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CNL 2024, 14
Sultzer 

Hinweisgeberschutz: Vom Pflichtprogramm zur strategischen Chance

Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG), das im Juli 2023 in Deutschland in Kraft trat, markierte einen wichtigen Meilenstein für den Schutz von Whistleblowern, die Schaffung sicherer Meldewege und die Aufarbeitung von Missständen in Unternehmen. Ein Jahr nach seinem Inkrafttreten ist der Anteil der Unternehmen, die ein Hinweisgebersystem eingeführt haben, laut EQS Whistleblowing-Umfrage 2024 von 82 Prozent auf ganze 97 Prozent gestiegen.

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Haken dran? Die Umsetzung des Whistleblower-Schutzes ist nur ein erster Baustein.

Das HinSchG hat den Druck auf Unternehmen erhöht – nicht zuletzt, da die zuständigen Behörden nun verstärkt bei ihnen nachfragen werden, ob sie die Vorgaben umgesetzt haben. Die Umfrage zeigt: Gesetzeskonformität war der größte Treiber für die Einführung von Hinweisgebersystemen – 94 Prozent der Unternehmen gaben dies als Grund an.

Vor Inkrafttreten des HinSchG beklagten gerade kleinere Unternehmen den potenziell hohen Umsetzungsaufwand. Nach der Implementierung einer Meldestelle müssen schließlich auch langfristig Ressourcen für die Bearbeitung von Hinweisen bereitstehen. Ein Fünftel der Unternehmen in der EQS-Umfrage erhielt im vergangenen Jahr immerhin mehr als zehn Meldungen, denen sie nachgehen mussten. Abhilfe schaffen digitale Tools, die wesentlich zu einer zügigen Bearbeitung beitragen. So setzen z.B. bereits 74 Prozent der Unternehmen auf Softwaresysteme. Diese ermöglichen es, den gesamten Prozess, von der Bearbeitung der Erstmeldung bis zur Kommunikation mit dem Whistleblower, effizient zu gestalten.

Ein zentraler Vorteil digitaler Lösungen ist die Möglichkeit, Anonymität für Whistleblower zu gewährleisten. Über eine Pflicht dazu hat der Gesetzgeber debattiert und sie schließlich aus dem Gesetzestext gestrichen. Ob das sinnvoll war, ist diskutabel, aber die Realität zeigt: Unternehmen haben längst verstanden, dass sie langfristig profitieren, wenn sie anonyme Meldekanäle anbieten, und neun von zehn tun dies auch bereits. Laut früheren EQS-Studien werden 50 Prozent der Meldungen anonym gegeben, wenn diese Option besteht. Gibt es sie nicht, wenden sich Whistleblower eher an externe Meldestellen von Behörden. Liegt eine Meldung erst einmal bei einer externen Stelle, hat das Unternehmen keine Kontrolle mehr über ihre Aufarbeitung.

Damit ein Whistleblowing-System seinen Zweck erfüllen kann, dürfen sich Unternehmen aber nicht auf einer technischen Lösung ausruhen. Es braucht vor allem eine Unternehmenskultur, in welcher der Schutz von Whistleblowern aktiv gefördert wird. Mitarbeitende fühlen sich nur dann ermutigt, Missstände zu melden, wenn sie darauf vertrauen können, dass ihre Hinweise ernst genommen werden und sie keine Repressalien fürchten müssen. Eine starke Meldekultur war für Unternehmen in der EQS-Umfrage nach Compliance der zweitwichtigste Grund für die Einführung eines Hinweisgebersystems.

Mehr noch als das Meldesystem spielt dabei die Haltung von Führungskräften – bis hin zur Geschäftsführung – eine zentrale Rolle. Sie haben eine Vorbildfunktion und müssen aktiv zu einer Kultur beitragen, in der Offenheit und Transparenz gelebt werden. Dazu gehört auch, proaktiv zu kommunizieren, welche Kanäle für Hinweisgeber zur Verfügung stehen. Bei der Kommunikation sehen wir in der Praxis oft noch Nachholbedarf. Selbst kleine Unternehmen erhalten typischerweise mehrere Hinweise pro Jahr. Ist dies nicht der Fall, sollte das als Warnsignal verstanden werden: Möglicherweise bestehen Missstände unerkannt und kommen erst ans Licht, wenn bereits ein hoher Schaden entstanden ist.

Stehen die richtigen Meldekanäle zur Verfügung, und sind sie den Mitarbeitenden bekannt? Wenn nicht, was muss getan werden, um dies zu verbessern und auch das Vertrauen in ihre Wirksamkeit zu stärken? Damit investieren Unternehmen in eine loyale und engagierte Belegschaft, die Probleme anspricht, bevor sie eskalieren.

Mit Inkrafttreten des HinSchG haben sich Unternehmen auf die zügige Umsetzung konzentriert. Whistleblowing allein macht aber noch keine Compliance-Kultur aus, sondern ist nur ein – wenn auch wichtiger – Baustein. Es gilt jetzt, stärker über einzelne Gesetze hinauszudenken: In einer komplexen Compliance-Landschaft müssen Unternehmen einen ganzheitlichen, integrativen Ansatz mit klaren Richtlinien und Prozessen entwickeln, der durch eine digitalen Lösung unterstützt wird.

Wer Compliance nicht als lästige Pflicht, sondern als Kern der strategischen Ausrichtung begreift, minimiert nicht nur das Risiko rechtlicher Konsequenzen, sondern stärkt auch nachhaltig die Unternehmensreputation. Für Compliance-Verantwortliche bedeutet das: Ihre Arbeit geht inzwischen weit über die Umsetzung gesetzlicher Vorgaben hinaus. Sie tragen maßgeblich dazu bei, den Erwartungen von Mitarbeitenden, Kunden oder Investoren gerecht zu werden und das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Unternehmen zu stärken. Dieses Vertrauen wird in der globalen Geschäftswelt immer mehr zum wichtigsten Kapital. Compliance ist damit nicht nur ein unverzichtbarer Bestandteil verantwortungsvoller Führung – sie wird zum Schlüsselfaktor für den langfristigen Unternehmenserfolg.

Marcus Sultzer

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Marcus Sultzer ist Mitglied des Vorstands der EQS Group und als Chief Revenue Officer verantwortlich für den Bereich Globale Umsätze und Marketing.

 
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