R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
Logo ruw-online
Logo ruw-online
Suchmodus: genau  
 
 
K&R 2011, 1
Ory, Stephan 

Nur die Tagesschau wäre ein bisschen wenig

Nach einem Jahr medienpolitischem Vorlauf ist sie da, die Tagesschau-App. 750 000 Downloads zwischen Weihnachten und den ersten Tagen des neuen Jahres 2011, so vermeldet die ARD. Nutzer-Rezensionen im App-Store verteilen kräftig zustimmende Sternchen "endlich eine gescheite vollwertige Nachrichten-App" findet DJalexXxZ, "bisher Stern-App-Nutzer". Solche Einträge sind Momentaufnahmen und von repräsentativen empirischen Ergebnissen weit entfernt. Doch in die Richtung scheint es schon zu gehen.

Kein Wunder, die App ist hervorragend programmiert. Sie geht bei den Features und der Bedienerführung weit über die Radio-Apps hinaus, die Private und ARD schon sehr früh im App-Store hatten. Die Nachrichten irgendwo irgendwann anzusehen, ist ungemein praktisch. Das gab es zwar seit Podcast-Zeiten, nur eben nicht so komfortabel wie nun in der App.

Allerdings: Nur die Tagesschau macht gefühlt zehn Prozent der App aus. Man kann mit der App - gebunden an den Sendeplan der ARD - die einzelnen Ausgaben über das Internet live sehen. Man hat Zugriff auf die 100-Sekunden. Und man erhält die 20:15-Ausgabe in ihre Einzelteile segmentiert. Wer den Aufmacher nicht mag und nur das Thema drei und das Wetter sehen möchte, klickt eben nur diese beiden Themen an. Klasse, aber recht schnell langweilig und man merkt, dass so eine Tagesschau im Vergleich zu einer regionalen und erst recht einer der großen überregionalen Tageszeitungen ein recht mageres Informationsangebot ist. Wäre es tatsächlich nur die App der Tagesschau, wäre das nett aber noch kein Hype. Die Integration vieler anderer Themen, das Aufbrechen in Ressorts bis hinunter in eine Regionalisierung sowie die Einbindung von Radio-Beiträgen macht aus der App ein superbes Angebot.

Genau das markiert den rundfunkrechtlich relevanten Wandel. Rundfunkmäßige Nachrichtengebung ist klassischerweise knapp. Agenda-Setting oder Spotlight-Effekt genannt. Die Hintergründe und Analysen waren das Terrain der Presse. In diese Funktion drängt der öffentlich-rechtliche Rundfunk hinein - im Internet, aus dem die App ja nur die Inhalte einsammelt. Die App macht schlagartig klar, dass die Online-Aktivität nicht eine Sicherung des bisherigen Bestandes des klassischen Rundfunks ist oder die Teilhabe an einer technischen Entwicklung. Es geht um einen Online-"Funk" mit einer ganz anderen Medium- und Faktor-Rolle. Und es geht um die Gefahr, andere Medien in diesem Umfeld zu marginalisieren. Es geht darum, ob ein Medium mit einem "Finanzgewährleistungsanspruch gegenüber dem Staat" die übrigen Medienangebote ökonomisch erdrückt und so am Ende zu weniger Vielfalt im Netz und angesichts der raschen Änderung von Nutzungsgewohnheiten auch in den angestammten Print-Märkten führt. Es geht am Ende also darum, ob das Zusammentreffen der Mediengattungen im Internet und auf der Konvergenzmaschine iPhone nach den speziellen Regeln der Anstalten oder nach ausgewogenen Regeln für alle Beteiligten stattfindet.

Das Gegenteil wird von Teilen der Rechtswissenschaft vorgenommen, beispielhaft in dem Gutachten für die Gremienvorsitzendenkonferenz der ARD zur Abgrenzung der Rundfunk- und Pressefreiheit und zum Verbot nicht sendungsbezogener presseähnlicher Angebote der Anstalten. Dort wird - soweit noch zutreffend - die verfassungsrechtliche Rundfunkfreiheit auf die unkörperliche Übermittlung redaktioneller Inhalte an die Allgemeinheit bezogen. Online-Medien fallen in den Schutzbereich der Rundfunkfreiheit. Der Schutz wird allerdings zur Last, wenn die praktische Konsequenz einzig aus den Finanz-, Entwicklungs- und Bestandsgarantien des Anstaltsfunks beschrieben wird: "Der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter erhält ... einen neuen Schwerpunkt: Ihre Aufgabe ist es nicht mehr nur, im Rahmen der Grundversorgung überhaupt ein Programm, das der Meinungsbildung in der Demokratie dient, in einer objektiven, binnenpluralen Form zu übertragen, sondern gerade die Informationsquelle zu sein, die Gewähr für Objektivität und Binnenpluralität bietet, weil sie weder dem Staat noch einer gesellschaftlichen Gruppe noch den Anzeigen- und Werbekunden ausgeliefert ist." Begebe sich die Presse ins Internet, dann sei sie auf dem Gebiet des Rundfunks unterwegs. Eine privilegierte Position gegenüber anderen Anbietern, etwa aus der Erwägung heraus, es bedürfe einer Kompensation für den Bedeutungsverlust der klassischen Presse, verneint das Gutachten. Letztlich befinde sich die Presse in derselben Situation, die private Rundfunkanbieter vorfinden, die im klassischen Rundfunk mit den öffentlich-rechtlichen Sendern konkurrieren.

Diese Argumente überzeugen nicht. Das Internet ist nicht Rundfunk mit anderen Mitteln. Hier findet die Konvergenz von Rundfunk und Presse statt, die auf neue Konkurrenten treffen. Auch im Schutzbereich der Rundfunkfreiheit muss ein Ausgleich der Positionen aller Beteiligten der konvergenten Medien erfolgen. Die Grundversorgung zum Beispiel hatte innerhalb des dualen Rundfunks auf der einfachgesetzlichen Ebene den Vorrang der Anstalten und die Möglichkeit geringerer Anforderungen an die Privaten beim klassischen Rundfunk begründet. Auf die journalistisch-redaktionellen Telemedien ist das nicht unbesehen zu übertragen.

Professor Dr. Stephan Ory, Püttlingen
 
stats