Industrie 4.0 und die Erzeugung von hochflexiblen Kooperationsbeziehungen zwischen Unternehmen
1. Die Begründung vertraglicher Beziehungen durch miteinander korrespondierende Algorithmen/Programme ist eine Komponente von Industrie 4.0.
Die 4.0 Komponenten sollen dabei die Rolle des Auftraggebers und des Auftragnehmers annehmen. Eine Maschine kann sicher keine Willenserklärung abgeben. Eine Maschine kann aber eine vom Menschen gewollte Erklärung übermitteln. Eine Maschine kann dabei wie ein menschlicher Bote verstanden werden. Auch der (im Gesetz benannte Bote) gibt keine eigene WE ab, sondern übermittelt nur einen fremden Willen. Wobei die Erklärung dann auch gegenüber dem Menschen wirkt, von dem sie ausgegangen ist.
Die Besonderheit des automatisierten Systems soll darin liegen, dass es sich von den starren hierarchischen Strukturen abgrenzt, dass keine zentrale Kontrolle über die Aufgabenausführung existiert und die Verbindungen zwischen den 4.0 Komponenten nicht vom zentralen Element des Systems vorgegeben sind. Die Komponenten können je nach Aufgabe selbstständig in Verbindung mit anderen 4.0 Komponenten treten.
Aus juristischer Sicht ist damit gemeint, dass Programme (Algorithmen) Anweisungen enthalten, die die Situation eines ausschreibenden Unternehmens, eines Anbieters und eines Annehmers (des Angebots) ausfüllen können.
Die gerade oben genannten positiven Besonderheiten wären dann aus juristischer Sicht:
a) Das System ist nicht an hierarchischen Strukturen orientiert, sondern an vorgegebener Sachautorität – das ist rechtlich positiv;
b) Die Verbindungen der Systeme werden nicht von einem zentralen Element vorgegeben – je nach Aufgabe verbinden sich die Komponenten selbstständig; dies bedeutet aus juristischer Sicht, dass allein vorgegebene Sachkriterien für die Verbindung taugen; auch dies ist rechtlich als positiv zu bewerten.
2. Die beschriebenen Aufgaben und deren positive Wirkung sind sicher technisch machbar. Es ist nur darauf zu achten, dass das Verfahren nicht darunter leidet, dass wesentliche rechtliche Anforderungen unberücksichtigt bleiben. Darin liegt wohl gegenwärtig das mit digital erfolgten Vertragsabschlüssen zusammenhängende Problem
a) Zuvörderst ist darauf hinzuweisen, dass im gewerblichen Bereich – gerade im industriellen Bereich – abgeschlossene Verträge mit einer sehr großen Anzahl von sog. Allgemeinen Geschäftsbedingungen versehen sind.
b) In diesen Verträgen werden keinesfalls nur die Hauptmerkmale des Leistungsaustausches (Spezifikation der Ware, Bestimmung des Kaufpreises) geregelt, sondern zahlreiche für die Leistungsabwicklung bedeutsame Vereinbarungen getroffen. Z. B. Verzugsregelungen, Vereinbarungen für den Fall von Leistungshindernissen, Ausgestaltung der Gewährsleistung, Rügeobliegenheiten etc.); dabei verhält es sich nahezu immer so, dass jedes Unternehmen, also Anbieter und Annehmer über eigene AGB verfügen, die in vielen Bereichen mit denen des potentiellen Vertragspartners nicht kongruent sind.
In vielen Fällen taucht das Problem nicht auf. Z. B. wenn zwischen den Vertragspartnern sog. Rahmenverträge geschlossen wurden; der wohl bekannteste Vertragstyp dieser Art ist der Qualitätssicherungsvertrag (vormals just in time-Vertrag). Dieser Vertrag enthält in jedem Fall Rahmenbedingungen wie sie oben genannt wurden.
Soweit berücksichtigt wird, dass es zwischen Anbieter und Annehmer, also zwischen den sich austauschenden 4.0 Komponenten, unterschiedliche Allgemeine Geschäftsbedingungen gibt, ist ein Konflikt zu lösen, nämlich, dass trotz Übereinstimmung bei den Hauptleistungen (Ware ge¬
3. a) Für Ausschreibungsverfahren, die auch Anbieter einbeziehen wollen, deren AGB konträr zu den eigenen sind, kommt nur ein interaktives Verfahren in Betracht.
Dieses Verfahren entspricht den realen (traditionell so geführten) Vertragsverhandlungen und kann verhindern, dass wegen nur geringer Divergenzen bei den Nebenbestimmungen und trotz voller Übereinstimmung bei den Hauptpflichten der Vertragsschluss scheitert.
b) Danach können eingehende Angebote auf der Grundlage bestimmter Abgleiche zwischen eigenen und fremden Nebenbestimmungen eingeordnet werden. Soweit der akzeptierte Teil von Bedeutung (Indiz für eine vollständige Einigung ist) ist, kann unter Erklärung dieser Tatsache all das benannt werden, was noch für einen Vertragsschluss erforderlich ist, also welche AGB (Nebenbestimmungen) nicht akzeptiert werden und die gewollten AGB werden benannt.
c) Dieser Interaktionsprozess kann beliebig verlängert werden. Es wird z. B. vom zuerst Anbietenden nur ein Teil der vom ursprünglich Auffordernden genannten AGB anerkannt und er verlangt seinerseits Anerkennung der übrigen von ihm gewollten AGB; dann liegt wieder ein neues Angebot vor, auf das der zuerst Auffordernde die Annahme erklären oder aber nun endgültig ablehnen oder wiederum ein neues Angebot abgeben kann usw.
d) Geklärt ist bei diesen interaktiven Ausschreibungsverhandlungen allerdings nicht, zu welchen Reaktionen die Algorithmen in der Lage sind bzw., sein sollen: Was können diese verstehen und wie können sie reagieren?
Denkbar wäre, dass die ausschreibende, Angebote einholende Stelle ein Raster der Aufgabenbeschreibung beifügt, in dem die zahlreichen Nebenbestimmungen (Verzug, Unmöglichkeit, Lieferkosten, Regress usw.) vorgedacht und benannt werden und zwar mit denkbaren, in der Branche üblichen Modifikationen und der Adressat der Aufforderung angewiesen wird, die zuvörderst benannten AGB zu akzeptieren oder eine der Modifikationen zu wählen. Auf dieser Grundlage kann das Programm des Ausschreibenden die Modifikationen lesen und bei entsprechender Programmierung reagieren, durch Ablehnung oder ein neues Angebot oder auch Zustimmung.
Univ.-Prof. Dr. jur. Dr. Jürgen Ensthaler*
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