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DSB 2024, 285
Quiel 

Vernünftige Erwartungen

Abbildung 1

Philipp Quiel Schriftleitung Datenschutz-Berater

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

bald ist Weihnachten und dann auch schon bald Neujahr. Aber die Tage sind kurz, die weltpolitische Lage ist schwierig und draußen ist es häufig kalt. Der EuGH hat dieses datenschutzrechtliche Jahr maßgeblich geprägt und das wird im nächsten Jahr sicherlich auch wieder so sein. Bevor ich Wünsche und Grüße zum Ende des Jahres ausspreche, möchte ich einen kurzen Blick auf die Bedeutung von „vernünftigen Erwartungen“ werfen.

Vernünftige Erwartungen sind vor allem im Kontext der Rechtsgrundlage aus Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO relevant. Doch wann sind Erwartungen eigentlich vernünftig? Was vernünftig und was unvernünftig ist, dazu kann man ganz unterschiedliche Ansichten haben. Doch das ist an dieser Stelle gar nicht maßgeblich. Ich gehe davon aus, dass „vernünftige“ Erwartungen ähnlich wie „berechtigte“ Interessen zu verstehen sind. Eine Erwartung ist demnach dann vernünftig, wenn sie keine Annahme eines rechtswidrigen Verhaltens ist. Analog dazu sind berechtigte Interessen nicht „berechtigt“, wenn es um Interessen an der Vornahme rechtswidriger Handlungen geht.

Es ist viel herausfordernder zu bestimmen, wann eine Datenverarbeitung erwartet wird. Der EuGH hat in der Rechtssache Meta vs. Bundeskartellamt jedenfalls festgestellt, dass ein Nutzer eines kostenlosen sozialen Netzwerks vernünftigerweise nicht erwarten kann, dass der Betreiber des Netzwerks Datenverarbeitungen für personalisierte Werbung ohne seine Einwilligung vornimmt. Bedenkt man, dass Direktwerbung als berechtigtes Interesse in ErwGr. 47 Satz 7 zur DSGVO explizit benannt wird (der EuGH erwähnt das sogar) und den in Art. 21 Abs. 2 DSGVO separat vorgesehenen Werbewiderspruch, dann ist die Entscheidung an der Stelle nicht gerade selbstverständlich. Jedenfalls wäre es wünschenswert gewesen, wenn der Gerichtshof sich intensiver damit auseinandergesetzt hätte, wie die vernünftigen Erwartungen – fernab einer Beziehung zwischen Betroffenen und Verantwortlichen – im Einzelfall zu bestimmen sind. In 2024 entschied der EuGH in der Rechtssache HTB Neunte Immobilien Portfolio hingegen nachvollziehbarer, dass bei einem vertraglich vorgesehenen Verbot für das Teilen bestimmter Daten die Betroffenen auch nicht vernünftigerweise erwarten können, dass diese Daten geteilt werden. Bei der Bestimmung von vernünftigen Erwartungen kann man demzufolge auch vertragliche Abreden mit einbeziehen, obwohl die Datenverarbeitung nicht auf Basis von Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO gerechtfertigt werden soll.

Abstrakte Kriterien oder Maßstäbe für die Untersuchung der für eine Datenverarbeitung bestehenden vernünftigen Erwartungen hat der EuGH bislang noch nicht entwickelt. Vielleicht passiert das in 2025. Es ist aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs aber auch klar erkennbar, dass andere Kriterien bei der Interessenabwägung ebenfalls zu berücksichtigen sind. Nämlich zumindest der Umfang der Datenverarbeitung und deren Auswirkungen auf die betroffene Person. Ich gehe davon aus, dass es Fälle geben kann, in denen die Betroffenen eine Datenverarbeitung nicht erwarten, aber die Verarbeitung dennoch wegen der geringen Auswirkungen auf Rechte und Freiheiten Betroffener auf Grundlage von Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO gerechtfertigt werden kann. Mit anderen Worten: Bei der Interessenabwägung sollte man nicht allein deswegen vom Überwiegen der Interessen Betroffener ausgehen, weil diese eine Datenverarbeitung nicht erwarten. Unbestritten ist jedoch, dass die vernünftigen Erwartungen im Rahmen der Abwägung immer relevant sind.

Apropos vernünftige Erwartungen: Ich wünsche mir für das Jahr 2025, dass die zur Weihnachtszeit normal wirkende Freundlichkeit gegenüber Fremden und Nachsichtigkeit mit Mitmenschen nicht so schnell abklingt. Gerade mein Wohnort Berlin ist wohl nicht gerade für Herzlichkeit zwischen einander fremden Personen bekannt. Doch in der Vorweihnachtszeit scheinen die Herzen häufiger aufzuweichen. Denn es ist schließlich bald Weihnachten. Im eventuell übergeordnet schwierig werdenden Jahr 2025 sollten wir im Alltag und nicht nur am Anfang und Ende des Jahres nachsichtiger miteinander und netter zueinander sein. Das erwarte ich vernünftigerweise von uns allen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein frohes Fest und alles Gute für das Datenschutzjahr 2025.

Ihr

Philipp Quiel

 
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