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EWS 1993, 373
 
VG Stade
Verfahrensunabhängiges Akteneinsichtsrecht nach der EG-Umweltinformationsrichtlinie?

VG Stade, Entscheidung vom 21. April 1993 - 7 A 79/92;

VG Stade vom 21.04.1993 - 7 A 79/92
EWS 1993, 373 (Heft 11)
SachverhaltDie Klägerin begehrt verfahrensunabhängig die Einsicht in Verwaltungsakten über Vorgänge nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz. Die Klage wurde abgewiesen. Die Klägerin habe zwar einen Anspruch auf Akteneinsicht, einer gesonderten Klage bedürfe es jedoch nicht. Sie sei ihr im Rahmen des angestrengten Verwaltungsverfahrens zu gewähren. Die Folgen aus rechtswidriger Verweigerung einer Akteneinsicht im laufenden Verwaltungsverfahren würden prozeßrechtlich gelöst.Aus den Gründen»Daß diese Lösung im Bereich des Umweltinformationsrechts mit höherrangigem EG-Recht unvereinbar sei (so Winter, DVBl. 1991, 657, 662; ähnlich, aber vorsichtiger: v. Schwanenflügel, DVBl. 1991, 93, 101), vermag die Kammer nicht zu sehen. Zum einen fehlt dem einschlägigen EG-Recht in der Bundesrepublik (noch), wie unten noch ausgeführt wird, die unmittelbare Wirkung. Zum anderen ist nicht ersichtlich, daß die dem nationalen Gesetzgeber obliegende Umsetzung der Richtlinie 90/313/EWG (ABlEG Nr. L 158 v. 23. 6. 1990, abgedruckt auch in NVwZ 1990, 844) 'über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt' - Umwelt-Informationsrichtlinie - im Rahmen der zu treffenden Vorkehrungen gegen den Mißbrauch (Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie), wozu auch unnötige Anrufung von Gerichten zählt, nicht auch die - modifizierte - Anwendbarkeit des § 44 a VwGO bestätigen wird. ...Ein subjektives, durch isolierte Klage durchsetzbares - verfahrensunabhängiges - Akteneinsichtsrecht eröffnet auch nicht die o. gen. Umwelt-Informationsrichtlinie der EG. Zur Erreichung des in Art. 1 der Richtlinie beschriebenen Ziels - den freien Zugang zu den bei den Behörden vorhandenen Informationen über die Umwelt sowie die Verbreitung dieser Informationen zu gewährleisten - sollen die Behörden der Mitgliedsstaaten verpflichtet werden, allen natürlichen ... Personen auf Antrag ohne Nachweis eines Interesses Informationen über die Umwelt zur Verfügung zu stellen (Art. 3 Abs. 1). Was im Sinne der Richtlinie zu den »Informationen über die Umwelt« zählt, ist in Art. 2 lit. a) definiert.Diese Richtlinie ist in der Bundesrepublik noch nicht in nationales Recht umgesetzt worden und entfaltet deshalb - noch - keine unmittelbare Wirkung zugunsten des einzelnen Gemeinschaftsbürgers, sondern allenfalls mittelbare Wirkung insoweit, als nationales Recht von den nationalen Behörden und Gerichten 'im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie', soweit dies möglich ist, auszulegen und anzuwenden ist (vgl. EuGH, Urte. v. 10. 4. 1984, Slg. 1984, 1891, 1908, und v. 8. 10. 1987, Slg. 1987, 3969, 3986; BVerfG, Beschl. v. 16. 6. 1987, NJW 1988, 1459, 1460; Erbguth/Schink, UVPG 1992, Einl. RdNr. 44 m. w. N.; Haneklaus, DBVl. 1993, 129, 130; Everling, NVwZ 1993, 209, 212). Grundsätzlich ist zwar EG-Recht vorrangig vor nationalem Recht (EuGH, Urt. v. 22. 6. 1989, DVBl. 1990, 689; BVerfG, Beschl. v. 22. 10. 1986, NJW 1987, 577; wohl auch BVerwG, Urt. v. 7. 5. 