Für ein Mediengrundrecht
In der Frühzeit des Rundfunks war Bertolt Brecht ein Kritiker des Radios. "Man hatte plötzlich die Möglichkeit, allen alles zu sagen, aber man hatte, wenn man es sich überlegte, nichts zu sagen." Um dem abzuhelfen, wünschte sich Brecht in seiner Radiotheorie so etwas wie ein soziales Netzwerk. Er wollte, dass das Radio senden, aber auch empfangen kann, um den Austausch der Menschen zu ermöglichen.
Heute sind die Geister, die Brecht einst rief, in fast jedermanns Handfläche zu Hause. Handys können Fernsehen, Radio, Presse, Spiele und Information in fast jeglicher Form empfangen und senden. Sie erklären uns die Welt und viele schenken diesen Erklärungen Glauben und Vertrauen. Aber nicht jeder, der Texte bloggt und selbstgedrehte Videos in die Welt sendet, hat etwas zu sagen. Im Gegenteil deutet so manches, was getwittert wird, eher auf kommunikative Inkontinenz hin. Ein ganz anderes Problem ist es, dass Informationen im Netz gefährlich sein können. Dies gilt etwa dann, wenn sie nicht stimmen oder diffamieren.
Das Grundgesetz trägt diesen Gefahren Rechnung, freilich auf dem technischen Stand von 1949. Es sieht ein Sonderregime für den Rundfunk vor. Wer Radio oder Fernsehen veranstalten möchte, braucht eine Lizenz. Der Grund für dieses grundrechtseinschränkende Sonderregime ist für das BVerfG bis heute insbesondere die besondere Suggestivkraft und Breitenwirkung des Rundfunks. Die besonderen Einschränkungen, etwa der Lizenzierung, gelten aber nur für das klassische Fernsehen. Aber was unterscheidet eine Gewaltdarstellung im Hinblick auf Aktualität, Suggestivkraft und Breitenwirkung dort von einer solchen bei YouTube? Inhaltlich nichts, aber die Rezeption ist anders. Der Umgang mit diesem Angebot ist oft unbedarft. Kinder sind am Computer häufig unbeobachteter als am Fernseher und Jugendschutz versagt faktisch. Für Netzangebote ist keine Lizenz erforderlich. Der Algorithmus der größten Suchmaschine hat aus Spekulationen über die Zugehörigkeit einer Präsidentengattin zum Rotlichtmilieu im Netz ein in allen Medien diskutiertes Phänomen gemacht. Für das Erstellen und Verwenden eines Algorithmus gibt es keine rechtlichen Regeln. Wer steht dafür gerade, wenn ehrabschneidende Spekulationen an den Haaren herbeigezogen sind? Diese Frage stellt sich vor allem vor dem Hintergrund, dass Inhalte mit den Mechanismen des Netzes viral und damit breit gestreut werden, so dass Reichweite und Zugang hier wie dort vergleichbar sind. Als Telemedienangebote und Providerverantwortung hierzulande und in Europa geregelt wurden, ging man davon aus, dass Provider aus inhaltlicher Sicht eher ungefährlich sind und deshalb privilegiert werden müssen. Stimmt das angesichts des "Eigenlebens" von Algorithmen noch und drängt sich die Frage nach der Verantwortung der Folgen ihres Wirkens nicht auf?
Das Grundgesetz sagt zu alldem nichts. Es differenziert in seinem Schutz für die mediale Verbreitung von Meinungen zwischen Rundfunk, Presse und Film. Es kennt die Erscheinungsformen des Internets nicht. Telemedien, elektronische Presse oder gar die unregu-lierte Meinungsrelevanz von Suchmaschinen nimmt es nicht in Bezug. Brauchen wir angesichts dessen "Ein Grundrecht für die Medienfreiheit - Gleiches Recht für alle?". Diese Frage wurde im Februar 2013 auf dem 6. Kölner Mediensymposium der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht an der Fachhochschule Köln erörtert. Die Beiträge zu dieser Veranstaltung finden sich in der Beilage zu diesem Heft. Der Tenor lautet: Die Medienrechtsordnung ist komplex und die Technik treibt den Gesetzgeber vor sich her. Veränderung tut Not. Dabei gilt es dem Druck nach wohlfeiler schneller Veränderung standzuhalten. Man darf den Unrechtssatz "Technik schlägt Recht" nicht mit einem Pfeiler der freiheitlichen Wertordnung verwechseln. Gerade in Zeiten von Internet und konvergenten Medien ist eine angemessene Regulierung des Internets unverzichtbar, um das freie Spiel zwischen Gut und Böse dort nicht sich selbst zu überlassen. Die Frage nach dem Wie ist entscheidend. Der Regulierungsgegenstand ist so dynamisch, dass selbst das Recht von Übermorgen heute schon als veraltet erscheint und die Rahmenbedingungen der Regulierung etwa aufgrund nicht transparenter Geschäftsinteressen, einer Vielzahl unterschiedlicher nationaler Rechtsordnungen und einer rasanten Entwicklung der Technik unberechenbar scheinen. Ein neues Mediengrundrecht müsste diesen Herausforderungen standhalten.