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K&R 2012, 1
Leible, Stefan 

Der Schutz der Persönlichkeit im Internet

Es ist kaum dreißig Jahre her, dass Fragen des Datenschutzes zu heftigen politischen Auseinandersetzungen führten, die Massen zu Protesten auf die Straße trieben und eine Boykottbewegung auslösten. Zu einer (vorläufigen) Befriedung kam es erst mit dem berühmten Volkszählungsurteil des BVerfG vom 15. 12. 1983 und dem darin festgeschriebenen Recht auf "informationelle Selbstbestimmung": "Freie Entfaltung der Persönlichkeit", so das BVerfG, "setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist daher von dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen" (BVerfGE 65, 1).

Und heute? Staatliche Schnüffelwut wird immer noch als bedrohlich empfunden, wie zuletzt die kleine Schwester des Volkszählungsurteils, das Karlsruher Judikat zur Online-Durchsuchung deutlich gemacht hat, das den aktuellen technologischen Entwicklungen bei der Nutzung der Informationstechnik Rechnung trägt (BVerfGE 120, 274). Aber sonst? Furcht scheint man nur vor dem Staat zu haben. Ansonsten gibt die Internetgemeinde im Social Media-Zeitalter Daten preis, nach denen der Staat sich vor dreißig Jahren nicht einmal ansatzweise zu fragen getraut hätte. Datensammler sind freilich nicht öffentliche Institutionen, sondern Private. Denn Daten sind die Währung des Internet, das Gold unserer Tage. Ohne ihre Preisgabe wäre die (vermeintliche) Gratis-Kultur schnell am Ende und könnten Social Media-Konzerne keine milliardenschweren Börsengänge wagen.

Hinzu kommt ein Weiteres: Die Konzeption sowohl des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als auch seiner verschiedenen besonderen Ausprägungen einschließlich des Datenschutzes beruht auf der Dichotomie zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. Sie mag für die Massenmedien des 20. Jahrhunderts zutreffend gewesen sein und für diese auch heute immer noch gelten (was sich aufgrund der zunehmenden Konvergenz der Medien aber auch bestreiten lässt). Sie gerät jedoch seit dem Eintritt in das Informationszeitalter und insbesondere dem Aufkommen sozialer Netzwerke unter verstärkten Rechtfertigungsdruck. Denn das Web 2.0 hat zu einem deutlich geänderten Kommunikationsverhalten und damit zu einer veränderten Gefährdungslage geführt. In sozialen Netzwerken möchte man nicht alleine gelassen werden, sich nicht auf sein "right to be let alone" berufen, sondern ganz im Gegenteil auf sich aufmerksam machen. Soziale Netzwerke dienen einerseits der Pflege bestehender Freundschaften, werden aber andererseits zur Werbung in eigener Person und zum Ausbau des Freundeskreises benutzt. Zu diesem Zweck werden Informationen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, die gemeinhin den besonders schützenswerten Bereichen der Privat- oder sogar der Intimsphäre zugerechnet werden. Dies legt die Frage nahe, ob nach wie vor zwischen dem Leben im häuslichen Bereich sowie anderen Sachverhalten, die typischerweise privat bleiben, auf der einen und dem öffentlichen Leben auf der anderen Seite unterschieden werden kann oder diese Einordnung nicht deutlich stärker als bisher dem Einzelnen - etwa über das Instrument der Einwilligung - überlassen werden kann. Was aber wären die Voraussetzungen einer solchen Einwilligung und was die Folgen ihres Widerrufs? Gibt es z. B. ein Recht auf Rückzug aus der Öffentlichkeit? Muss das Internet das Vergessen lernen?

Soweit hier Autonomie gewährt wird, drängt sich zugleich die Frage nach deren Grenzen auf, sei es zum Schutz des Einzelnen vor sich selbst, sei es zum Schutz besonders gefährdeter bzw. rechtsgeschäftlich noch nicht voll oder sogar gar nicht geschäftsfähiger Personengruppen (Kinder und Jugendliche). Die verschiedenen verfassungsrechtlichen Verankerungen des Persönlichkeitsrechts auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene schließen möglicherweise sogar staatliche Schutzpflichten ein und entziehen damit Teile des Problemfelds der politischen Gestaltung.

Derlei Fragen gibt es viele. Sie sind Gegenstand einer Tagung, die diese Zeitschrift gemeinsam mit dem Bayreuther Arbeitskreis für Informationstechnologie - Neue Medien - Recht e. V. (kurz: @kit) am 21./22. 6. 2012 in Hamburg veranstaltet. Alle Leser der K&R sind herzlich zur Teilnahme eingeladen, um gemeinsam mit ausgewiesenen Experten des IT-Rechts über "Den Schutz der Persönlichkeit im Internet" zu diskutieren. Weitere Information finden sich auf der Homepage der K&R (http://www.kommunikationundrecht.de), die man ohnehin des Öfteren besuchen sollte.

Professor Dr. Stefan Leible, Bayreuth
 
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