1987, BVerwGE 77, 214, 218; Jarass, NJW 1990, 2420, 2421; v. Schwanenflügel, a. a. O., S. 101; a. A.: Erbguth/Schink, a. a. O., Einl. RdNr. 43 (nur verfahrensrechtliche Einrede) und Haneklaus, a. a. O., S. 131). Dies gilt sowohl für das primäre (EG Vertrag, EG-Verordnungen) als auch für das sekundäre (z. B. Richtlinien) EG-Recht. Während etwa EG-Verordnungen unmittelbare, eines nationalen Umsetzungsaktes nicht bedürfende Wirkung in den Mitgliedsstaaten entfalten, gilt dies bei Richtlinien nur für die Zielsetzung. Die Wahl der Form und der Mittel bleibt den Mitgliedsstaaten überlassen, die allerdings zur Umsetzung verpflichtet sind (Art. 189 Abs. 3 EG-Vertrag; EuGH, Urt. v. 19. 1. 1982, NJW 1982, 499, 500; BVerwG, Urt. v. 7. 5. 1987 a. a. O.; Oppermann, Europarecht, 1992, S. 176 RdNr. 455). Die Umwelt-Informationsrichtlinie ist in der Bundesrepublik bisher, entgegen der in Art. 9 der Richtlinie festgesetzten, am 31. 12. 1992 abgelaufenen Frist, noch nicht in nationales Recht umgesetzt worden.Allerdings ist heute, der ständigen Rechtsprechung des EuGH folgend, weitgehend anerkannt, daß Richtlinien dann, wenn der Mitgliedsstaat sie nicht ordnungsgemäß, insbes. nicht innerhalb der zur Durchführung gesetzten Frist, umgesetzt hat, im ganzen oder in einzelnen Bestimmungen unmittelbare Wirkung zugunsten des einzelnen Bürgers entfalten können, sofern sie inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt sind (vgl. etwa EuGH, Urte. v. 19. 1. 1982, a. a. O., S. 500, und 19. 11. 1991, EuZW 1991, 758; Erbguth/Schink, a. a. O., Einl. RdNr. 41; Bleckmann, Europarecht, 4. Aufl. S. 255 ff.; Bach, JZ 1990, 1108, 1111; Jarass, a. a. O., S. 2420, ders. NJW 1991, 2665, 2667). Dabei bleibt diese unmittelbare Wirkung nicht auf eine verfassungsrechtliche Einrede gegen die Anwendung entgegenstehenden nationalen Rechts beschränkt (so aber wohl BVerwG, Urt. v. 5. 6. 1986, DVBl. 1987, 94; Erbguth/Schink, a. a. O., Einl. RdNr. 43), sondern dem einzelnen kann daraus auch ein unmittelbarer Leistungsanspruch gegen den Mitgliedsstaat erwachsen (EuGH, Urte. v. 18. 1. 1982 und 19. 1. 1991, jew. a. a. O.; Haneklaus, a. a. O., S. 132 ff.; Jarass, NJW 1991, a. a. O., S. 2668; Oppermann, a. a. O., S. 179 RdNr. 466 m. w. N.; Winter, DVBl. 1991, 657, 659 ff.).Die Umwelt-Informationsrichtlinie ist, jedenfalls hinsichtlich ihres Kerns, des Zugangsrechts zu Umweltinformationen, nicht im Sinne der Rechtsprechung des EuGH 'inhaltlich unbedingt'. Denn an der Unbedingtheit fehlt es, wenn die in einer Richtlinie geregelte Rechtsfolge von Entscheidungen des Mitgliedsstaates abhängt oder den Mitgliedsstaaten ein Ermessens-, Beurteilungs- oder Gestaltungsspielraum eingeräumt wird, etwa in der Zulassung von Ausnahmeregelungen (EuGH, Urt. v. 4. 12. 1974, Slg. 1974, 1337, 1349; Bach, a. a. O., S. 1116; Bleckmann, a. a. O., S. 259; Haneklaus, a. a. O., S. 132; Jarass, NJW 1990, a. a. O., S. 2423; v. Schwanenflügel, a. a. O. S. 99). Das ist bei der Umwelt-Informationsrichtlinie der Fall. Die den Kern der Regelung bildende Bestimmung des Art. 3 Satz 1 steht unter dem ausdrücklichen allgemeinen Regelungsvorbehalt der Mitgliedsstaaten, indem bestimmt ist, daß 'die Mitgliedsstaaten die praktischen Regeln festlegen, nach denen derartige Informationen tatsächlich zugänglich gemacht werden'. Art. 3 Abs. 2 ermächtigt zu umfangreichen, das Informationsrecht wesentlich modifizierenden und möglicherweise stark einschränkenden (Kremer, NVwZ 1990, 843, 844) Ausnahmeregelungen. Im Hinblick auf möglicherweise betroffene Dritte - vorliegend die Beigeladene - ist ferner eine gesetzlich geregelte Balance der gegebenenfalls widerstreitenden Interessen nötig. Denn grundsätzlich können Richtlinien keine unmittelbaren Wirkungen zu Lasten Dritter entfalten (EuGH, Urt. v. 26. 