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K&R 2020, I
Quiel 

Digitalisierung in der Verwaltung oder Datenschutzgrundrecht und informationelle Selbstbestimmung? – eine falsch formulierte Frage

Abbildung 1

Philipp Quiel, LL.M., Berlin

Der “Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Identifikationsnummer in der öffentlichen Verwaltung und zur Änderung weiterer Gesetze” des Bundesinnenministeriums hat für viel Aufsehen gesorgt. Bei Netzpolitik, Heise, Verfassungsblog, der ZEIT und in weiteren off- und online-Medien warnen zahlreiche Autoren vor Risiken bei der Verwendung der Steuer-ID als registerübergreifende Personenkennziffer. Die derzeit einzige öffentlich wahrnehmbare “Gegenstimme” ist wohl der Gesetzentwurf selbst, in dessen Zentrum die Verwendung der Steuer-ID steht, mithilfe derer ein “Identitätsmanagement” etabliert werden soll.

In der öffentlichen Debatte zum Gesetzentwurf scheinen zwei Personengruppen besonders sichtbar. Auf der einen Seite stehen solche, die sich eine Digitalisierung in der deutschen Verwaltung nahezu futuristisch automatisiert vorstellen und Grundrechte als Klotz am Bein des Fortschritts sehen. Auf der anderen Seite stehen Personen, die bei jeglicher Zusammenführung von Daten aus verschiedenen staatlichen Registern den totalen Überwachungsstaat mit gläsernen Bürgern fürchten. Hans Peter Bull schrieb vor kurzem für Verfassungsblog überraschend trefflich, dass “die Protagonisten beider Seiten […] nach wie vor im Grunde nicht [verstehen], was die jeweils anderen wollen”. Das stimmt wohl, denn es ist auch unter Beachtung von Grundrechten von Bürgerinnen und Bürgern möglich, technische und organisatorische Fortschritte in der Verwaltung zu realisieren. Das Eine muss nicht ohne das jeweils Andere geschehen. “Digitalisierung der Verwaltung” und “Grundrechte” – wie etwa das Recht auf Schutz personenbezogener Daten aus Art. 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und das deutsche Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 GG – stehen sich eigentlich naturgemäß niemals als Antagonisten gegenüber. Wenn überhaupt, dann müssen widerstrebende Rechte in einen Ausgleich gebracht werden.

Es überrascht auch nicht, dass die Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 GG vielfach als Argument gegen die Zulässigkeit des geplanten registerübergreifenden Identitätsmanagements herangezogen wird. Schließlich wurden schon im Mikrozensus-Beschluss und im Volkszählungsurteil Gefahren einer persönlichkeitsfeindlichen Registrierung und Katalogisierung des Einzelnen betont. Unter Beachtung der Rechtsprechung stellt man sich die Frage, ob Nutzen und Risiken eines registerübergreifenden Identitätsmanagements in einem angemessenen Verhältnis stehen. Leichtfertig sollte man bestehenden Gefahren jedenfalls nicht begegnen. Vor diesem Hintergrund verwundern die Passagen des Entwurfes, in denen geschrieben wird, dass die Bevölkerung zunehmend nicht bereit sei, beim Kontakt mit der Verwaltung immer wieder die gleichen Daten angeben zu müssen. Dies ist laut dem Entwurf unter anderem einer der zentralen Gründe für den Reformbedarf. Obwohl es bestimmt komfortabler wäre, Daten nicht wiederholt anzugeben, befremdet mich der Verweis auf eine scheinbar vorhandene mangelnde Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger.

So ist es doch eher die Verwaltung, welche durch die im Entwurf geregelte registerübergreifende einheitliche Kennung von Menschen ihr Verwaltungshandeln optimieren will und nicht der Wunsch der Bevölkerung, sich mit einer Personenkennziffer “auszuweisen”. Gerade die immer wieder öffentlich bekannt werdenden missbräuchlichen Datenzugriffe durch staatliche Stellen lassen mich dazu tendieren, einen anderen Reformbedarf zu erkennen: Datenabfragung sollten in Zukunft vor allem besser kontrolliert und Rechtsverstöße bestraft werden. Effektivere Vorkehrungen gegen Missbrauch sollten selbstverständlich sein. Für eine aus staatlicher Sicht bessere Nutzung von Daten in Registern gibt es in Österreich ein Modell, das auf sektorübergreifende Personenkennziffern verzichtet. Der deutsche Gesetzentwurf bezeichnet diese Lösung jedoch als rechtlich, technisch und organisatorisch zu komplex. Meine Ansicht ist, dass wir uns als Gesellschaft damit nicht zufriedengeben dürfen, dass etwas zu komplex ist, und deswegen nicht die einfache Lösung forcieren sollten. Es bedarf vielmehr eines interdisziplinären Austausches zur besseren Gestaltung der Verwaltung unter angemessener Würdigung des Datenschutzgrundrechts, der informationellen Selbstbestimmung und weiterer Grundrechte.

Philipp Quiel, LL.M., Berlin

 
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