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CNL 2024, 4
Jüttner 

Kolumne: Spielräume erkennen

Legal & Compliance und der Umgang mit Krisen – warum verschiedene Strategien richtig sind und was es mit K-Krisen und L-Krisen auf sich hat, erläutert Markus Jüttner in unserer monatlichen Kolumne.

Viele Compliance-Manager und Syndici haben das Gefühl, dass die Krisen kein Ende nehmen und zum „New Normal“ werden. Globale, aber auch lokale Ereignisse und eine hohe Dynamik führen zu einer Kumulation von Entscheidungsnöten. Wie in der letzten Kolumne geschrieben (Compliance Ausgabe März 2024, S. 5), ist in solchen Krisensituationen oftmals nicht ein Plan die Lösung, sondern strategisches Handeln. Allerdings wird dabei häufig der Fehler begangen, sich keine Gedanken darüber zu machen, mit welcher Art von Krise bzw. Problem man konfrontiert ist; dabei ist dies Voraussetzung für eine erfolgreiche Krisenbewältigung.

Strategieeigenschaften für den erfolgreichen Umgang mit einer K-Krise und einer L-Krise

K-Krise

L-Krise

Entschlossenheit

Nachdenken

Erfahrung

(Organisations-) Klugheit

Die Dinge „von vorne“ betrachten.

Die Dinge auch „vom Ende her“ inspizieren.

Dogmatimus

Flexibilität

Sich von „Freunden“ beraten lassen (die das gleiche Mindset haben).

Sich von „Feinden“ beraten lassen (die Alternativen aufzeigen).

Gruppendenken

Vielfalt von Ansichten

Eher optimistische Herangehensweise („Wir schaffen das!“).

Eher pessimistische Herangehensweise („das und das könnte schiefgehen“).

Igel

Fuchs

So sollte man nach Dörner (2013) zwischen K-Krisen (Kurzfristkrisen) und L-Krisen (Langfristkrisen) unterscheiden: Erstere kennt man zu genüge, wenn beispielsweise eine Whisteblowermeldung eingeht, die dann unverzüglich zu investigieren ist, ein Unfall passiert, ein hohes Compliance-Risiko oder anderes Schadensereignis sich plötzlich realisiert etc. In vielen Organisationen wird dann bei größeren Ereignissen dieser Art ein Krisenstab einberufen mit – zu Recht – klaren Aufgaben und Rollenverteilungen. Bei Langfristkrisen hingegen handelt es sich nicht um derartige akute „Notfälle“. Die Umsetzung vieler neuer Gesetze, die steigenden Anforderungen an Compliance (vgl. jüngst KG Berlin, 22.1.2024 – 3 Ws 250/21, 161 AR 84/21 zur Verbandshaftung wegen eines Datenschutzverstoßes), die fortwährende Anpassung an Organisations- oder Marktveränderungen, der Umgang mit den gestiegenen ESG-Erwartungen externer Stakeholder, der Digitalisierungsdruck usw. sind Kennzeichen einer Langfristkrise. Es handelt sich mithin um Probleme, deren Lösung nicht unter unmittelbarem hohem Zeitdruck steht. Man hat in der Regel Wochen, Monate oder gar Jahre Zeit, sich auf die neuen Umstände einzustellen, Lösungen zu suchen und das sog. „Operating Model“ der Legal- & Compliance-Abteilung danach auszurichten.

Nun ist es so, dass sich die Strategien zur erfolgreichen Bewältigung dieser beiden Situationen grundlegend unterscheiden. Bei einer K-Krise ist entschlossenes Handeln gefragt. Zögern, Zweifeln oder Zaudern sind keine Tugenden während eines Notfalls. Entscheidungsstärke und Erfahrung sind gefragt. Anders ist es bei einer L-Krise. Hier sind Abwarten, Zweifeln und Zögern nicht schädlich – im Gegenteil. Das Sammeln von Informationen, das Nachdenken über verschiedene Handlungsoptionen und Alternativen führt in der Regel zu besseren Lösungen. Luhmann sagte mal, „Umwege des Denkens ersparen Umwege des Handelns“ – ein sehr guter Ratschlag für den Umgang mit L-Krisen. Gefragt ist hier also eine (Organisations-)Klugheit und Erfahrung nur insoweit als sie nicht zu einem Dogmatismus führt. Dies lässt sich anhand der Tabelle unten links veranschaulichen.

Mit den zuletzt genannten – Igel und Fuchs – aus der Tabelle sind zwei Problemlösungsstrategien gemeint, die hier ebenfalls weiterhelfen. „So hat der Psychologe Philip Tetlock aufgezeigt, dass jene Experten realitätsnäher urteilten, deren Denkstil dem des Fuchses entsprach. Offen zu sein für unterschiedliche Sichtweisen, vorschnellen Verallgemeinerungen zu widerstehen und mehrere Wahrheiten gelten zu lassen, zahlt sich offenbar aus. Allerdings, so Tetlocks Ergebnisse, wird dem Igel aufgrund seiner Klarheit und visionären Kraft öffentlich mehr Anerkennung gezollt. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass in Spitzenämtern von Wirtschaft und Politik weniger Füchse als Igel zu finden sind, wie eine andere Studie nahelegt. Wer nach oben kommen will, braucht offenkundig ein klares Profil. Mehrdeutigkeit und Zweifel werden da rasch als Schwäche interpretiert. Zwangsläufig müssen alternative Denkansätze zurücktreten und Widersprüche minimiert werden. In einer komplexen Welt ist aber Vorsicht geboten, wenn Handlungen oder Ereignisse auf einige wenige Grundprinzipien zurückgeführt werden. Typische Igel-Einstellungen zeigen sich in Aussagen wie: „Am Ende des Tages geht es doch immer nur um ABC.“ Oder: „Letzten Endes zählt nur XYZ.“ (Meynhardt, 2022)

Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass es nicht die eine Krisenbewältigungsstrategie für Legal & Compliance gibt, sondern (mindestens) zwei. Die Strategie zum Umgang mit akuten, dringenden Problemen ist eine andere als die zur Lösung von solchen Problemen, die nicht unter erheblichem Zeitdruck stehen.

Markus Jüttner

Abbildung 4

Spielräume erkennen: Es gibt (mindestens) zwei Strategien zur Krisenbewältigung. Welche wann die richtige ist, hängt vom zu lösenden Problem ab.

Abbildung 5

Markus Jüttner ist Rechtsanwalt und Partner des Fachbereichs Forensic & Integrity Services, Ernst & Young GmbH. Er berät Unternehmen in Fragen der Compliance, der Kultur und der Integrität. markus.juettner@de.ey.com

 
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