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K&R 2011, 1
Becker, Ulrich 

Das Ende des Onlinehandels?

Ein großer Aufschrei geht derzeit durch die einschlägigen Internetforen, und es wird vom Aus für (kleine) Online-Händler und vom Ende der Privatautonomie im E-Commerce gesprochen. Was die europäischen Händler so in Aufruhr versetzt hat, waren unter anderem Artikel in der Tages- und Wirtschaftspresse. Dort wurde über ein Vorhaben des europäischen Gesetzgebers berichtet. Es sei geplant, Online-Händler zu zwingen, ihre Waren auch gegen ihren Willen in allen 27 EU-Staaten anzubieten. Doch ist die Sorge der Händler berechtigt? Bleibt es bei dem derzeitigen Vorschlag zur Ergänzung der Verbraucherrechte-Richtlinie, muss die Antwort lauten: Wohl ja!

Art. 22 a des Richtlinienentwurfs sieht vor, dass Kunden bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz vom Händler verlangen können, die Waren auch in einen anderen Mitgliedsstaat zu liefern oder eine Dienstleistung dort zu erbringen. Der Händler muss diesem Verlangen entsprechen, wenn es für ihn technisch durchführbar ist (technically feasible) und der Kunde zustimmt, sämtliche damit verbundenen Kosten zu tragen. Diese Kosten hat der Händler im Vorfeld mitzuteilen. Wie der Vorschlag dogmatisch einzuordnen ist, bleibt unklar. Er bedeutet jedenfalls, dass ein deutscher Online-Händler die Anfrage eines Kunden z. B. aus Portugal oder Bulgarien nicht mehr mit der Begründung ablehnen kann, dass er ins Ausland nicht liefere. Wann einem Händler eine Lieferung "technisch nicht durchführbar" ist, sagt der Entwurf nicht und in Zeiten globalisierter Transportmöglichkeiten innerhalb der EU erscheint dieser Einwand (zumindest für Warenlieferungen) auch mehr als theoretisch. Der Entwurf legt nahe, dass der Händler grundsätzlich verpflichtet sein soll, seine Produkte quer durch Europa zu liefern. Was der Gesetzgeber damit beabsichtigt, lässt sich nur mutmaßen, denn eine Begründung ist - soweit ersichtlich - nicht verfügbar. Aus Verbrauchersicht mag die Verpflichtung der Händler wegen der vermeintlichen Vielfalt von Anbietern verführerisch klingen. Für den Händler bedeutet eine entsprechende Verpflichtung allerdings (neben dem sprachlichen und logistischen Aufwand) erhebliche zusätzliche rechtliche Risiken, die er bislang mit einer Begrenzung seines Liefergebietes weitgehend vermeiden konnte.

Muss der Händler seine Waren künftig in alle EU-Staaten liefern, hat er möglicherweise auch die rechtlichen Anforderungen für jeden einzelnen Mitgliedsstaat zu erfüllen, und es besteht ein erhebliches Risiko, dass er bei entsprechenden Versäumnissen auch mit Abmahnungen aus dem Ausland rechnen muss. Was in Deutschland erlaubt oder wettbewerbsrechtlich zulässig ist, kann in Belgien verboten oder unlauter sein. Nicht nur, dass der Händler gegebenenfalls die (formalen) Anforderungen an die Möglichkeit eines Widerrufs für jedes Land anpassen müsste (z. B. Widerrufsfristen, Kostentragungsregeln etc.). Er hätte auch sicherzustellen, dass die Angebote dem jeweiligen lokalen und nicht harmonisierten Recht entsprechen (z. B. Vertrags- und Gewährleistungsrecht, Wettbewerbsrecht, Kennzeichnungsrecht, Preisangaben, Datenschutz usw.) Schließlich kann es passieren, dass diese rechtlichen Probleme wegen Art. 16 Abs. 1 EuGVVO im Verbraucherland geklärt werden, in einer (Prozess)Rechtsordnung, die dem Händler unbekannt ist und auf die er sich eigentlich auch nicht einlassen wollte. Mängel eines in Deutschland verkauften Produktes könnten schnell Gegenstand eines Rechtsstreits z. B. in Lettland oder Finnland werden. Was das im Hinblick auf Kosten und Aufwand bedeutet, dürfte offenkundig sein. Unabhängig von diesen noch ungeklärten Rechtsfragen bliebe ein Risiko in jedem Fall: Bei einer Bestellung eines Produktes mit einem Wert von mehr als 40 Euro (§ 357 Abs. 2 S. 3 BGB) bliebe der Händler aufgrund der jüngsten Rechtsprechung des EuGH und BGH zu Versandkosten beim Onlinehandel (EuGH, 15. 4. 2010 - C-511/08, K&R 2010, 394 ff.; BGH, 7. 7. 2010 - VIII ZR 268/07, K&R 2010, 577 ff.) auf den (im Einzelfall beträchtlichen) Kosten für Hin- und Rücksendung einer Bestellung sitzen (vom zu tragenden Risiko eines Verlustes ganz abgesehen).

Es steht zu befürchten, dass eine Verpflichtung der Online-Händler, Waren europaweit zu liefern, und die damit einhergehenden rechtlichen Unsicherheiten zu einer massiven Veränderung des europäischen Binnenmarktes im Online-Handel führen werden. Kleine und mittlere Händler werden es sich nicht leisten können, für die rechtliche Anpassung ihrer Onlineshops an die Anforderungen in 27 EU-Staaten hohe Beratungskosten zu tragen oder die finanziellen Zusatzkosten einer transeuropäischen Lieferung (Versicherung, Versandkosten beim Widerruf etc.) zu übernehmen. Ihnen bleibt dann nur, ihre Onlineshops sicherheitshalber (vorübergehend bis zur Klärung der zuvor genannten Risiken) einzustellen oder - unter Eingehung eines Risikos - beschränkt auf nationale Absatzmärkte weiter zu betreiben. Im Ergebnis würden sich wohl lediglich große Versandhäuser die entsprechende rechtlich einwandfreie Gestaltung ihrer Onlineshops leisten können. Das Risiko, dass dies der Pluralität des europäischen Versandhandels insgesamt schadet, ist hoch.

Offensichtlich hat auch der europäische Gesetzgeber die Befürchtungen bereits gehört. Denn wie man vernehmen kann, soll eine Streichung des Artikels 22 a des Richtlinienentwurfs beantragt werden. Also viel Lärm um nichts? Man wird abwarten müssen.

RA Dr. Ulrich Becker, Frankfurt a. M.
 
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