Trotz stärkerer Compliance: Absprachen bleiben Problem im Kartellrecht
In ihrem Vortrag bei der Deutschen Compliance Konferenz im Industrie-Club in Düsseldorf am 11. und 12. Juni 2024 richtete Dr. Katrin Roesen, Leiterin der Sonderkommission für Kartellbekämpfung, Bundeskartellamt, einen eindringlichen Appell an die Unternehmen: „Wir müssen weiterhin in eine wirksame Kartellrechts-Compliance investieren.“ Denn obwohl insgesamt ein stärkeres Bewusstsein für Compliance bestehe, für das vor allem eine gelebte Unternehmenskultur von der Unternehmensspitze an entscheidend sei, sieht Roesen nach wie vor Probleme im Bereich der Absprachen.
Dr. Katrin Roesen, Leiterin der Sonderkommission für Kartellbekämpfung, Bundeskartellamt, appellierte an die Unternehmen, in eine wirksame Kartellrechts-Compliance zu investieren.
In ihrem Vortrag legte Roesen darum den Fokus auf illegale Absprachen zwischen Unternehmen. Hierfür existieren parallele Zuständigkeiten zwischen der EU-Kommission als Behörde auf europäischer Ebene und der deutschen Behörde. Wenn mehr als drei Mitgliedstaaten beteiligt sind, dann sei typischerweise die EU-Kommission zuständig, so Roesen. Absprachen über Preise, Quoten, Kunden und Gebiete seien sogenannte Hardcore-Kartelle. Aktuell bearbeite das Bundeskartellamt mehrere Fälle wegen vertikaler Preisbindung – ein Fall zu einem bekannten Produkt werde bald abgeschlossen. Als Beispiel für eine vertikale Preisbindung nannte Roesen den Fall des Schultaschenherstellers der Marken Satch und Ergobag. Gegen das Unternehmen wurde ein Bußgeld verhängt, weil es mit ihm kooperierende Händler beim Vertrieb von Schulranzen und Rucksäcken in ihrer Preissetzung eingeschränkt hatte.
Erschwerend für die Arbeit des Bundeskartellamts sei, dass die Komplexität bei Durchsuchungen in Unternehmen zugenommen habe: „Vor 15 Jahren haben wir noch Quotenvereinbarungen direkt auf dem Schreibtisch gefunden. Heutzutage sind es zahlreiche IT-Daten, die ausgewertet werden müssen.“ Außerdem vergrößerten wirtschaftliche Krisenzeiten den Anreiz für Unternehmen, Kooperationen einzugehen. Im bestehenden Rechtsrahmen erlaube das Kartellrecht dies zwar z.B. als Reaktion auf unvorhergesehene Mangellagen. Wichtig sei aber, eine Klärung beim Bundeskartellamt herbeizuführen, welche Kooperationen tatsächlich möglich sind. Dabei gelte: Alle Kooperationen sollten auf das sachlich begründete Minimum und die absolut notwendige Zeit beschränkt werden.
Für eine wirksame Compliance sei es natürlich am besten, wenn der Kartellrechtsverstoß verhindert werden kann, sagte Roesen. Als Reaktion, wenn doch ein Verstoß passiert, sollte die Kooperation mit den Kartellbehörden in Betracht gezogen werden – z.B. über das Kronzeugenprogramm, das seit 2021 in Deutschland gesetzlich verankert ist. Begleitend zu den gesetzlichen Regelungen verwies Roesen auf Leitlinien zum Kronzeugenprogramm. Ein Kartellbeteiligter, der sich als erster an die Behörde wende, könne im Rahmen des Programms einen kompletten Bußgelderlass bewirken. Dies sei z.B. beim Bierkartell der Fall gewesen, in dem die deutsche Tochtergesellschaft von Anheuser-Busch ohne Bußgeld aus dem Verfahren herausging, weil sie wertvolle Hinweise lieferte.
Kennzeichen des Kronzeugenprogramms sei das Windhundprinzip. Der erste, der einen Marker setzt, indem er Angaben zum Kartell macht und natürlich seinen Namen dabei nennt, könne von der Regelung profitieren. Es existiere auch ein entsprechender Kurzantrag, mit dem gleichzeitig ein Marker bei allen Behörden der EU gesetzt werde, die betroffen sind. Solche Marker könnten unbürokratisch – sogar telefonisch – gesetzt werden, erläuterte Roesen. Demnächst soll beim Bundeskartellamt zudem eine spezielle elektronische Möglichkeit zur Antragstellung eingerichtet werden – bei der EU-Kommission existiere sie bereits. Der Kronzeuge erhalte zudem keinen Eintrag in das Wettbewerbsregister, müsse also selbst keinen Selbstreinigungsantrag stellen, beschrieb Roesen einen weiteren Vorteil der Regelung.
Doch was, wenn das Bundeskartellamt schon Hinweise hat? Dann könne es trotzdem eine Reduktion des Bußgelds um maximal 50 Prozent geben.
Die Kronzeugenregel gelte allerdings nicht unmittelbar im abgekoppelten Strafprozess. Bei Submissionsabsprachen, der Kartellbildung im Rahmen von Ausschreibungen, sei das zu berücksichtigen. Außerdem könnten auch zivilrechtliche Forderungen der Geschädigten erfolgen, die mit der Kronzeugenregel nicht ausgeschlossen seien, erklärte Roesen.
Sie riet allerdings davon ab, deswegen das Kartell nur stillschweigend einzustellen, statt an der Aufdeckung mitzuwirken: „Das Unternehmen läuft dann Gefahr, dass die anderen das Kartell weiterführen und es später aufgedeckt wird.“
Christina Kahlen-Pappas