Der Aufsichtsrat in der Unternehmenskrise
Unternehmenskrisen sind vor allem auch unter dem Eindruck der COVID-19-Pandemie keine Seltenheit. Ihre Bewältigung stellt nicht nur das Management vor große Aufgaben. Auch die Kontrollorgane treffen besondere Anforderungen bei ihren Beratungs- und Überwachungsaufgaben. Interessante Einblicke unter anderem in die Psychologie und die einzelnen Stadien der Krise gab in diesem Zusammenhang Rechtsanwalt Prof. Dr. Daniel Graewe anlässlich eines Webinars der dfv Mediengruppe im November 2021.
Verdrängung, Schock, Verleugnung, Auflehnung, und Depression vergeuden wertvolle Zeit in der Krise.
„Bei Unternehmenskrise denken wir meistens an Insolvenz.“ Doch die sei bereits „das Ende – da haben wir schon verloren“, stellte Prof. Dr. Daniel Graewe zu Beginn des Webinars klar: „Wir wollen über die Krise sprechen.“ Dazu sei es zunächst wichtig die Krise zu erkennen. Hierzu nannte Graewe die typischsten Krisenmerkmale bei Unternehmen, auf die Aufsichtsräte unbedingt achten sollten: „Sie bekommen weniger Unterlagen, die Investitionen gehen runter, die Personalfluktuation nimmt zu, Verluste werden durch die Auflösung von Rücklagen gedeckt. Fremdkapital kommt meistens nicht mehr von Banken, da das Verhältnis in der Krise häufig schon zerrüttet ist.“
Bei den Gründen für eine Krise unterschied Graewe zwischen internen und externen Krisenursachen. Die externen Krisen, wie Marktveränderungen, Finanzkrisen oder ganz aktuell Pandemien, könnten häufig abgefedert werden.
Schwieriger sei dies bei internen Ursachen, die aus dem Unternehmen selber kommen. Für sie benannte Graewe beispielhaft fehlendes oder unzureichendes Controlling, Finanzierungslücken, Investitionsfehler und falsche Produktionsplanung. „Häufig haben wir auch eine autoritäre Unternehmensführung, die sehr auf sich selbst gerichtet ist.“ Problematisch sei auch, wenn in der Geschäftsführung eigene persönliche Belange vor sachliche des Unternehmens gestellt werden.
Um die Krise zu erkennen, sei es wichtig ihre „Psychologie“ zu verstehen. „Der Aufsichtsrat muss darauf achten, wie sich der Vorstand verhält. Fehlende Kontaktaufnahme, Stimmungsschwankungen, Kleinreden von Problemen, eine verzerrte Interpretation von Situation und Umfeld – das sollten Aufsichtsräte wahrnehmen“, mahnte Graewe an.
Dabei seien verschiedene Stadien, die Vorstände psychologisch in einer Unternehmenskrise durchlaufen, zu beachten. „Zunächst wird verdrängt: Das Angehen der Krise wird immer weiter nach hinten geschoben, was auch die Handlungsoptionen immer stärker reduziert.“ Auf die Verdrängung folge die Schocksituation, in deren Folge die gesamte Tätigkeit lahm liegt. In der Phase der Verleugnung wird die Krise auf andere Faktoren geschoben. Der Vorstand reagiere dann mit Auflehnung und Wut. Graewe orientierte sich mit diesen psychologischen Krisenstadien beim Vorstand an den Krisenstadien im Strebeprozess. Das tückische an diesen Phasen bezogen auf ein Unternehmen: „Der Vorstand ändert mit seinem Verhalten sehr lange nichts an der Krise. Erst wenn die Akzeptanz und dann die Aktivität kommt, kann Veränderung stattfinden. Doch dann sind vielleicht schon wertvolle Monate oder gar Jahre verstrichen.“
Darum sei es wichtig für den Aufsichtsrat zu erkennen, in welcher Phase der Unternehmenskrise sich der Vorstand befindet und wie der psychologische Prozess beschleunigt werden kann, damit der Vorstand in die Aktivitätsphase einsteigt.
Die Unternehmenskrise beginne mit einer Stakeholderkrise, erläuterte Graewe: „Zu den Stakeholdern zählen dabei all‘ diejenigen, die Interesse am Wohlergehen eines Unternehmens haben: Mitarbeiter, Lieferanten, Politik, Aktionäre usw. Wenn diese Gruppen nicht mehr mitgenommen werden, ist das der allererste Anschein, um zu sagen, das Unternehmen läuft nicht mehr rund.“
Sobald das Unternehmen nicht in einem guten Austausch mit den Stakeholdern ist, folge die Strategiekrise: Das Unternehmen setze dann z.B. auf falsche Investitionen, erziele aber trotzdem noch Gewinne. „Der Vorstand neigt in dieser Phase dazu, Symptome zu bekämpfen, weil er das eigentliche Problem noch nicht sieht. Er realisiert den Beginn der Krise nicht.“ Das sei das Gefährliche an der Krise, die dann in eine Absatzkrise münde: stagnierende oder langsam sinkende Nachfrage gerade bei den Erfolgsträgern – den Produkten, die eigentlich immer gegangen sind. „Die Produktion ist nicht ausgelastet und die Lager werden immer voller. Das heißt, das Unternehmensergebnis geht zurück und das führt in eine Ertragskrise mit starken Gewinneinbrüchen. Es kommt zu Verlusten, die an die Substanz des Unternehmens gehen.“ Spätestens hier müsse der Aufsichtsrat eingreifen. Denn es folge die Liquditätskrise – eine dramatische Krise, die eine akute Gefährdung der Unternehmensexistenz hervorruft. „Das kann dann sehr schnell gehen. Das Unternehmen muss bei Lieferanten in Vorleistung treten, Leistungsträger verlassen das Unternehmen, Banken finanzieren nicht mehr. Diese Krise ist dann nicht mehr ohne weiteres ohne Hilfe beherrschbar.“
Der Vorstand muss handeln – je früher desto besser. Und ganz wichtig, so Graewe: „Nicht nur der Finanzvorstand. Jeder Vorstand hat eine Kontroll- und Mitüberwachungspflicht für die anderen Ressorts. Da sitzt er haftungsmäßig mit im Boot und muss das mitüberwachen.“
chk