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EWS 1994, 289
 
LG Bonn
Keine Haftung der Bundesrepublik wegen verspäteter Umsetzung der Pauschalreise-Richtlinie

LG Bonn, Entscheidung vom 6. Juni 1994 - 1 0 317/93;

LG Bonn vom 06.06.1994 - 1 0 317/93
EWS 1994, 289 (Heft 8)
SachverhaltDer Kläger begehrt von der beklagten Bundesrepublik Deutschland Schadensersatz aus Amtspflichtverletzung wegen nicht rechtzeitiger Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Rates vom 13. 6. 1990 über Pauschalreisen. Er buchte im Dezember 1992 bei der Firma MP Travel Line International GmbH eine dreiwöchige Flugreise mit Übernachtung für zwei Personen nach Portugal. Die MP Travel Line bestätigte am 18. 12. 1992 die für die Zeit vom 31. 8. bis 21. 9. 1993 geplante Reise. Auf den Gesamtreisepreis von 2978,- DM leistete der Kläger am 29. 12. 1992 eine laut der Bestätigung »sofort fällige« Anzahlung von 400,- DM. Von der Möglichkeit, bei sofortiger Zahlung des Gesamtpreises 3% Rabatt zu erhalten, machte der Kläger keinen Gebrauch. Nach den Bedingungen des Reiseveranstalters war der restliche Gesamtpreis nach Erhalt der Reiseunterlagen zu zahlen. Der Kläger überwies am 23. 7. 1993 den Restpreis von 2578,- DM an MP Travel Line. Er und die weiteren Teilnehmer traten die Reise jedoch nicht mehr an, nachdem in der Presse darüber berichtet worden war, daß der Reiseveranstalter Konkurs angemeldet hatte und deutsche Touristen deshalb nicht wieder nach Hause geflogen würden. Tatsächlich hatte die MP Travel Line am 24. 6. 1993 beim Amtsgericht Frankfurt a. M. Vergleichsantrag gestellt, der am 22. 7. 1993 abgelehnt wurde; gleichzeitig eröffnete das Amtsgericht den Anschlußkonkurs. Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte hätte auf Grund der EG-Pauschalreiserichtlinie spätestens für die Zeit ab 1. 1. 1993 entsprechende gesetzliche Vorkehrungen gegen den Konkursausfall treffen müssen. Eine bereits zu diesem Datum geltende gesetzliche Regelung hätte ihm einen Erstattungsanspruch bezüglich der am 29. 12. 1992 und 23. 7. 1993 gezahlten Beträge gegenüber dem sichernden Dritten gewährleistet. Die beklagte Bundesrepublik Deutschland ist der Auffassung, die Ansprüche der Kläger könnten schon deshalb nicht vom Schutzbereich der EG-Pauschalreisen-Richtlinie erfaßt sein, weil der Reisevertrag vor dem 1. 1. 1993 abgeschlossen wurde. Es habe keine Verpflichtung des nationalenGesetzgebers bestanden, für die vor dem 1. 1. 1993 abgeschlossenen Reiseverträge eine rechtliche Grundlage für den zwingenden Nachweis eines Insolvenzschutzes zu schaffen. Vielmehr entspreche es allgemeinem Rechtsgedanken, daß Inhalt und Wirkung von Schuldverhältnissen nach dem Recht zu beurteilen sind, das zum Zeitpunkt der Verwirklichung eines Entstehungstatbestandes gilt; eine Gesetzesänderung dürfe nicht in bestehende Verträge eingreifen. Unabhängig davon stehe dem Kläger weder aus Gemeinschaftsrecht noch aus dem Haftungsrecht der Bundesrepublik ein Schadensersatzanspruch zu. Das Landgericht Bonn hat die Klage abgewiesen.Aus den Gründen»I. Ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte aus nationalem Recht besteht nicht.Für einen Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff fehlt es schon an der Unmittelbarkeit zwischen dem infrage kommenden staatlichen Eingriff (Nicht-Umsetzung der Richtlinie) und dem Schaden des Klägers. Dieser ist, wenn überhaupt, erst durch die Zahlungsunfähigkeit des Reiseveranstalters eingetreten.Auch aus § 839 BGB i. V. m Art. 34 GG läßt sich der Klageanspruch nicht unmittelbar herleiten. Im Fall des gesetzgeberischen Unterlassens fehlt es nämlich regelmäßig - so auch hier - am sogenannten Drittbezug von Amtspflichten (BGHZ 100, 136, 145; BGH EuZW 93, 226 f.). Dieser Drittbezug wäre nur dann gegeben, wenn das gesetzgeberische Tätigwerden das individuelle Interesse gerade des Klägers hätte schützen sollen und nicht nur generell alle Pauschalreisenden.II. Eine unmittelbare Haftung der Beklagten aus der EG-Reiserichtlinie vom 13. 