Wirtschaftsstabilisierungsfonds: Compliance-Aspekte könnten Zünglein an der Waage sein
Um die dramatischen Folgen der Corona-Pandemie für die deutsche Wirtschaft abzufedern, hat der Bund Ende März einen milliardenschweren Stabilisierungsfonds aufgelegt. Der Beitrag beschreibt die Voraussetzungen, unter denen Unternehmen Fördermöglichkeiten erhalten. Auch Compliance-Aspekte dürften hierbei eine Rolle spielen.
Compliance könnte bei der Vergabe der Förderung durch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds das Zünglein an der Waage sein.
Corona hat Deutschland und seine Volkswirtschaft fest im Griff. Erste Unternehmen, die den bereits mehrere Wochen andauernden Shutdown nicht überstanden haben, melden Insolvenz an (siehe zum Thema Insolvenz auch den Beitrag auf Seite 7).
Um die immensen Auswirkungen und Verwerfungen für die deutsche Wirtschaft abzufedern, hat der Bund ein ganzes Bündel an stabilisierenden Maßnahmen auf den Weg gebracht. Dazu gehört auch die Errichtung eines milliardenschweren Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF).
Dieser Fonds soll der Stabilisierung von Unternehmen der Realwirtschaft dienen. Er will Liquiditätsengpässe überwinden und Rahmenbedingungen für eine Stärkung der Kapitalbasis von Unternehmen schaffen, deren Bestandsgefährdung erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft, die technologische Souveränität, Versorgungssicherheit, kritische Infrastrukturen oder den Arbeitsmarkt hätte. Förderfähig sind Unternehmen, wenn sie in den letzten beiden Geschäftsjahren vor dem 1. Januar 2020
– eine Bilanzsumme von mehr als 43 Millionen Euro und
– einen Umsatz von mehr als 50 Millionen Euro ausgewiesen sowie
– durchschnittlich mehr als 249 Arbeitnehmer beschäftigt haben,
wobei es genügt, dass zwei dieser drei Kriterien erfüllt sind. Unternehmen des Finanzsektors und Kreditinstitute sind von diesen Maßnahmen ausgeschlossen.
Dem WSF stehen zwei bis zum 31. Dezember 2021 befristete Stabilisierungsmaßnahmen zur Verfügung:
Erstens darf der WSF Garantien bis zur Höhe von 400 Milliarden Euro für Verbindlichkeiten von Unternehmen übernehmen, die seit dem 28. März 2020 begründet worden sind.
Zweitens kann sich der WSF „an der Rekapitalisierung von Unternehmen beteiligen“. Im Fokus stehen dabei nachrangige Schuldtitel, Hybridanleihen, Genussrechte, stille Beteiligungen, Wandelanleihen und Unternehmensanteile. Das Volumen dieser Rekapitalisierung beläuft sich auf 100 Milliarden Euro. Rekapitalisierungen können auch für Unternehmen in Betracht kommen, die seit 2017 in mindestens einer abgeschlossenen Finanzierungsrunde von privaten Kapitalgebern mit einem Unternehmenswert von mindestens 50 Millionen Euro bewertet wurden.
Die Stabilisierungsmaßnahmen sollen zu angemessenen Gegenleistungen erfolgen und sind als ultima ratio gedacht. Das bedeutet, dass Unternehmen sie nur erhalten, wenn keine anderweitigen Finanzierungsmöglichkeiten gegeben sind. Zudem muss durch die Stabilisierungsmaßnahme eine klare eigenständige Fortführungsperspektive nach Überwindung der Corona-Pandemie bestehen.
Ansprechpartner für die Gewährung von Stabilisierungsmaßnahmen ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Die Entscheidung über die konkrete Gewährung trifft das Bundesministerium der Finanzen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie auf Antrag des Unternehmens nach pflichtgemäßem Ermessen. Zu den Ermessenskriterien zählen unter anderem die Bedeutung des Unternehmens für die Wirtschaft Deutschlands, die Dringlichkeit sowie die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und den Wettbewerb. Europarechtliche Vorgaben und Beschlüsse zu staatlichen Beihilfen sind zu beachten.
Um diese Stabilisierungsmaßnahmen zu erhalten, müssen Unternehmen gut geführt werden. Das Gesetz spricht von einer „soliden und umsichtigen Geschäftspolitik“. Sie sollen – so heißt es nahtlos weiter – insbesondere einen Beitrag zur Stabilisierung von Produktionsketten und zur Sicherung von Arbeitsplätzen leisten. Auch wenn sich noch keine gängige Praxis herausbilden konnte, könnten über den Begriff der soliden und umsichtigen Geschäftspolitik auch Compliance- und Nachhaltigkeitsaspekte zu berücksichtigen sein. Möglich erscheint es auch, dass Corporate-Governance-Themen einfließen, wie sie im kürzlich novellierten Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) 2020 oder im Public Corporate Governance Kodex des Bundes (PCGK) enthalten sind. Eine spannende Frage wird auch sein, ob Unternehmen, die sich in der Vergangenheit nicht „compliant“ verhalten haben oder gerade eine Internal Investigation zur Aufklärung von etwaigen Compliance-Verstößen durchführen, als nicht förderfähig angesehen werden. Jedenfalls kann man heute schon sagen, dass eine gelebte Compliance-Kultur die Chancen für einen erfolgreichen Antrag nicht verschlechtert.
Es bleibt festzuhalten: Der WSF soll zur Stabilisierung der deutschen Realwirtschaft Unternehmen finanziell über Garantien, Eigenkapital oder eigenkapitalähnliche Instrumente unterstützen. Im unternehmenspolitischen Fokus steht die notwendige Absicherung von Produktionsketten und Arbeitsplätzen. Im Gegenzug verpflichten sich die begünstigten Unternehmen zu einer gesunden Unternehmensführung und gewähren dem staatlichen WSF bestimmte Einflussmöglichkeiten. Compliance-Aspekte dürften auch hier zum Tragen kommen und vielleicht auch in dem ein oder anderen Fall das Zünglein an der Waage sein.
Dr. Thomas Mühl
Dr. Thomas Mühl ist Rechtsanwalt und Principal Counsel bei der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland. Er berät bei Mergers & Acquisitions, Umwandlungen und Unternehmensverträgen sowie bei gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten.