OLG Nürnberg
Kein Verstoß gegen freien Warenverkehr und Dienstleistungsfreiheit bei Anwendung des Rabattgesetzes auf Inlandssachverhalt
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 18. August 1994 - 3 U 2098/94;
OLG Nürnberg
vom 18.08.1994
- 3 U 2098/94
EWS
1995, 53
(Heft 1/2)
Aus den Gründen»1.-4. Der Senat ist nicht durch höherrangiges Recht an der Anwendung des Rabattgesetzes im vorliegenden Fall gehindert.a) Es ist nicht zu erkennen, inwiefern das Rabattgesetz gegen die Europäische Richtlinie des Rates über Pauschalreisen vom 13. 6. 1990 (ABl. EG 90/LU158/59) verstößt. Die Richtlinie regelt keine rabattrechtlich relevanten Sachverhalte, sondern harmonisiert zum Schutz der Verbraucher die Regelungen über Pauschalreisen in den Mitgliedstaaten. Sie enthält nur in Artikel 4 Abs. 4 a die Bestimmung, daß der vertraglich festgelegte Preis grundsätzlich nicht geändert werden darf. Damit ist aber nichts darüber ausgesagt, wie der Reiseveranstalter und/oder Vermittler den Pauschalreisepreis zu bilden hat und in welcher Höhe er schließlich in den Vertragsverhandlungen mit dem Kunden zustande kommt. Da die Richtlinie objektiv keine rabattrechtlichen Fragen regelt und auch nicht regeln will, kann aus ihr weder das Verbot der Gewährung von Rabatten noch das Gebot, Rabatte in beliebiger Höhe zuzulassen, abgeleitet werden. Die Frage, ob diese Richtlinie nach Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbare Ansprüche von Bürgern in den Mitgliedstaaten begründet, kann daher dahinstehen.b) Die Anwendung des Rabattgesetzes verstößt nicht gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs nach Artikel 30 ff. EWG-Vertrag. Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 24. 11. 19931EWS 1994 S. 25 f. m. Anmerkung von Jestaedt und Kästle; vgl. auch Sack, Staatliche Regelungen sogenannter »Vorkaufsmodalitäten«, EWS 1994 S. 37 ff. (GRUR Int. 1994, 56f. - Keck und Mithouard -), fortgeführt in den Entscheidungen vom 15. 12. 19932EWS 1994 S. 59 f. (GRUR Int. 1994, 170f. - Hünermund gegen Landesapothekerkammer) und vom 2. 6. 19943EWS 1994 S. 283 f.; vgl. auch EWS 1994 S. 217. (EuZW 1994, 434 und 435), die Grundsätze vorgegeben, an denen in Zukunft wettbewerbsbeschränkende Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten zu messen sind. Danach sind grundsätzlich als Maßnahmen gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung Bestimmungen verboten, die geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern. Dies trifft ohne weiteres auf Hemmnisse für den freien Warenverkehr zu, die sich in Ermangelung einer Harmonisierung der Rechtsvorschriften daraus ergeben, daß Waren aus anderen Mitgliedstaaten, die dort rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind, bestimmten Vorschriften entsprechen müssen (wie etwa hinsichtlich ihrer Bezeichnung, ihrer Form, ihrer Abmessungen, ihres Gewichts, ihrer Zusammensetzung, ihrer Aufmachung, ihrer Etikettierung und ihrer Verpakkung), selbst dann, wenn diese Vorschriften unterschiedslos für alle Erzeugnisse gelten, sofern sich die Anwendung dieser Vorschriften nicht durch einen Zweck rechtfertigen läßt, der im Allgemeininteresse liegt und den Erfordernissen des freien Warenverkehrs vorgeht. Demgegenüber ist entgegen der bisherigen Rechtsprechung die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne des Urteils Dassonville (Urteil vom 11. 7. 1974, Slg. 1974, 837) unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren. Sind diese Voraussetzungen nämlich erfüllt, so ist die Anwendung derartiger Regelungen auf den Verkauf von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedstaat, die den von diesem Staat aufgestellten Bestimmungen entsprechen, nicht geeignet, den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tut. Diese Regelungen fallen daher nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 30 EWG-Vertrag (so wörtlich EuGH, GRUR Int. 1994, 57 - Keck und Mithouard)1EWS 1994 S. 25 f. m. Anmerkung von Jestaedt und Kästle; vgl. auch Sack, Staatliche Regelungen sogenannter »Vorkaufsmodalitäten«, EWS 1994 S. 37 ff..Bei der Anwendung des deutschen Rabattgesetzes handelt es sich nicht um einen Fall der produktbezogenen Beschränkung, sondern um den Fall einer nur marketingbezogenen Beschränkung, die nach den oben dargestellten Grundsätzen nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 30 EWG-Vertrag fällt. Das Rabattgesetz regelt nämlich allein Verkaufsmodalitäten, die für alle Wirtschaftsteilnehmer gelten und den Absatz in- und ausländischer Produkte in gleicher Weise berühren. Das entspricht auch der einhelligen Ansicht in der Literatur (vgl. Piper WRP 1994, 435). Die Antragsgegnerin beruft sich in diesem Zusammenhang vergeblich auf die Entscheidung des EuGH vom 2. 