Digitalisierung? Ja, bitte!
>RAin Dr. Grace Nacimiento, LL.M. (Emory)
Eine App der Verwaltung, die jeden Behördengang obsolet macht, in der Dokumente wie beispielsweise Ausweispapiere verwaltet, aktualisiert und jederzeit abgerufen werden können: Das ist Alltag in der seit acht Monaten von Krieg, Zerstörung und Leid erschütterten Ukraine. Dokumente für eine sechsköpfige Familie, die für unfassbar lange und komplizierte Papier-Anträge deutscher Behörden gebraucht werden, aber im Moment der Flucht zurückgeblieben sind? Ein Zugriff auf die App, Download der Dokumente, fertig. Ähnlich sieht es im Gesundheitsbereich aus. Impfnachweise für die Kinder, Diagnosen, Therapien zur Fortsetzung unterbrochener Behandlungen? Digitale Unterlagen werden innerhalb kürzester Zeit übersandt. Schulunterricht online und Bildungsteilhabe auch der Kinder, die gezwungenermaßen nicht im Land sind? Findet täglich statt. Das alles hat uns in kurzer Zeit eine geflüchtete Familie aus Kiew gelehrt.
Gewöhnt an – immerhin online buchbare – Behördentermine mit Wartezeiten, an Papierunterlagen aus Arztpraxen und Kliniken, an verzweifelte Schüler, Eltern und Lehrer vor allem im ersten Jahr der Pandemie staunt man nicht nur über diese digitalen Errungenschaften, sondern auch über die Selbstverständlichkeit, mit der die Digitalisierung in unterschiedlichen Bereichen – selbst oder gerade auch im bitteren Alltag eines Krieges – in anderen Ländern gelebt und genutzt wird.
Dass Deutschland leider nicht an der Spitze der Digitalisierung steht, weiß man an jeder Milchkanne. Dabei hat es in den letzten zwei Jahrzehnten an politischen Digitalisierungsoffensiven, -initiativen und -strategien sicher nicht gefehlt. Die jetzt verabschiedete Digitalstrategie der Bundesregierung ist als solche also alles andere als neu. Die Frage ist, ob sie halten wird, was die Vorgängerregierungen versprochen, aber nicht geschafft haben. Das reicht von einer flächendeckenden digitalen Infrastruktur – endlich für alle! – hin zu einer Digitalisierung zentraler Lebensbereiche, das Ganze begleitet von dynamischen und ehrgeizigen Zukunftsvisionen, die notwendiger Antriebsmotor eines jeden Digitalisierungsprozesses sind.
24 Handlungsfelder in 3 Lebensbereichen und 18 Leuchtturmprojekte der Bundesministerien, mit dieser Struktur präsentiert sich die Digitalstrategie der Bundesregierung. Vieles ist nicht neu, so die Kritik in der Öffentlichkeit. Das ist richtig, aber die erneut als “digitaler Aufbruch” präsentierten Themen und Aufgaben sind nun einmal noch nicht gelöst und müssen deswegen – vielleicht mit neuem Schwung und frischem Blick – angegangen werden. Die Bundesregierung will sich am Ende der Legislaturperiode in 2025 daran messen lassen, ob die in ihrer Strategie definierten Ziele erreicht sind.
Vernetzte Gesellschaft, innovative Wirtschaft und digitaler Staat sind als die drei übergreifenden Bereiche benannt, in denen die Digitalisierung vorangetrieben werden muss. Im Bereich “vernetzte Gesellschaft” fällt auf, dass an erster Stelle – man mag es eigentlich nicht mehr hören – der flächendeckende Ausbau hochleistungsfähiger mobiler und fester Infrastrukturen steht. Ländliche Gebiete leiden auch weiterhin unter fehlender oder mangelhafter Versorgung und werden wirtschaftlich und gesellschaftlich abgehängt. Das darf nicht sein. Dazu ist bereits genug geschrieben und gesagt, jetzt müssen endlich Lösungen umgesetzt werden. Bis 2030 sollen die in diesem Handlungsfeld definierten Ziele erreicht werden, also noch weitere 8 Jahre soll es dauern, in der Digitalisierung eine Ewigkeit. Das macht skeptisch. Dynamik und Geschwindigkeit der geplanten Maßnahmen und Leuchtturmprojekte hängen davon ab, dass die notwendigen digitalen Infrastrukturen vorhanden sind. Ob digitales Bildungsangebot, elektronische Patientenakten, Mobilitätssysteme oder Smart Cities, eine vernetzte Gesellschaft setzt, ebenso wie eine innovative Wirtschaft und ein digitaler Staat, voraus, dass es flächendeckende leistungsfähige Netze gibt. Das nicht mehr ganz so neue Telekommunikationsgesetz bietet eine Reihe rechtlicher Ansätze, den Glasfaserausbau voranzutreiben und wertvolle öffentliche Frequenzressourcen zum Ausbau flächendeckender mobiler Netze zielgerecht und effizient einzusetzen. Blickt man in die Zukunft, fällt auf, dass die Digitalstrategie ein hochinnovatives Handlungsfeld auslässt, den des New Space. In diesem Bereich liegen Chancen für die Digitalisierung, die nicht zu unterschätzen sind, ob für Datenökonomie, Landwirtschaft oder Klimaschutz und vieles mehr.
RAin Dr. Grace Nacimiento, LL.M. (Emory)*
* | Partnerin GvW Graf von Westphalen, Düsseldorf; berät seit mehr als 20 Jahren Unternehmen in der Telekommunikations-, Medien- und Technologiebranche; Ständige Mitarbeiterin der K&R. |