Das Hinweisgeberschutzgesetz in der Praxis von Banken und Finanzdienstleistern
Für Banken und Finanzdienstleister ist die Anwendung des Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG) stark eingeschränkt. Die Regelung des § 4 Abs. 1 HinSchG benennt mehrere bankspezifische Spezialvorschriften, die den Schutzregeln des Hinweisgeberschutzgesetzes vorgehen. Das Verhältnis zwischen Whistleblowing und Compliance löst der Gesetzgeber damit auf eher fragwürdige Weise.
In jedem Einzelfall ein Abgleich des HinSchG mit den jeweils tangierten Einzelnormen des Bank- und Kapitalmarktrechtes? In der Praxis kaum zu stemmen.
Gemäß § 4 Abs. 1 HinSchG gehen bestimmte bankspezifische Spezialvorschriften den Schutzregeln des Hinweisgeberschutzgesetzes vor. Zahlreiche rechtlich weitreichende Sach- bzw. Regelungsbereiche des Whistleblowing, insbesondere die unter § 4 Abs. 1 Nr. 2-8 HinschG erfassten, können daher nicht vom Hinweisgeberschutzgesetz aufgegriffen und in dessen Gesamtzusammenhang beurteilt werden. Das Whistleblower-Recht der Banken und Finanzdienstleistungsinstitute zerfällt daher auf zahlreiche spezifische Einzelregelungen. Dies erschwert die Arbeitsweise von Banken und Finanzdienstleistern erheblich.
Der Gesetzgeber löst zudem die Gefahr eines mit § 4 Abs. 1 HinSchG entstehenden unvollständigen Hinweisgeberschutzes, indem er die Fortgeltung des HinSchG – neben den bankspezifischen Regelungen nach § 4 Abs. 1, Satz 2 HinSchG – dann anordnet, wenn die einzelnen bankspezifischen Normen „keine inhaltlichen Vorgaben machen“. Mit anderen Worten: Wenn diese sogenannte systemische Lücken des Whistleblowerschutzes aufweisen. Wann von einer systemischen Lücke des Whistleblowerschutzes gesprochen werden kann, erscheint fraglich. Der Gesetzgeber mutet eine solche Feststellung den Mitarbeitern in Banken und Finanzdienstleistungsinstituten zu.
Zur Klärung der Frage nach „systemischen Regelungslücken“ ist insbesondere die europäische Whistleblower-Richtlinie Rl. 2019/1937 nicht heranzuziehen, denn diese enthält ausschließlich europäische Vorgaben. Sie berührt also das Konkurrenzverhältnis deutscher Vorschriften nicht. Insofern bleibt für die Praxis die Verpflichtung, in jedem Einzelfall die Inhalte des HinSchG mit denen der jeweils tangierten Einzelnorm des Bank- und Kapitalmarktrechtes mittels eines ausgiebigen Rechtsvergleichs zu ermitteln. Dies ist eine Aufgabe, die selbst „gestandenen Juristen“ Schwierigkeiten bereitet.
Die Aufgabe, Regelungsinhalte der jeweils in Frage kommenden Einzelnorm des § 4 Abs. 1 HinSchG zu ermitteln, um so eine systemische Regelungslücke i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 2 HinSchG definieren zu können, stellt sich insbesondere im organisatorischen Bereich der Banken und Finanzdienstleister. Diese verfügen nämlich bereits heute schon über zahlreiche Aufsichts- und Kontrollorgane, darunter Compliancebeauftragte, Auslagerungsbeauftragte, Produkt- und Kundengelder-Beauftragte, Vertriebsbeauftragte, Geldwäschebeauftragte und Vergütungbeauftragte.
In diesem Zusammenhang erscheint es somit überaus fraglich, wann und inwieweit die aufgeführten Einrichtungen bzw. Beauftragten nicht auch Aufgaben des Hinweisgeberschutzgesetzes im Einzelfall wahrnehmen und daher mit dem HinSchG konkurrieren. § 18 Nr. 4 a HinSchG, nach dem die Meldestelle das Verfahren an eine beim Arbeitgeber bestehende zuständige Stelle abzugeben hat, legt nahe, dass die interne Meldestelle streng von den oben angegebenen Beauftragtenfunktionen abzugrenzen ist. Daher erscheinen, nach dem derzeitigen Wortlaut des Gesetzes, Funktionen der Meldestellen nicht auf einzelne bankinterne Kontroll-, bzw. Compliance-Funktionen übertragbar, was notwendig zu einer Potenzierung organisatorischen Aufwands in Banken und bei Finanzdienstleistern führen muss.
Auch mit dieser, in jeder Situation schwer zu entscheidenden Frage, ob eine spezialgesetzliche Norm den Hinweisgeberschutz des HinSchG vollständig umfasst, belastet der Gesetzgeber den Praktiker. Zu bedenken ist ebenfalls, dass die gesetzlichen Unstimmigkeiten, offenen Fragen und die sie provozierenden Unsicherheiten auch Hinweisgeber von Meldungen abhalten können.
Ausgerechnet Banken und Finanzdienstleistungsunternehmen verpflichtet § 12 HinSchG – auch unabhängig ihrer Beschäftigtenzahl – zur Einrichtung und zum Unterhalt einer Meldestelle. Da § 4 Abs. 1 HinSchG den Anwendungsbereich des HinSchG dann ausschließt, wenn bankspezifische Normen den Schutz des Hinweisgebers garantieren (§ 4 Abs. 1 HinSchG), bleiben – nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 HinSchG auch i.V.m. dessen Satz 2 HinSchG – Banken und Finanzdienstleister selbst dann zur Einrichtung einer Meldestelle verpflichtet, wenn diese bankspezifischen Normen – und nicht das Hinweisgeberschutzgesetz – den Whistleblowerschutz übernehmen.
Ein solcher reiner, zudem inhaltlich unverständlicher, Formalismus führt zu erheblicher organisatorischer Mehrbelastung der Institute. Die gesetzgeberische Korrektur des Wortlautes ist daher zwingend erforderlich.
Mit seinen mangelhaften Regelungen steht das HinSchG nicht nur in Gefahr, die Wahrnehmung des Whistleblowerschutzes und somit die Rl. 2019/1937 nur unzureichend in das deutsche Recht umgesetzt zu haben. Der Regelungsinhalt des HinSchG schafft zudem neue organisatorische Verpflichtungen und erschwert durch zahlreiche inhaltliche Unstimmigkeiten erheblich die tägliche Arbeitspraxis von Banken und Finanzdienstleistungsinstituten. Auch der Sache selbst – also dem berechtigten Schutz eines Hinweisgebers – ist mit solchen Maßnahmen gerade nicht gedient.
Prof Dr. Dieter Krimphove
Einen ausführlichen Beitrag von Prof. Dr. Dieter Krimphove zum Thema Hinweisgeberschutz bei Banken und Finanzdienstleistern lesen Sie im Schwerpunktheft Finanz-Compliance des Compliance-Beraters Ausgabe 11/2023, Seite 432 ff.
Prof. Dr. jur. Dieter Krimphove ist Jean Monnet-Professor „ad personam“ und Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsrecht und Europäisches Wirtschaftsrecht an der Universität Pader-born sowie Gastprofessor an der Donau-Universität Krems und an der Université Strasbourg.