2. 19944EWS 1994 S. 93 ff. (GRUR Int. 1994, 231 ff. - Verband Sozialer Wettbewerb gegen Clinique Laboratoires SNC). In dieser Entscheidung hat das Gericht die Grundsätze der Entscheidung Keck und Mithouard keineswegs eingeschränkt, sondern im Gegenteil bekräftigt. In diesem Fall ging es um die Frage, ob die Anwendung von § 27 des Deutschen Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (LMBG) und von § 3 UWG mit dem Ziel des Verbotes der Produktbezeichnung 'Clinique' wegen Irreführung gegen Artikel 30 EWG-Vertrag verstößt. Im Fall 'Clinique' handelte es sich somit nicht um die Überprüfung von Beschränkungen, die sich nur auf die Verkaufsmodalitäten bezogen, sondern von Beschränkungen, die eindeutig produktbezogen waren und auf die Artikel 30 EWG-Vertrag Anwendung findet (vgl. auch Landgericht Berlin, Magazindienst 1994, 688 in der Abschlußentscheidung zum Fall 'Clinique').Die Antragsgegnerin beruft sich weiter vergeblich auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Fall 'Weltweit Club' (GRUR 1977, 672). Es kann dahinstehen, ob dieser Entscheidung angesichts der geäußerten Kritik (Baumbach/Hefermehl, a. a. O., Einleitung RZ 186; anderer Ansicht offensichtlich auch BGH GRUR 1991, 463 - Kauf im Ausland -) gefolgt werden kann. Selbst wenn man ihr folgt, dann führt sie allenfalls zu einer gewissen Schlechterstellung von deutschen Anbietern, die im Ausland im Gegensatz zu ihren ausländischen Mitkonkurrenten unter Umständen dort zulässige Rabatte nicht gewähren dürften. Das aber sind Auswirkungen, die sich allein auf den inländischen Verkehr beschränken und die Produkte und Verkaufsmodalitäten von Herstellern aus anderen Mitgliedstaaten nicht betreffen. Die Korrektur von etwaigen Diskriminierungen inländischer Anbieter ist nicht Aufgabe des Gemeinschaftsrechts (vgl. Schricker WRP 1993, 618).c) Die Anwendung des Rabattgesetzes im vorliegenden Fall verstößt nicht gegen Artikel 59 ff. EWG-Vertrag, die auf die Leistungen von Reisebüros Anwendung finden können (Grabitz/Randelzhofer, EWG-Vertrag, Artikel 60 RZ 16 ff.). Diese Regelungen über die Dienstleistungsfreiheit in der Europäischen Union verbieten zwar in erster Linie die Diskriminierung von Dienstleistungserbringern aus anderen Mitgliedstaaten gegenüber inländischen, zielen aber darüber hinaus auf die Zurückdrängung nationaler Bestimmungen und Maßnahmen ab, die den freien Dienstleistungsverkehr beschränken. In ihren sachlichen Anwendungsbereich fallen daher auch gewerbliche Betätigungen eines Dienstleistungserbringers, die der Vorbereitung von grenzüberschreitenden Leistungen dienen, also alle Maßnahmen der Markterschließung wie etwa Werbung, der Vertragsabwicklung und Rechtsdurchsetzung (Dauses, Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, E I RZ 107). Ob aber im Einzelfall solche Maßnahmen, die nicht das Produkt selbst, d. h. die Erbringung und Empfangnahme der Dienstleistung, betreffen, gegen die Gewährung der Dienstleistungsfreiheit verstoßen, ist entsprechend den Grundsätzen über die Zulässigkeit von Beschränkungen des freien Warenverkehrs nach Artikel 30 EWG-Vertrag (Dauses, a. a. O., E I RZ 107 m. w. N. und Schricker, WRP 1993, 618) zu entscheiden. Diese stehen aber nach der Rechtsprechung des EuGH, wie ausgeführt, der Anwendung des deutschen Rabattgesetzes nicht entgegen.d) Die Vorlage des Rechtsstreits an den Europäischen Gerichtshof gemäß Artikel 177 Abs. 3 EWG-Vertrag zur Klärung der Frage, ob die Anwendung des deutschen Rabattgesetzes im vorliegenden Fall gegen das Recht der EU verstößt, ist nicht veranlaßt. Eine Vorlagepflicht besteht auch für letztinstanzliche Gerichte nicht, wenn es sich um ein Eilverfahren handelt, bei dem im Hauptsacheverfahren - wie hier - eine erneute Prüfung möglich ist (EuGH Slg. 1977, 957; Slg. 1982, 3723). Da nach Ansicht des Senates in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH und der einhelligen Meinung in der Literatur das deutsche Rabattgesetz weder gegen primäres noch sekundäres Gemeinschaftsrecht verstößt, besteht auch sonst keine Veranlassung zur Vorlage. Der dadurch bedingte Zeitverlust stünde in keinem vertretbaren Verhältnis zu dem vorhersehbaren Ergebnis einer solchen Vorlage.«
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