Monetäre Incentivierung von Compliance?
„Nicht geschimpft ist Lob genug.“ Dieses Sprichwort wirkt aus der Zeit gefallen; doch gilt dies auch für Compliance? Tatsächlich legt die Compliance-Praxis den Schwerpunkt weiterhin auf Sanktion statt auf Incentivierung. „Geld gegen Regelkonformität“ wird als befremdlich wahrgenommen. Doch wie eine Befragung unter Compliance-Verantwortlichen ergab, ist dies im Wandel begriffen. Dr. Sven Raak-Stilb erläutert die Wirkweise einer monetären Incentivierung von Compliance.
Geld gegen Regeltreue: Wenn Mitarbeiter in Sachen Compliance an einem Strang ziehen, könnte das belohnt werden.
In der Literatur wird die Rechtstreue als Verhaltensmaßstab mitunter als Selbstverständlichkeit aufgefasst, die von der Belegschaft zu erwarten sei. In Ermangelung eines besonderen Leistungscharakters sprechen sich die Vertreter dieser Ansicht gegen eine Incentivierung für die „bloße Einhaltung der Regeln“ aus. Dabei werden folgende Argumente vorgebracht: Erstens, ein wertorientiertes Verhalten sei dauerhaft nur aufrechtzuhalten, wenn es die eigene Überzeugung gebietet und nicht in Erwartung, hierfür einen Bonus zu erhalten. Zweitens, extrinsische Anreize zerstören langfristig die intrinsische Motivation zur Regeltreue.
Bei der intrinsischen Motivation handelt es sich allerdings um ein hypothetisches Konstrukt, das sich weder messen noch steuern lässt. Die intrinsische Motivation zur Regelkonformität ist der Compliance zwar keineswegs abträglich, da allerdings der sprichwörtliche „Blick in die Köpfe“ der Belegschaft misslingt, sollte sie als Strukturmerkmal eines CMS keine Rolle spielen.
Auf den Eintritt in eine Organisation folgt die sogenannte tertiäre Sozialisation und damit eine Phase des allmählichen Anpassens an die ungeschriebenen Verhaltensweisen und impliziten Wertungen, die ihre wirtschaftliche Funktionalität und Nützlichkeit für die Organisation über die Zeit bewiesen haben. Diese Sozialisation spielt eine zentrale Rolle bei der Entstehung normabweichenden Verhaltens. Das passiert im Wesentlichen durch informelles Lernen im operativen Tagesgeschäft durch Beobachtung der Kollegen und damit in einer Sphäre, die außerhalb des unmittelbaren Wirkungs- und Einflusskreises der Compliance-Funktion liegt.
Die Sozialisation der Beschäftigten kann dazu führen, dass – obwohl Straftaten im Allgemeinen abgelehnt werden – die Gültigkeit von Regeln von der jeweiligen Situation abhängig gemacht wird. Danach verliert die Normtreue ihre Unumstößlichkeit und wird vom Individuum zur Disposition von in der Organisation akzeptierten Wertungen gestellt. So kann sich eine Kultur der situativen Missachtung des Rechts etablieren. Eine Dilemmasituation des Mitarbeiters stellt sich dann oft erst gar nicht ein, da aus Täterperspektive das regelwidrige Handeln im beruflichen Zusammenhang „der Normalität“ entspricht, mithin als moralisch einwandfrei gewertet wird.
Aus Sicht der Compliance gilt es demzufolge nach Ansätzen zu explorieren, um auf die Vorstellungen der Gruppe von Normalität und abweichendem Verhalten einzuwirken. Dies hat in dem Wissen zu erfolgen, dass einer Organisation die gewünschte Compliance-Kultur nicht übergestülpt werden kann. Allerdings haben auch Organisationen als soziale Funktionssysteme die Fähigkeit auf veränderte Umfeldbedingungen zu reagieren, folglich zur Problembewältigung neue Grundprämissen zu erlernen. Im vorliegenden Verständnis bedeutet daher die Incentivierung von Compliance nicht etwa das schlichte Belohnen regelkonformen Verhaltens, sondern die monetär-induzierte Rückkopplung mit dem gemeinschaftlichen Normverständnis der Gruppe. Die Incentivierung soll mithin einen positiven Anpassungsdruck auf die eingeübten Grundprämissen, folglich auf die fragmentierte Normgeltung, erzeugen, um letztlich eine an der Regeltreue ausgerichtete Form der informellen Sozialkontrolle zum Zwecke der Prävention von Rechtsverstößen zu fördern.
Dr. Sven Raak-Stilb
Ausführliche Beiträge zur monetären Incentivierung von Compliance lesen Sie im neuen Jahr im Compliance-Berater. In Heft 1-2/2024 befasst sich Dr. Sven Raak Stilb mit der umfassenden Wirkweise einer monetären Incentivierung unter Berücksichtigung der gruppendynamischen Einflussfaktoren organisationaler Devianz. In CB 3/2024 erläutert er einen Vorschlag für ein Konzept zur Incentivierung von Compliance auf Individualebene, in dessen Mittelpunkt ein Peer-Group-Ansatz steht.
Dr. Sven Raak-Stilb, ist als Associate Director Compliance & Ethics bei einem forschenden Pharmaunternehmen in München tätig. Seine im Beitrag vertretene Ansicht spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung des Arbeitgebers wider.