiterten Gesetzesinitiative im Jahr 2019 nun erneut die Einführung verfahrensbeendender Vereinbarungen diskutiert. Die Bundesanwaltschaft plädiert ausdrücklich für eine entsprechende gesetzliche Möglichkeit, um komplexe Unternehmensstrafverfahren effizienter beenden zu können sowie Unternehmen zur Kooperation zu motivieren.

In Deutschland fehlen bislang gesetzliche Regelungen zu verfahrensbeendenden Vereinbarungen im Bereich des für die Verantwortlichkeit von Unternehmen maßgeblichen Ordnungswidrigkeitenrechts. Während andere Staaten passgenaue Instrumente entwickeln, verbietet das OWiG eine Einstellung gegen Geldauflage explizit.

Ein verbindlicher Rechtsrahmen könnte nicht nur die Effizienz ordnungswidrigkeitenrechtlicher Verfahren steigern, sondern auch Unternehmen zu internen Untersuchungen, der Zusammenarbeit mit Behörden sowie der proaktiven Verbesserung der eigenen Compliance-Strukturen motivieren und so nachhaltig Compliance fördern. Die aktuellen Erkenntnisse aus Großbritannien, Frankreich & Co. liefern dabei vielfältige Anknüpfungspunkte für sachgerechte, interessenausgleichende Regelungen. Eine offene Fachdiskussion und das Lernen von bewährten Modellen anderer Jurisdiktionen sind daher auch in Deutschland dringend geboten. Die aktuelle Serie im Compliance-Berater setzt genau dort an und gibt einen umfassenden Überblick über die aktuellen Entwicklungen in Europa und mögliche Implikationen für Deutschland.

Dr. Nicholas Schoch

Die Beiträge der Reihe zu verfahrensbeendenden Vereinbarungen finden Sie zu folgenden Erscheinungsterminen im Compliance-Berater:

CB 9, 21. August 2025:

Teil 1 – Um was geht es und weshalb wären klare Regelungen wünschenswert für Unternehmen?

CB 10, 18. September 2025:

Teil 2 – Aktuelle Entwicklungen in der Schweiz

CB 11, 16. Oktober 2025:

Teil 3 – Praxiserfahrungen mit der französischen Convention judiciaire d‘interêt public (CJIP)

CB 12, 20. November 2025:

Teil 4 – Quo vadis Deutschland?

Abbildung 6

Dr. Nicholas Schoch ist Rechtsanwalt und Principal Associate bei Freshfields. Er ist spezialisiert auf Compliance- & Governance-Fragen sowie komplexe, grenzüberschreitende Untersuchungen und das damit einhergehende Prozess-, Risko- und Krisenmanagement.

 
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