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CNL 2021, 2
Quast 

Koalitionsvertrag lässt erhebliche Mehrbelastung der deutschen Wirtschaft für Compliance erwarten

Am 24. November 2021 haben die künftigen Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Für drei aktuelle Kernthemen der Compliance in Unternehmen – Verbandssanktionen, Hinweisgeberschutz und Lieferkettengesetz – deutet sich an, dass die Umsetzung des Koalitionsvertrags mittelfristig zu erheblichen Mehrbelastungen für die deutsche Wirtschaft führen könnte.

Abbildung 1

Die künftigen Regierungspartner von FDP, SPD und Grünen bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags im November.

„Wir schützen ehrliche Unternehmen vor rechtsuntreuen Mitbewerberinnen und Mitbewerbern. Wir überarbeiten die Vorschriften der Unternehmenssanktionen einschließlich der Sanktionshöhe, um die Rechtssicherheit von Unternehmen im Hinblick auf Compliance-Pflichten zu verbessern und für interne Untersuchungen einen präzisen Rechtsrahmen zu schaffen“, heißt es im Koalitionsvertrag Rn. 3723 ff.

Bereits bei der ersten Durchsicht drängt sich der Eindruck auf, dass es bei der Neuregelung vor allem um höhere Sanktionen für Unternehmen gehen soll. Zwar wird die Neuregelung primär mit dem Ziel höherer Rechtssicherheit für die Unternehmen begründet. Dafür wäre jedoch ein von Vertretern von SPD und Grünen offenbar favorisiertes Unternehmenssanktionsrecht nicht erforderlich. Umgekehrt hat die Diskussion des Entwurfs des Verbandssanktionengesetzes in der letzten Legislaturperiode gezeigt, dass der Gesetzgeber aufgrund der Vielgestaltigkeit der Normadressaten beider Regelungkonkreter Compliance-Pflichten sehr schnell an seine Grenzen gerät. Entsprechendes dürfte – u.a. aufgrund der engen Bezüge zum Arbeits- bzw. Mitbestimmungsrecht sowie zum europarechtlich determinierten Datenschutzrecht – für detaillierte Regelungen zu internen Untersuchungen gelten.

„Wir setzen die EU-Whistleblower-Richtlinie rechtssicher und praktikabel um. Whistleblowerinnen und Whistleblower müssen nicht nur bei der Meldung von Verstößen gegen EU-Recht vor rechtlichen Nachteilen geschützt sein, sondern auch von erheblichen Verstößen gegen Vorschriften oder sonstigem erheblichen Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt. Die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen wegen Repressalien gegen den Schädiger wollen wir verbessern und prüfen dafür Beratungs- und finanzielle Unterstützungsangebote“, legt der Koalitionsvertrag Rn. 3728 ff. fest.

In der vergangenen Legislaturperiode war die Umsetzung der EU-Hinweisgeber-Richtlinie noch am Widerstand der Union gegen eine sogenannte überschießende Umsetzung der Richtlinie gescheitert. Nun soll diese überschießende Umsetzung erfolgen, das heißt gesetzlicher Hinweisgeberschutz nicht nur bei der Verletzung von Europarecht wie in der Richtlinie vorgegeben, sondern auch weit darüber hinaus. Was aus der Perspektive des Hinweisgebers unter Umständen angemessen erscheinen mag, wirft aus Sicht der übrigen Normadressaten jedoch erhebliche Fragen auf. Mit dem Schutz des Hinweisgebers gehen teils weitreichende Grundrechtseingriffe bei den betroffenen Unternehmen einher (und gegebenenfalls Funktionseinschränkungen der ebenfalls betroffenen Exekutive). Jedenfalls soweit dies nach dem Koalitionsvertrag auch dann gelten sollte, wenn kein Rechtsverstoß vorliegt, sondern sonstiges – legales – Verhalten, dass sich jedoch (aus wessen Sicht?) als „erhebliche[s] Fehlverhalten“ darstellt, wäre die Verfassungskonformität des Umsetzungsgesetzes sehr genau zu prüfen.

„Wir unterstützen ein wirksames EU-Lieferkettengesetz, basierend auf den UN-Leitprinzipien Wirtschaft und Menschenrechte, das kleinere und mittlere Unternehmen nicht überfordert. Das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten wird unverändert umgesetzt und gegebenenfalls verbessert. Wir unterstützen den Vorschlag der EU-Kommission zum Gesetz für entwaldungsfreie Lieferketten. Wir unterstützen das von der EU vorgeschlagene Importverbot von Produkten aus Zwangsarbeit“, lautet der Koalitionsvertrag Rn. 1049 ff.

Aus Sicht der Unternehmen ist im Sinne der Rechtssicherheit und Planbarkeit positiv, dass an dem Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten festgehalten und dieses unverändert umgesetzt werden soll. Die Unterstützung für ein „wirksames EU-Lieferkettengesetz“ wird jedoch mit einiger Wahrscheinlichkeit den Compliance-Aufwand und die Sanktionsrisiken für Unternehmen weiter erhöhen. Nach dem bisherigen Verlauf des europäischen Normsetzungsprozesses ist derzeit zu erwarten, dass auf der EU-Ebene weitergehende Pflichten – insbesondere auch für kleine und mittlere Unternehmen – enthalten sein werden, als in dem geltenden nationalen Recht.

Die Umsetzung der Änderungsvorhaben im Koalitionsvertrag zu aktuellen Compliance-Fragen würde den Rechtsrahmen für die betroffenen Unternehmen stark verändern. Es erscheint derzeit naheliegend, dass dies zu einer Mehrbelastung der Unternehmen für präventive Compliance und ggf. auch nachträgliche Sanktionierung führen wird. Die Unternehmen sollten sich daher frühzeitig mit den anstehenden Änderungsvorhaben befassen und diese im erforderlichen Umfang kritisch begleiten. Zugleich können sich daraus jedoch auch Chancen, insbesondere im Bereich Fortentwicklung der Compliance-Management-Systeme und vor allem im Bereich ESG ergeben, die die Unternehmen frühzeitig für sich nutzen sollten.

Dr. Fabian Quast

Abbildung 2

Dr. Fabian Quast ist Partner im Berliner Büro von Hengeler Mueller und berät Mandanten unter anderem bei der Durchführung von internen Untersuchungen und der Implementierung von Compliance-Prozessen.

 
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