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INTER 2022, 49
Ensthaler 

Mehr Rechtssicherheit in internationalen Lieferketten – Haftung für Prüfunternehmen erweitern?

Abbildung 1

In politischen Kreisen, namentlich bei der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wurde im Zusammenhang mit dem Lieferkettengesetz eine transparentere Haftungsregelung für die Zertifizierer verlangt, die auch den Anforderungen an eine Gefährdungshaftung entsprechen sollte. Diskutiert wurde auch die Erweiterung der Verantwortungsbereiche der Zertifizierer auf alle rechtlichen Anforderungen und zwar unabhängig des Prüfauftrages. In die Anforderungen sollen nicht nur Beschaffenheitsmerkmale der Produkte einbezogen werden, sondern auch die Einhaltung von menschenwürdigen Arbeitsbedingungen und die Vermeidung von Umweltbeeinträchtigungen.

a) Unzutreffend ist, dass das Rechtssystem von Deutschland aber auch das der meisten Mitgliedstaaten der EU keine Haftungssysteme hat, die Fehler im Zusammenhang mit der Zertifizierung wirksam sanktionieren.

In den Ländern der Union gibt es zwei hier einschlägige Haftungstatbestände, § 823 Il BGB und das von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.

Die deliktsrechtliche Haftung (aus § 823 II BGB) wurde durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – unter ausdrücklicher Anerkennung dieser Rechtsprechung durch den Europäischen Gerichtshof – zu Haftungstatbeständen entwickelt, die eine Haftung für schuldhaft fehlerhafte Zertifizierung ermöglichen und von der Rechtsprechung auch so angewandt werden.

b) Zur Erklärung der Haftungstatbestände:

§ 823 Il BGB verlangt die Verletzung eines Schutzgesetzes zugunsten eines Dritten.

Der Europäische Gerichtshof hat in mittlerweile zwei Entscheidungen dahin geurteilt, dass europäische Richtlinien (die mittlerweile in deutsche Verordnungen umgesetzt wurden), Schutzgesetze im Sinne der die Produkte benutzenden Dritten sind.

Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass jede Rechtsnorm, die Sicherheitsanforderungen an Produkte stellt, Schutzgesetz im Sinne von § 823 Il BGB sein kann.

c) Der europäische Gerichtshof hat auch dahin entschieden, dass die Anwendung der Norm des § 823 II BGB nicht mit europäischem Recht kollidiert. Das Gericht hat aber auch die Grenzen der Rechtsetzung durch die Mitgliedstaaten beschrieben.

Die Gefährdungshaftung kann nicht (mehr) durch den Gesetzgeber eines Mitgliedsstaates geregelt werden. Durch den Ministerrat der europäischen Union wurde die Produkthaftungsrichtlinie (umgesetzt für Deutschland durch das Produkthaftungsgesetz) geschaffen. Für den Anwendungsbereich dieser Richtlinie gilt die sog. Vollharmonisierung. Damit ist gemeint, dass die ausschließliche Regelungskompetenz bei der Union liegt.

Weiterhin hat der EuGH in mehreren Entscheidungen (auch auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs (BGH, GRUR Int. 2015, 1051)) dahingehend geurteilt, dass die Haftung im Zusammenhang mit der Verletzung von Schutzgesetzen nur dann gegeben sein kann, wenn sie äquivalent ist.

Um diese Anforderung anhand einer jüngeren Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu verdeutlichen:

In der Entscheidung Yonemoto (vom 8.09.2005; C-40/04, EU: C: 2005/519) hat der Gerichtshof festgestellt, dass nationale Rechtsvorschriften, die der Zertifizierungsstelle eine Art von pauschaler Haftung auferlegen, nicht akzeptabel sind, dass solche Rechtsvorschriften dagegen aber eine Haf¬InTeR 2022 S. 49 (50)tung auferlegen können, de sich auf die in den Rechtsvorschriften präzise geregelte Verpflichtungen der Stelle beschränkt.

Nach den Entscheidungen ist verlangt, dass die Haftung im Zusammenhang mit einer Pflichtverletzung aus dem Prüfungsauftrag stehen muss. Der Zertifizierer ist danach nicht für umfassend sichere Produkte bzw. regelkonforme Produktionsprozesse verantwortlich, sondern seine Verantwortung muss im Zusammenhang mit dem ihm gesetzlich oder vertraglich abverlangten Prüfpflichten stehen.

Diese Forderung ist nur eine Bestätigung dafür, dass Haftung eine Pflichtverletzung zur Voraussetzung hat. Der europäische Gerichtshof und dies bestätigend der deutsche Bundesgerichtshof begründen eine Haftung der Zertifizierungsstelle deshalb ausdrücklich nur im Rahmen („vorbehaltlich“; siehe EuGH Rechtssache C-219/15 vom 16.02.2017, Elisabeth Schmitt./.TÜV Rheinland LGA Products GmbH, Rdnr. 59) einer „quivalenten“ Inanspruchnahme; die Zertifizierungsstelle trägt Verantwortung im Rahmen ihres Prüfauftrages; die Stelle ist nicht generell für fehlerhafte Produkte bzw. Produktionsprozesse verantwortlich.

Der Pflichtenbereich, also der Verantwortungsbereich, kann sich dabei aus dem mit dem Hersteller geschlossenen Vertrag oder aus Rechtsvorschriften ergeben.

d) Der weitere Haftungstatbestand, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, hat ähnliche Voraussetzungen. Soweit die Vertragsauslegung ergibt, dass die Überprüfung auch im Interesse Dritter geschieht, so führt die Verletzung auch zur Haftung gegenüber dem verletzten Dritten.

Gehaftet wird nach der Rechtsprechung auch hier nur bei Verletzung des konkreten Prüfauftrags; wobei eine weitere Voraussetzung hinzu kommt. Die Prüfung nach der jeweils einschlägigen Sicherheitsnorm muss auch im Interesse des später geschädigten Konsumenten durchgeführt worden sein. Dies hat der BGH z. B. im Fall der fehlerhaften Brustimplantate abgelehnt. Dem Unternehmen sei es darum gegangen, mit dem Produkt durch ein positives Prüfergebnis auf den Markt zu gelangen. Darüber ließe sich streiten, aber der BGH hat auf die Anwendung des § 823 II BGB hingewiesen, der für den Schadensausgleich anwendbar ist. Dabei wurde wieder darauf hingewiesen, dass eine Haftung nur für den Fall der Verletzung der Prüfpflicht in Betracht kommt. Eine pauschale Haftung der Zertifizierer für fehlerhafte Produkte ist demnach durch die Rechtsprechung von BGH und EuGH ausgeschlossen.

Prof. Dr. Dr. Jürgen Ensthaler*

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Mehr über den Verfasser erfahren Sie auf Seite III.

 
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