6. 1990 ist zu verneinen. Nach Art. 7 dieser Richtlinie soll allein der Reiseveranstalter verpflichtet werden, Sicherheiten für den Fall seiner Zahlungsunfähigkeit oder seines Konkurses nachzuweisen. Dabei obliegt dem einzelnen Mitgliedstaat selbst die Entscheidung, welchen institutionellen Rahmen er dem zu errichtenden Sicherungssystem geben und wie die finanzielle Ausstattung des Sicherungssystems erfolgen soll. Die durch Art. 7 der Richtlinie möglicherweise intendierten Rechte des einzelnen EG-Bürgers sollen gerade nicht unmittelbar gegenüber dem Einzelstaat geltend gemacht werden können.Der Kläger hatte deshalb keinen unmittelbaren Anspruch gegenüber der Beklagten auf Sicherstellung seiner Zahlungen. Diese unmittelbare Wirkung fehlt hier ebenso wie in der von den Parteien angesprochenen Rechtssache Francovich (EuGH NJW 92, 165)*EuGH, EWS 1991 S. 391 ff. = RIW 1992 S. 243 ff. mit Anm. Meier; vgl. dazu auch Graf von Westphalen, EWS 1993 S. 269 ff., und Karl, RIW 1992 S. 440 ff..III. Im Ergebnis haftet die Beklagte dem Kläger auch nicht mittelbar über Art. 189 Abs. 3 EG-Vertrag i. V. m. § 839 BGB u. Art. 34 GG wegen Verletzung von Gemeinschaftsrecht, d. h. wegen Nichtumsetzung der Reiserichtlinie.Nach der Rechtsprechung des EuGH ist ein Vertragsstaat bei Verstoß gegen EG-Recht unter drei Voraussetzungen zum Schadensersatz verpflichtet (vgl. EuGH, Sammlung 1991, I-5357 ff., Rn. 40). Erstens muß das durch die Richtlinie vorgeschriebene Ziel die Verleihung von Rechten an Einzelne beinhalten. Zweitens muß der Inhalt dieser Rechte auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden können. Drittens muß ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat auferlegte Verpflichtung und dem den Geschädigten entstandenen Schaden bestehen.1. Ob die Reiserichtlinie Individualrechte im Sinne der obigen Rechtsprechung des EuGH einräumt, ist zweifelhaft...2. Ein Kausalzusammenhang zwischen der Nichtumsetzung der EG-Richtlinie und dem Schaden des Klägers besteht nicht. Der vorliegende Fall unterscheidet sich von zahlreichen anderen Fällen, die der Kammer zur Entscheidung vorliegen, dadurch, daß der Kläger den Reisevertrag noch im Jahre 1992 abschloß. Maßgeblich für das Zustandekommen des Vertrages war dabei die Bestätigung des Reiseveranstalters vom 18. 12. 1992. Auf Grund dieses im Dezember 1992 abgeschlossenen Vertrages leistete der Kläger am 29. 12. 1992 die Anzahlung von 400,- DM und am 23. 7. 1993 die restliche Zahlung von 2578,- DM.Mit der Beklagten ist die Kammer der Auffassung, daß die vor dem 1. 1. 1993 abgeschlossenen Reiseverträge nicht in den Schutzbereich der Richtlinie - einen individuellen Schutzzweck unterstellt - fallen. Selbst bei rechtzeitiger Umsetzung in die nationale Gesetzgebung hätte ein ab 1. 1. 1993 geltendes neues nationales Reiserecht den Insolvenzschutz für den Kläger nicht mehr bewirken können, jedenfalls nicht müssen.Art. 9 der Richtlinie verlangt von den Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um dieser Richtlinie spätestens am 31. 12. 1992 nachzukommen. Dem Kläger ist zuzugeben, daß dieser späteste Zeitpunkt die Beklagte nicht gehindert hätte, die nationalen Gesetze schon zu einem früheren Zeitpunkt zu ändern. Darauf kommt es hier aber nicht an. Im Rahmen des Schadensersatzanspruches ist vielmehr entscheidend, wozu die Beklagte verpflichtet war. Insoweit stellt sich die Frage, welche Maßnahme im Sinne der Richtlinie die Beklagte bis zum 31. 