Alm-Öhi im Funkloch oder: das Erlebnis der Illegalität
Zur Neuregelung der Rundfunkgebühr
"Alle zahlen für alles" - so charakterisiert eine große deutsche Tageszeitung die für 2013 vorgesehene Umstellung der Rundfunkgebühr auf eine Wohnungs- und Betriebsstättenabgabe. Ein für jede Wohnung zu leistender Rundfunkbeitrag soll eine lückenlose Einbeziehung aller in die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gewährleisten. Der Staatsvertrag beruht, gestützt auf das von den Anstalten in Auftrag gegebene Gutachten des ehemaligen Verfassungsrichters Paul Kirchhof, auf der Annahme, dass in jedem Haushalt Radio gehört oder ferngesehen wird, oder aber zumindest im Internet gesurft. Auch Letzteres bedeutet ja Teilnahme am Rundfunk, unabhängig davon, ob auf das Angebot eines öffentlich-rechtlichen oder privaten Rundfunkveranstalters zurückgegriffen wird, folgt man dem offenbar im Rahmen einer konzertierten Aktion von den Anstalten beim ehemaligen Präsidenten des BVerfG, Hans-Jürgen Papier, in Auftrag gegebenen Gutachten. Auch bei den Online-Angeboten der Presse soll es sich hiernach um Rundfunk handeln. Das BVerwG schließlich hat uns soeben belehrt, dass auch der Anwalt, der seinen PC zur iuris-Recherche nutzt, Rundfunkteilnehmer ist.
In all diesen Fällen muss künftig gezahlt werden - von der offenbar vernachlässigungswerten Minderheit der Off-Liner wie auch von dem, der bewusst auf Fernsehen verzichtet. Auch er wird künftig mit dem vollen Beitrag belastet. Denn er hat, so der Tenor des Kirchhof-Gutachtens, doch die Möglichkeit, das Rundfunkangebot zu nutzen, und schon hieraus rechtfertigt sich die Beitragspflicht als Vorzugslast. Worin allerdings der individuelle Vorteil liegen soll, wenn ausnahmslos jeder belastet wird, hierauf bleiben Gutachten und Gesetzgeber die Antwort schuldig. Ein medialer Anschluss- und Benutzungszwang, wie er für beitragspflichtige Leistungsangebote kennzeichnend ist, ist einer freiheitlichen Kommunikationsverfassung inadäquat. Die Grenzen zulässiger Typisierung werden hier überschritten. Immerhin verschließt sich Kirchhof der Problematik nicht vollständig, wenn er zumindest für den in einem Funkloch lebenden Almbewohner eine Ausnahme erwägen will. Sie findet sich im vorliegenden Vertragstext allerdings nicht. So plausibel das Modell des Haushaltsbeitrags an sich ist, der Einwand, am Rundfunk nicht teilnehmen zu wollen, sollte dem Rezipienten nicht abgeschnitten werden.
Nicht unbedingt konsequent ist die Begründung für den Betriebsstättenbeitrag. Die Annahme einer zum gemeinsamen Rundfunkempfang versammelten betrieblichen Erwerbsgemeinschaft, die so zur Empfangsgemeinschaft wird, geht an den Realitäten des Erwerbslebens vorbei. Und wenn der Rundfunkbeitrag als Sonderlast aus dem individuellen Vorteil des Rundfunkangebots gerechtfertigt wird, so kann dieser Vorteil doch wohl nur einmal beitragsmäßig abgegolten werden. Wer im Betrieb Radio hört, tut dies nicht gleichzeitig zuhause. Deshalb fehlt auch die Rechtfertigung für die volle Gebührenbelastung von Zweitwohnungen. Vollends unglaubwürdig wird dann die Begründung für eine zusätzliche Beitragspflicht betrieblich genutzter Kraftfahrzeuge. Sie ist nichts anderes als die alte Gerätegebühr, im Rahmen des vorgesehenen Modells systemwidrig und verfassungswidrig.
Wenig plausibel ist die Versicherung der Aufkommensneutralität. Die Höhe des Beitrags mag der der bisherigen Fernsehgebühr von EUR 17,98 entsprechen, doch ist eine deutliche Verbreitung der Beitragsbasis zu erwarten. Wenn nach dem KEF-Bericht 2009 die Teilnehmerdichte in Großstädten bei unter 80 % liegen soll, wird es künftig deutlich mehr Beitragsschuldner geben, als es bisher Gebührenzahler gibt. Zudem wird ein erhöhter Beitrag der Wirtschaft erwartet. Belastbare Berechnungen fehlen - ein verfassungsrechtliches Defizit, ohne dessen Behebung die Landtage dem Vertrag nicht zustimmen sollten. Wenig realistisch ist auch die Versicherung künftiger Entbehrlichkeit der GEZ - immerhin gilt es konstant die Zahl der Wohnungen, der Betriebsstätten, ihrer Beschäftigten und ihrer Fahrzeuge zu ermitteln. Datenschutzrechtliche Bedenken verneint jedoch ein von den Anstalten bei dem ehemaligen Datenschutzbeauftragten Hans-Peter Bull in Auftrag gegebenes Gutachten.
Fazit: Alle werden künftig für alles bezahlen, auch jene Bevölkerungsgruppe, der die besondere Sorge Kirchhofs gilt: jene große Anzahl junger Menschen, die ihr "erstes Dauerabgabenrechtsverhältnis mit dem Erlebnis der Illegalität" beginnen - vielleicht, weil sie nicht auch noch Opas Fernsehen bezahlen wollen, wenn sie schon seine Rente erwirtschaften müssen?