R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
Logo ruw-online
Logo ruw-online
Suchmodus: genau  
 
 
K&R 2013, 1
Schütze, Marc 

Netzneutralität - Aktuelle Debatte auch Ergebnis einer unzureichenden Vorleistungspolitik

Bei der Vereinbarung zu diesem Editorial war nicht abzusehen, welchen "Shitstorm" und Aktionismus die Ankündigung der Telekom Deutschland GmbH (TDG) mit ihren Volumentarifen und der geplanten Privilegierung von T-Entertain und anderen "managed services" hervorrufen würde. Ein bis dato wohl einmaliger Vorgang, dass auf eine bloße Ankündigung (ab 2016!) die gesamte Politik, die Behörden und die EU-Kommission reagieren, zudem seit 2010 eine überparteiliche Enquete-Kommission beim Bundestag besteht. Zusätzlich möchte das BMWi kurzfristig eine Verordnung nach § 41 a TKG zur Netzneutralität erlassen - "noch vor der Bundestagswahl". Ist diese starke Resonanz gerechtfertigt oder wird nur ein Aktionismus initiiert, um die Wähler von eigenen Defiziten rund um die Breitbandbereitstellung abzulenken, die weit hinter den Zielen des Koalitionsvertrags von 2009 hinterherhinkt? Eine Debatte insbesondere über die "Spielregeln" des Internet ist notwendig, aber Schnellschüsse in dieser komplexen Materie sind zu vermeiden. Man sollte die unzähligen Probleme und Einflüsse auf die verschiedenen Wettbewerbsmodelle und auch die Abhängigkeit von den Vorleistungsbedingungen erst eruieren, bevor einmal mehr punktuell in den Markt eingegriffen wird. Vermutlich würde eine Vielzahl der Fragen zur Netzneutralität erledigt, würden weder der Zugang zu den wesentlichen TK-Vorleistungen für die Wettbewerber behindert noch die strenge Ex-ante-TK-Regulierung durch die Politik zusammengeschrumpft. Auf eine hochkomplexe und bürokratische Netzneutralitätsregulierung des Staates könnte weitgehend verzichtet werden, wenn der Wettbewerb dem Kunden die ausreichenden und transparenten Wahlmöglichkeiten lässt. Voraussetzung hierfür wäre aber ein klares Bekenntnis der Politik zur Fortführung der strengen Vorleistungsregulierung statt einer kurzfristigen Ausrichtung auf eine zentralistische Regulierung einzelner ad hoc Probleme durch einen EU-Superregulierer aus Brüssel, auf den die TK-Politik unter der Ägide von Kommissarin Kroes zuläuft. Schaut man auf die bestehende Netzlandschaft, sind sowohl Volumentarife im Mobil- und Festnetz als auch bestimmte Privilegierungen bereits heute Standard, ebenso werden Businesskunden und Privatkunden unterschiedlich behandelt, weil sie andere Durchschnittsvolumina nutzen. Auch werden Geschwindigkeitsklassen unterschiedlich bepreist. Trotzdem gab es bei Einführung dieser unterschiedlichen Tarife - zu Recht - keinen derartigen Aufschrei. Es ist ein Grundgesetz der Marktwirtschaft, dass verschiedene Leistungen unterschiedlich bepreist werden. Auch die kritisierten Privilegierungen sind sowohl im Festnetz als auch im Mobilfunk Standard, andernfalls könnte bei einem parallelen Telefonat und Fernsehempfang über einen IP-Anschluss die Sprachverbindung bei "best effort" abbrechen. Generell gilt: Ohne managed services würden die Netze wegen Überlastung zusammenbrechen. Weshalb nun diese Eile in der notwendigen Debatte über die "Spielregeln"? In einer funktionierenden Wettbewerbslandschaft würden sich Volumentarife an den Vorleistungskosten orientieren. Volumentarife bekommen erst dann ein "Geschmäckle", wenn sie sich von den Vorleistungskosten entfernen, was nur ein funktionierender Wettbewerb verhindert.

Bei einer zugespitzten Betrachtung stehen sich jedoch in der aktuellen Debatte zwei Lager gegenüber: die einen, die den Netzzugang als Grundrecht sehen und für die der allumfassende Netzzugang kostenlos sein muss - eigentlich liefe das auf das alte Staatsmonopol zurück, entweder bezahlt durch Steuergelder oder durch eine Universaldiensteverpflichtung, die die Kosten auf die Branche überwälzt. Demgegenüber steht der Ansatz, dass der Anbieter sowohl seine Leistung als auch seine Preise frei bestimmen darf. Dieser übersieht jedoch, dass die TK-Netze immer bestimmte Bottlenecks haben und nicht zu erwarten ist, dass wesentliche Vorleistungen freiwillig und erst recht nicht kostenorientiert bereitgestellt werden. Wie immer besteht der richtige Ansatz in der Mitte. Die mit dem Begriff der Netzneutralität zusammenhängenden Fragestellungen lassen sich in kein Schwarz-Weiß-Schema drücken. Richtiger Ansatz wäre zunächst eine unkomplizierte Beihilfepolitik, um einen zügigen Ausbau der Breitbandnetze und des Wettbewerbs voranzubringen, flankiert durch eine strenge Vorleistungsregulierung. Derzeit wird die Beihilfepolitik und strenge Vorleistungsregulierung jedoch durch eine Anreizpolitik für die paneuropäischen TK-Incumbents abgelöst ("Paradigmenwechsel"). Derartige Oligopolisten können dann Volumentarife jenseits von Vorleistungskosten anbieten. Der ehemalige Monopolist verdrängt die Wettbewerber aus der Infrastruktur und erhöht seine eigene Wertschöpfung, vgl. die sog. Vectoring-Entscheidung, die den Netzausbau der TDG zu Lasten der Investitionen und Infrastruktur der meist kleineren Wettbewerber ermöglicht. Das erfolgreiche europäische Regulierungsmodell der strengen Vorleistungsregulierung wird aktuell durch das US-amerikanische Modell abgelöst, das nicht auf Vorleistungsregulierung, sondern ganz auf das Dyopol von klassischem Festnetz und Kabel setzt, mit doppelt so hohen Endkundenpreisen wie in Deutschland. In der Folge werden notwendigerweise kleinere, nationale Wettbewerber aus dem Markt verdrängt und paneuropäische TK-Giganten den Markt unter sich aufteilen. Verzichtet die Politik auf eine umfassende Vorleistungsregulierung, wird sie immer häufiger direkte Endkunden(preis)regulierungen vornehmen müssen, d. h. Debatten wie die um Volumentarife der TDG hat die Politik durch die verfehlte Vorleistungsregulierung wie die Vectoringentscheidung selbst produziert. Anders als Berlin und Brüssel durch ihren Aktionismus verheißen, wird der Endkunde dabei mit Sicherheit verlieren.

RA Dr. Marc Schütze, Düsseldorf
 
stats