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DSB 2020, 193
Herbrich 

Privacy Wars

Abbildung 1

Tilman Herbrich
Schriftleitung
Datenschutz-Berater

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

ein schlafender Riese ist erwacht: Das Datenschutzrecht, jahrzehntelang in den Schubladen der Behörden verstaubt und von wenigen Scholaren gepflegt, steht seit Kurzem im Rampenlicht der europäischen und internationalen Politik.

Maximilian Schrems, kürzlich noch Student der Rechte, jetzt Ikone für digitale Bürgerrechte, hat wiederholt gezeigt, dass die alte Mär vom kleinen David und dem Riesen Goliath auch in unserer Zeit kraftvoll klingt. Der EuGH hat mit Schrems II einen zweiten Stein geschleudert, einen, der dieses Mal noch schwerer verdaulich war, als das Urteil zu Safe Harbor. Der EU-US Privacy Shield ging zu Boden und auch von den übrigen Transfermechanismen stehen nur noch Ruinen, sehr zum Leidwesen von Wirtschaft und Beratern.

Es kursiert eine Anekdote, wonach der unbekümmert-juvenile Max bei einem Studienaufenthalt an der Santa Clara University, Kalifornien, im August vor zehn Jahren den Gastvortrag von Edward Palmieri, damals Privacy Associate General Counsel von Facebook, anhörte und dieser den Anwesenden erklärte, „privacy is dead“. Max, so sagt die Legende, habe sich damals ein Herz gefasst und beschlossen, die vorgebrachte Hypothese auf Belastbarkeit zu prüfen. Zehn Jahre später sieht die Wirtschaftswelt beider Kontinente mit Faszination und Erschrecken zugleich, wie sich, getrieben von der Kraft der erst wenige Jahre alten Grundrechtecharta, der Papiertiger „Datenschutz“ in ein Raubtier verwandelt hat. Es hat viele Juristen überrascht, mit welcher Klarheit der EuGH begründet, dass die Rechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens, auf Schutz personenbezogener Daten sowie auf einen wirksamen Rechtsbehelf Geltung gegenüber wirtschaftlicher Nonchalance beanspruchen dürfen.

Das Urteil wirkt jedoch so befreiend wie ein Schlag in die Magengrube. Denn auch wir Europäer leben in einer Welt der Technologieakzeptanz und profitieren von einer global vernetzten Wirtschaft, deren technisch-organisatorisches Rückgrat weltweite Datentransfers sind. Reibungen beim Spagat zwischen staatlichem Schutz, persönlicher Rechte und Freiheiten sowie dem Drang von Personen und Unternehmen nach Freiheit und Sorglosigkeit erzeugen Hitze. Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Mit „judicial imperialism“ und „deeply disturbing“ sowie noch weniger gewählten Worten wurde nicht nur von jenseits des Atlantiks in Richtung Luxemburg geschossen.

Doch schon wenige Tage später erstickte diese Empörung und wich einem Erstaunen über die scharfe Gangart der US-Regierung gegenüber den chinesischen Unternehmen TenCent („WeChat“) sowie ByteDance („TikTok“ US). Anders als der in Kategorien des Rechts argumentierende EuGH versuchte Präsident Trump es nicht einmal mit Diplomatie, sondern erklärte: „the US must take aggressive action against the owners of TikTok“. Die Executive Orders vom 6. August 2020 postulieren, die ungezügelte Datensammlung dieser Apps bedrohe die „national security, foreign policy, and economy of the United States“. Harte Sanktionen wurden angedroht. Wenige Tage später ordnete Trump sogar die Rückabwicklung der 2017 vollzogenen Übernahme von Musical.ly durch ByteDance an.

Und plötzlich erscheint das Datenschutzrecht quicklebendig auf der Weltbühne, bewegt als Mittel der Wirtschafts- und Geopolitik Staaten, ihre LenkerInnen und Bürger gleichermaßen. Und durch alle obskuren Handlungen scheint ein Quäntchen von Clausewitz hindurch: Sind die neuen Privacy Wars am Ende nicht mehr als „die bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“?

Ihr

Tilman Herbrich

 
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