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CNL 2023, 2
Fuhlrott 

Der Referentenentwurf zur Neuregelung des Arbeitszeitgesetzes

Seit einer BAG-Entscheidung (Beschl. v. 13.9.2022 – 1 ABR 22/21) im Herbst 2022 steht fest: Das Urteil des EuGH (14.5.2019 – C-55/18) zur Arbeitszeiterfassung ist bereits heute von den Arbeitgebern in Deutschland zu beachten. Damit ist die Frage des „Ob“ der Aufzeichnung entschieden. Bezüglich des „Wie“ bestehen jedoch weiterhin Unsicherheiten. Diese sollen nun mit der Neuregelung des Arbeitszeitgesetzes geklärt werden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat hierzu jüngst einen Referentenentwurf vorgelegt.

Abbildung 1

Arbeitszeiterfassung: Grundsätzlich Pflicht, nur das „Wie“ muss noch geklärt werden.

Die Neuregelung erfolgt im Wesentlichen ausschließlich im Rahmen von § 16 ArbZG. Dort wird Absatz 2 neugefasst und die neuen Absätze 3 bis 8 angefügt. Der Regelungsort ist stimmig, zumal § 16 Abs. 2 ArbZG bereits bislang die Erfassung der über acht Stunden hinausgehenden Arbeitszeit regelte. Neu ist nun die vorgesehene Regelung, wonach die Erfassung der Arbeitszeit (Beginn, Ende und Dauer) am Ende des Arbeitstages erfolgen muss und dies in elektronischer Form zu erfolgen hat (§ 16 Abs. 2 ArbZG-E). Anders als der EuGH, der nur eine „objektive“ Erfassung der Arbeitszeit verlangte, und auch das BAG, das für die Form keine Vorgaben machte, ist der Referentenentwurf insoweit nun mit diesen beiden Vorgaben also strenger. Der elektronischen Erfassung kann durch Nutzung einer App, eines softwarebasierten Systems am Computer oder auch durch Eintragungen in eine Excel-Tabelle entsprochen werden.

Bei der Frage, wer die Arbeitszeit zu erfassen hat, gibt es hingegen keine Überraschungen. Der neue Absatz 3 regelt: „Die Aufzeichnung […] kann durch den Arbeitnehmer oder einen Dritten erfolgen; der Arbeitgeber bleibt für die ordnungsgemäße Aufzeichnung verantwortlich“ (§ 16 Abs. 3 ArbZG-E). Die Delegation der Erfassung auf die Beschäftigten wurde auch nach dem BAG-Beschluss vom September 2022 weiterhin für möglich angesehen. Begründet man die Erfassungspflicht mit arbeitsschutzrechtlichen Aspekten, ist es konsequent, dass der Arbeitgeber dafür verantwortlich bleibt.

Emotional wurde die Zukunft von Vertrauensarbeitszeit diskutiert. Diese bleibt im Grundsatz weiterhin möglich, wie § 16 Abs. 4 ArbZG-E zu entnehmen ist. Dies verdeutlicht auch die Begründung des Entwurfs: „Arbeitgeber und Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer können eine sogenannte Vertrauensarbeitszeit vereinbaren. In diesem Fall verzichtet der Arbeitgeber auf die Festlegung von Beginn und Ende der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit. Er „vertraut“ dabei darauf, dass die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer der vertraglichen Arbeitsverpflichtung nachkommt, ohne dieses zu überprüfen. Einzuhalten sind jedoch die Vorgaben des öffentlich-rechtlichen Arbeitszeitschutzes. Arbeitszeitaufzeichnung und „Vertrauensarbeitszeit“ schließen sich nicht aus. Insbesondere eine elektronische Aufzeichnung erleichtert es dem Arbeitgeber, die arbeitsschutzrechtliche Arbeitszeit aufzuzeichnen, ohne die vertragliche Arbeitszeit kontrollieren zu müssen. Zusammengefasst: Zeitlich selbstbestimmtes Arbeiten bleibt möglich. Die Pflicht zur Erfassung besteht aber auch dann.

§ 16 Abs. 5 ArbZG-E regelt, dass Arbeitnehmer auf Anfrage eine Auskunft zur aufgezeichneten Arbeitszeit erhalten können. Eine solche Auskunft wäre auch im Wege von Art. 15 DSGVO bereits möglich; der EuGH verlangt zudem durch die Forderung nach einem „zugänglichen Erfassungssystem“ ausdrücklich eine entsprechende Herausgabe der Nachweise bzw. eine uneingeschränkte Einsichtnahmemöglichkeit der Beschäftigten. Arbeitszeitnachweise sind zudem für die gesamte Dauer der Beschäftigung, maximal aber für die Dauer von zwei Jahren aufzubewahren (§ 16 Abs. 6 ArbZG-E).

Per Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags sind per Betriebsvereinbarung Abweichungen möglich: So kann danach ausnahmsweise eine papierne Aufzeichnung erfolgen (§ 16 Abs. 7 Nr. 1 ArbZG-E), eine spätere Aufzeichnung, maximal nach sieben Tagen (§ 16 Abs. 7 Nr. 2 ArbZG-E), und ist eine Aufzeichnung entbehrlich bei Arbeitnehmern, bei denen die Arbeitszeit wegen der besonderen Tätigkeitsmerkmale nicht gemessen, nicht festgelegt oder selbst bestimmt werden darf (§ 16 Abs. 7 Nr. 3 ArbZG-E). Dieser Absatz ermöglicht angepasste betriebliche Lösungen – allerdings nur beim Mitwirken der Tarifvertragsparteien. Insbesondere die letztgenannte Ausnahme darf dabei nicht „überschätzt“ werden. Denn sie gilt nur für eine eng abgegrenzte Gruppe, für die auch die ArbZ-RL selbst Ausnahmen zulässt, wie die Entwurfsbegründung erkennen lässt: „Die Voraussetzungen für die Anwendung der Regelung in § 16 Absatz 7 Nummer 3 ArbZG können etwa bei Führungskräften, herausgehobenen Experten oder Wissenschaftlern gegeben sein, die nicht verpflichtet sind, zu festgesetzten Zeiten am Arbeitsplatz anwesend zu sein, sondern über den Umfang und die Einteilung ihrer Arbeitszeit selbst entscheiden können.“ Da leitende Angestellte gem. § 18 ArbZG ohnehin vom Anwendungsbereich des ArbZG ausgenommen sind und selbst außertariflich tätige Mitarbeiter nicht vom Tarifvertrag erfasst werden, ist der Anwendungsbereich begrenzt.

Der Entwurf sieht zudem weite Übergangsfristen für die Einführung der elektronischen Erfassungspflicht vor. Alle Unternehmen – unabhängig wie groß – dürfen sich zunächst ein Jahr Zeit lassen, bevor die Erfassung elektronisch erfolgen muss. Kleinbetriebe (bis zu 10 Arbeitnehmer) dürfen dauerhaft nicht-elektronisch erfassen. Unternehmen bis 50 Beschäftigte haben fünf Jahre Zeit bis zur elektronischen Erfassung, Unternehmen bis 250 Beschäftigte immerhin noch zwei Jahre Zeit. Verstöße gegen die allgemeine Pflicht zur Zeiterfassung – die nach der Entscheidung des BAG vom Herbst 2022 aber ohnehin bereits gilt – sind nach dem Entwurf zudem nunmehr unmittelbar bußgeldbewehrt (§ 22 ArbZG-E).

Als erstes Fazit: Der Entwurf ist als Minimalkonsens in weiten Teilen eine 1:1-Umsetzung der gerichtlichen Vorgaben. Ein großer „Wurf“ zur Neuregelung des Arbeitszeitrechts im – wohlgemerkt ohnehin engen europäischen Regelungskorsett – ist der Entwurf sicherlich nicht. Und schließlich: Ein Entwurf ist ein Entwurf – und noch kein Gesetz.

Prof. Dr. Michael Fuhlrott

Abbildung 2

Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Partner bei FHM in Hamburg. Er berät Unternehmen zu sämtlichen individual- und kollektivrechtlichen Fragestellungen mit einem Schwerpunkt im Arbeitnehmerdatenschutz. Ein besonderer Fokus seiner Tätigkeit liegt in der forensischen und rechtsberatenden Tätigkeit bei internen Ermittlungsmaßnahmen.

 
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