Finanzaufsicht: Noch intensiver hinter die Fassade schauen
Zur Jahrespressekonferenz der BaFin Mitte Mai stellte BaFin-Exekutivdirektor Raimund Röseler in Aussicht, dass „das eine oder andere Institut, das schon vor der Krise auf wackligen Beinen stand“, die Pandemie möglicherweise nicht überstehe. Prägend für das zurückliegende Jahr war außer den Herausforderungen durch die Pandemie der Fall Wirecard und seine Folgen für die Aufsichtsbehörde.
Schieflage: Die BaFin geht durch turbulente Zeiten und muss sich reformieren.
„Wir müssen davon ausgehen, dass nicht alle von der Pandemie gebeutelten Unternehmen der Realwirtschaft wieder gesunden. Wie und mit welchen Verzögerungen sich das in den Bankbilanzen niederschlagen wird, ist aber kaum abzusehen“, sagte der kommissarische BaFin-Präsident Röseler anlässlich der Jahrespressekonferenz 2021 der Finanzaufsichtsbehörde am 18. Mai. Der tatsächliche Wertberichtigungsbedarf der Institute werde sich erst zeigen, wenn die staatlichen Hilfsprogramme ausgelaufen seien und das Insolvenzrecht wieder in vollem Umfang greife. Dabei sei ein gewisser Zeitverzug durchaus möglich. Ein Teil der von der Pandemie besonders betroffenen Branchen habe sich nur in relativ geringem Umfang bei Banken refinanziert. Manche hätten andere Finanzierungsquellen: Gaststätten über Brauereien, Einzelhändler über Lieferantenkredite. „Hier werden die Folgen der Pandemie nur auf indirektem Weg und wahrscheinlich mit Zeitverzug sichtbar werden“, so Röseler. Dass die deutschen Banken bisher vergleichsweise gut durch die Krise kämen, liege auch daran, dass Regulierung und Aufsicht nach der Finanzkrise 2007/2008 gründlich reformiert worden seien. Es sei jedoch nicht Aufgabe der BaFin, Marktaustritte um jeden Preis zu verhindern, machte Röseler mit Blick auf die Corona-Pandemie deutlich: „Das Schicksal einer Bank liegt in den Händen ihrer Manager.“ Wenn der Ernstfall eintrete, sorge die BaFin mit dafür, dass die Insolvenz ordentlich vonstattengehe oder das Institut abgewickelt werde.
Herausforderungen für die deutschen Institute sieht Röseler darin, dass sie „ihre Kosten noch viel rigoroser senken“ müssten als bisher. Und dann sei da noch die galoppierende Digitalisierung: „Sie stellt die Geschäftsmodelle der traditionellen Institute auf eine harte Probe. Die Pandemie wirkt hier wie ein Beschleuniger.“
Für die BaFin bedeute das, die Aufsicht an die neue Realität anpassen zu müssen: Wir müssen uns noch mehr mit den Geschäftsmodellen der Institute beschäftigen, noch intensiver hinter deren Fassade schauen, spielte Röseler auf den Fall Wirecard an. „Sehr genau und sehr umfassend haben wir analysiert, welche Schlussfolgerungen wir daraus für unsere Arbeitsweise ziehen müssen.“ Nun gelte es, der Behörde mehr Schlagkraft zu verschaffen. So sollte noch im Mai der Pilot der künftigen Fokusaufsicht starten.
Die Fokusaufsicht ist Teil eines Sieben-Punkte-Plans des Bundesfinanzministeriums zur Reform der BaFin. Sie wird für die Kontrolle komplexer Unternehmen eingesetzt und umfasst alle Geschäftsbereiche der BaFin. Mit ihr soll die Aufsichtsbehörde in die Lage versetzt werden, auf die teils rasante Entwicklung auf den Finanzmärkten rascher zu reagieren. Bei Unternehmen, deren Geschäftsmodell sehr komplex ist oder sehr innovativ erscheint, wolle die BaFin „schneller, genauer und aus erster Hand wissen, wo die Erträge herkommen, denn wo das Geld verdient wird, liegen die Risiken“, beschrieb Röseler. „Wenn wir auf intransparente Verhältnisse stoßen und uns keine Klarheit verschaffen können, handeln wir – und schränken die Geschäfte notfalls ein.“
Eine neue, forensisch geschulte Taskforce als ein weiteres zentrales Teilprojekt des Modernisierungsvorhabens des Bundesfinanzministeriums solle Mitte August an den Start gehen und Hand in Hand mit der Fokusaufsicht arbeiten. Die Taskforce wird eingerichtet, damit die BaFin künftig Ad-hoc- und Sonderprüfungen in Eigenregie und gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft vor Ort durchführen kann.
„Die Taskforce wird unsere eigene schnelle Eingreiftruppe werden, die von jetzt auf gleich ausrücken kann, um an Ort und Stelle zu prüfen, in den Unternehmen. Gerade wenn es schnell gehen muss, wollen wir nicht erst ein zeitraubendes Vergabeverfahren anstoßen müssen, um einen Wirtschaftsprüfer zu beauftragen“, verdeutlichte Röseler.
Die Taskforce werde in Eigenregie prüfen und dabei auch forensische Prüfungen vornehmen können. „Womit wir Neuland betreten; bislang spielte Forensik in der BaFin nur bei der Verfolgung unerlaubter Geschäfte eine Rolle.“ Von dem Aufbau „eigener forensischer Expertise“ verspricht Röseler sich einen deutlichen Zugewinn an Schlagkraft. Aber auch insgesamt unterstütze die Aufsichtsbehörde das vom Bundesministerium der Finanzen gestartete Projekt zur Modernisierung der BaFin „aus voller Überzeugung“, so Röseler.
Ab Mitte dieses Jahres wird Mark Branson als neuer Präsident der BaFin diese Modernisierung vorantreiben. Ihn stellte Bundesfinanzminister Olaf Scholz Ende März als „Gesicht der Reform der Finanzaufsicht“ vor. Mark Branson ist seit 2014 Direktor der Schweizer Finanzmarktaufsicht FINMA und vertritt die Schweiz in internationalen Finanzgremien. Er ist Vorsitzender der Resolution Steering Group des globalen Finanzstabilitätsrats (FSB). Vor seinem Wechsel zur FINMA 2010 war Branson für zwei Schweizer Bankengruppen in London, Zürich und Tokio tätig. Er besitzt neben der britischen auch die schweizerische Staatsangehörigkeit.
chk