2. 1986, NJW 1986, 2178; Bach a. a. O., S. 1115; Erbguth/Schink, a. a. O., Einl. RdNrn. 41, 43; Haneklaus, a. a. O., S. 133; Winter, a. a. O., S. 659; a. A. Bleckmann, a. a. O. S. 262 f., und wohl auch Jarass, NJW 1991 a. a. O., S. 2667). Es läßt sich auch kein unbedingt wirksamer Kern des Zugangsrechts zu Informationen herausschälen. Die in der Richtlinie insoweit gebrauchten Vokabeln 'Zugang', 'zugänglich machen', 'zur Verfügung stellen' geben keinen hinreichend sicheren Anhalt, ob der Verpflichtung durch Auskunftserteilung genügt werden soll oder durch Akteneinsicht oder durch eine Mischung aus beidem (vgl. dazu Blumenberg, NuR 1992, 8, 12 f.). Sofern nationale Bestimmungen für betroffene Teilgebiete bereits bestehen, bedarf er der klarstellenden Regelung des Verhältnisses der Regelungen zueinander.Es fehlt auch an der gebotenen Bestimmtheit und Klarheit. Um unmittelbar gelten zu können, muß eine Richtlinienregelung aus sich heraus unzweideutig, vorbehaltslos und vollständig sein (EuGH, Urt. v. 28. 2. 1991, NVwZ 1991, 973; Bach, a. a. O. S. 1116; Haneklaus, a. a. O. S. 132; Jarass, NJW 1990, a. a. O. S. 2424 m. w. N.). Die für das Begehren der Klägerin allein in Betracht kommende Regelung des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie ist in diesem Sinne nicht bestimmt. Was unter 'zur Verfügung ... stellen' zu verstehen ist, bedarf der konkretisierenden Bestimmung, wie oben bereits dargelegt, denn denkbar ist sowohl ein Auskunftsanspruch als auch ein Akteneinsichtsrecht (vgl. dazu Blumenberg. a. a. O. S. 13, 14). Für ein Auskunftsrecht könnte die Regelung in Art. 3 Abs. 2 letzter Satz sprechen, wonach Informationen '... übermittelt ...' werden. Nicht hinreichend bestimmt ist auch, was unter 'Informationen' i. S. Art. 2 lit. a) genau zu verstehen ist, ob dazu nur Daten über Tätigkeiten zählen oder auch Zustandsdaten und Daten über Auswirkungen von Maßnahmen und/oder Tätigkeiten (vgl. dazu Blumenberg, a. a. O., S. 14 m. w. N.).Die Kammer kann die Nichtanwendbarkeit der Umwelt-Informationsrichtlinie selbst feststellen, einer Vorlage an den EuGH bedarf es nicht (vgl. Art. 177 Abs. 3 EG Vertrag), da die fehlende Unbedingtheit und Bestimmtheit offenkundig sind (vgl. Bach, a. a. O. S. 1112).Daß die Umwelt-Informationsrichtlinie insoweit mittelbare Wirkung entfaltet, als sie bei der Auslegung des nationalen Rechts zu beachten ist, vermag schließlich ein Rechtsschutzinteresse der Klägerin ebenfalls nicht zu begründen. Denn ob das ihr im Rahmen des angestrengten Stillegungsverfahrens nach § 29 VwVfG zustehende Akteneinsichtsrecht nicht in dem Umfang gewährt wird, wie es bei richtlinienkonformer Auslegung (= weiter Umfang des Einsichtsrechts, vgl. v. Schwanenflügel, a. a. O. S. 101) geboten wäre, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens und kann es im Hinblick auf § 44 a VwGO, gegen dessen Wirksamkeit die Kammer beim gegenwärtigen Stand der Nichtumsetzung der Umwelt-Informationsrichtlinie keine Bedenken hat, auch nicht sein.«

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