Wie die Digitalisierung die Kartellrechts-Compliance verändert
Die Digitalisierung eröffnet Unternehmen neue Wege des Wirtschaftens. Aber hat sie auch Einfluss darauf, wie im Unternehmen Rechtsverstöße begangen werden? Die Folgen der Digitalisierung für die Compliance-Arbeit sind ein wichtiges und vielschichtiges Thema. Hier folgen einige Überlegungen dazu aus kartellrechtlicher Perspektive.
Markttransparenz: Was für Verbraucher ein Segen der Digitalisierung ist, kann andererseits zur wettbewerbspolitischen Gefahr werden.
Eine weitgehend unbestrittene Prämisse lautet, dass es zum Vorteil der Verbraucher Wettbewerb geben soll. Wo Unternehmen nicht mehr miteinander konkurrieren, gehen nachweislich die Preise hoch, gehen Auswahl und Innovationskraft zurück und die Qualität lässt nach.
Die gute Nachricht ist, dass die Digitalisierung einen noch intensiveren Wettbewerb ermöglicht. Neue Informationstechnologien haben den Verbrauchern enorme Markttransparenz beschert und ihnen damit mehr Auswahlmöglichkeiten an die Hand gegeben. Das Beispiel E-Commerce zeigt deutlich: Im Internet werden die Produktangebote der Anbieter viel sichtbarer und die dazugehörigen Preise lassen sich auf dem Smartphone in Sekundenschnelle vergleichen.
Damit sich das Potential für eine Intensivierung des Wettbewerbs durch Digitalisierung tatsächlich entfaltet, müssen sich Unternehmen natürlich an das Kartellrecht halten. Denn wer mit seinen Wettbewerbern Angebot und Preis abstimmt, nimmt den Verbrauchern jene Auswahlmöglichkeiten wieder, die die Digitalisierung geschaffen hat.
Dauerhafte Kartellbildung auf sich digitalisierenden Märkten ist – im Prinzip – gar nicht so einfach. Schließlich ist der Wettbewerbsdruck groß und wettbewerbliche Vorstöße erfolgen schnell. Unter umgekehrten Vorzeichen kommt hier jedoch wieder die Markttransparenz ins Spiel: In der Hand der Verbraucher belebt die Preis- und Angebotstransparenz den Wettbewerb, es zeigen sich aber auch neue Möglichkeiten der Beschränkung des Wettbewerbs.
Wie sieht das konkret aus?
Wettbewerbern ist es verboten, sich zu kommerziell sensiblen Themen auszutauschen. Im vertrauten Cliché sind es grauhaarige Direktoren, die in verrauchten Hinterzimmern konspirieren und auf Landkarten die Märkte unter sich aufteilen. So sieht man es in etwa auch im Hollywood-Film „The Informant“ mit Matt Damon, der die Aufdeckung des Lysin-Kartells bildgewaltig zeigt.
Heute brauchen Unternehmen den persönlichen Kontakt nicht, um ein Kartell zu bilden. Sie brauchen nicht einmal ein Telefon oder E-Mail, sondern lediglich die Verbundenheit über eine digitale Plattform. Auf Plattformen für den gewerblichen Handel mit Waren oder Dienstleistungen etwa (sog. B2B-Handelsplattformen) können die Anbieter auch als Nachfrager auftreten – und so Einsicht in die Angebote ihrer Wettbewerber erhalten (das Bundeskartellamt verfolgt daher den Ansatz, die Transparenz auf B2B-Handelsplattformen für die Plattformnutzer gezielt wieder einzuschränken – siehe z.B. BKartA-Fallbericht vom 27. Februar 2018, „Aufbau einer elektronischen Handelsplattform für Stahlprodukte (XOM Metals GmbH)“).
Ein anderes Beispiel zeigt sich bei vertikalen Preisabsprachen zwischen Lieferanten und deren Abnehmern:
Vor 20 Jahren streiften noch die „Preisdetektive“ eines Lieferanten zur Beobachtung der Wiederverkaufspreise durch die Regalflure der Händler. Waren die Regalpreise aus Lieferantensicht zu niedrig, machte der Lieferant (unzulässigerweise) auf die fehlende Preisdisziplin beim nächsten Jahresgespräch aufmerksam.
Heute vertrauen Unternehmen auf Algorithmen, um die im Netz verfügbaren Preisinformationen zu beobachten, so auch Lieferanten und Händler. Setzt der Handel in Absprache mit Lieferanten die Weiterverkaufspreise höher an, ist das nicht nur verboten, sondern es kommt noch eine Verschärfung hinzu: Weil Händler ihre Preise in Abhängigkeit der Preise der Konkurrenz mit der Hilfe entsprechender Software teilweise automatisch anpassen, bewirkt ein Eingriff des Lieferanten selbst bei wenigen Händlern oft einen schnellen, im ganzen Markt spürbaren Preiseffekt (vgl. Pressemitteilung der Europäische Kommission vom 24. Juli 2018, „Kommission verhängt Geldbußen gegen vier Elektronikhersteller wegen Festsetzung von Online-Wiederverkaufspreisen“).
Mehr Markttransparenz in der Hand der Verbraucher ist ein Segen der Digitalisierung. Aber die Flut an frei verfügbarer Information in digitalen Netzen kann eben auch zur wettbewerbspolitischen Gefahr werden. Es dürfte sich für Compliance-Verantwortliche lohnen, in ihren Unternehmen nach Möglichkeiten für mehr Markttransparenz in digitalen Netzen Ausschau zu halten, um entsprechende Verbesserungsmöglichkeiten im Compliance-Management-System rechtzeitig zu entdecken.
Dr. Reto Batzel
Dr. Reto Batzel ist Partner der Boutique-Rechtsanwaltskanzlei MARCK in Düsseldorf. Er berät nationale und internationale Mandanten zu Kartellrecht, Compliance und Investigations. www.marck.eu