12. 1992 treffen mußte.a) Aus den oben unter Ziffer 1. genannten Gründen spricht vieles dafür, daß die Beklagte nur die Pflicht hatte, bis zum 31. 12. 1992 den gesetzgeberischen Rahmen bereitzustellen, unter dem die Reisebranche die Sicherungsmittel einzurichten hatte. Allenfalls kann man annehmen, die Beklagte hätte die gesetzlichen Grundlagen unter Berücksichtigung einer gewissen Vorlaufzeit für die Reise- und Versicherungsbranche so frühzeitig schaffen müssen, daß die Insolvenzsicherung für die ab 1. 1. 1993 abgeschlosssenen Reiseverträge auch tatsächlich hätte greifen können. Aber selbst dann könnte der Kläger die Erstattung seiner Anzahlung vom 29. 12. 1992 nicht von der Beklagten verlangen.b) Der Schadensersatzanspruch besteht aber auch hinsichtlich der Restzahlung vom 23. 7. 1993 nicht.Die Reiserichtlinie bestimmt nicht, daß der Mitgliedstaat ab 1. 1. 1993 die Erstattung insolvenzbedingter Ausfälle garantieren muß. Vielmehr erlegt Art. 7 lediglich dem Veranstalter und/oder dem Vermittler die Pflicht zum Nachweis der Sicherstellung gezahlter Beträge und der Kosten für die Rückreise auf. Die Aufgabe der Mitgliedstaaten kann es deshalb lediglich gewesen sein, die Vertragsverhältnisse zwischen dem Veranstalter und dem Reisenden gesetzgeberisch (oder auf andere Weise) so zu gestalten, daß der Veranstalter zum Nachweis der Sicherstellung auch tatsächlich gezwungen werden kann. Dem Mitgliedstaat mag es zwar unbenommen gewesen sein, eine staatliche Garantieerklärung für Insolvenzfälle abzugeben. Ob eine solche staatliche Garantie einzelner Mitgliedstaaten wettbewerbsrechtlich wiederum bedenklich gewesen wäre, kann offenbleiben; die Mitgliedstaaten - und damit die Beklagte - waren hierzu jedenfalls nicht verpflichtet. Die Reiserichtlinie wollte das Sicherungsmittel vielmehr in das Vertragsverhältnis der Reisevertragsparteien eingebettet wissen. Ebenso wie die Haftung der Veranstalter außerhalb der Insolvenzfälle (Art. 5 der Richtlinie) sollte die Insolvenzsicherung schuldrechtlich zwischen den Vertragsparteien geregelt werden, wobei die Sicherheit für den Insolvenzfall naturgemäß nur durch unmittelbare Sicherheitsleistung des Veranstalters oder durch die Möglichkeit des direkten Zugriffs auf Dritte erzielt werden konnte. Der 'Nachweis' der Sicherstellung sollte nach der Richtlinie in Erfüllung einer schuldrechtlichen Pflicht des Veranstalters erfolgen; er sollte also Vertragspflicht des Reiseveranstalters werden.Die Begründung neuer Vertragspflichten muß - wie jedes Inkrafttreten eines neuen Gesetzes - einen bestimmten Wirksamkeitszeitpunkt, einen 'zeitlichen Schnitt', haben. Der Richtliniengeber hat sich - was die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zu unterstützenden Maßnahmen betrifft - für den 31. 12. 1992 entschieden. Es gibt aber keinen Anhaltspunkt dafür, daß er damit in die bereits zu diesem Zeitpunkt bestehenden Vertragsverhältnisse eingreifen und den Veranstaltern auch nachträglich die zusätzliche Nachweispflicht auferlegen wollte. Dementsprechend kann auch der nationale Gesetzgeber auf Grund der Richtlinien nicht verpflichtet gewesen sein, per 31. 12. 1992 Gesetzesbestimmungen in Kraft zu setzen, die rückwirkend in bestehende Schuldverhältnisse eingreifen.Die Kammer meint, daß es an dieser Rechtsauffassung keine vernünftigen Zweifel geben kann und sieht deshalb auch keinen Anlaß, diese Frage gemäß Art. 177 EG-Vertrag dem EuGH vorzulegen (vgl. BVerfG NJW 88, 1456).«

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