Pressefreiheit als Fall für drei?
In den letzten 10 Jahren ergingen 53 Entscheidungen des BGH mit Relevanz für die Pressefreiheit, vor allem zu Fragen der Bild- oder Wortberichterstattung. Dabei sind sowohl wettbewerbsrechtlich geprägte Entscheidungen als auch solche zur Abgrenzung von Rundfunk und Presse nicht mitgezählt. An 31 Entscheidungen – also an rund 60 Prozent – waren erkennbar nur drei Verlage beteiligt: der Axel Springer-Verlag (15 Entscheidungen), der Spiegel-Verlag (7 Entscheidungen) und der Burda-Verlag (9 Entscheidungen). Es folgt der Bauer-Verlag (3 Entscheidungen). Dagegen spielen die Entscheidungen mit Beteiligung anderer Verlage quantitativ keine Rolle.
Unabhängig davon wie man Entscheidungen mit Relevanz für die Pressefreiheit konkret abgrenzt: Einzig drei Unternehmen kommt eine deutliche Dominanz bei der Fortschreibung der kasuistisch geprägten Pressefreiheit zu – zumal diese häufig selbst Revision einlegten. Bei anderen Verlagen ist ein gleichermaßen starkes Engagement nicht erkennbar. Das gilt tendenziell auch für vor dem BVerfG erstrittene Entscheidungen. Hier entfielen seit 2008 insgesamt 14 von 36 Entscheidungen zur Ausgestaltung der Pressefreiheit auf drei Verlage: den Axel Springer-Verlag (6 Entscheidungen), den Spiegel-Verlag (5 Entscheidungen) und den Klambt-Verlag (3 Entscheidungen). Und das trotz der sehr niedrigen Annahmequoten bei Verfassungsbeschwerden von unter drei Prozent. Alle weiteren Verlagen lassen sich allein ein oder zwei Entscheidungen zuordnen.
Gewiss haben der Axel Springer-, der Spiegel- und der Burda-Verlag ein vergleichsweise hohes Fallaufkommen: Der Spiegel recherchiert investigativ. Für von einer Berichterstattung Betroffene steht häufig viel auf dem Spiel. Die Bild-Zeitung des Axel Springer-Verlags sowie die Zeitschriften des Burda-Verlags sind bekannt für ihre boulevardeske Berichterstattung, gerade über klagefreudige Prominente. Jeweils besteht ein gesteigertes Prozessrisiko. Die Dominanz von allein drei Verlagen lässt sich hiermit aber nicht hinreichend erklären. Schließlich gibt es genügend weitere Boulevard-Zeitungen und -Magazine. Und auch andere Medien recherchieren investigativ.
Grund für die Dominanz von allein drei Verlagen dürfte vielmehr sein, dass dort noch die finanziellen und personellen Ressourcen für kostenintensive Gerichtsverfahren zur Verfügung gestellt werden. Diese Ökonomie der Pressefreiheit gilt im Übrigen grundsätzlich auch für Abmahnungen: Unterlassungsbegehren soll bisweilen nachgekommen werden, wenn gleichzeitig die Kostennote entfällt.
Hinzu kommt offenbar eine geringe Bereitschaft von Verlagen, Grundsatzentscheidungen, zu erwirken. Und das aus gutem Grund: Der Ausgang vieler Verfahren ist für einzelne Verlagshäuser von geringem wirtschaftlichen Interesse. Oftmals handelt es sich allein um abwägungsbezogene Feinjustierungen des Presserechts. Sie sind – selbst wenn für die Entwicklung der Pressefreiheit relevant – wirtschaftlich kaum von Bedeutung. Andere Verlage dürften dagegen nachteilige Entscheidungen der unteren Instanzen nicht selten aus wirtschaftlichen Gründen akzeptieren. Auch von freien Journalisten vor dem BGH oder dem BVerfG erstrittene Entscheidungen bilden sicher wegen des Kostenrisikos die große Ausnahme; selbst wenn Verbände wie der DJV bereit sind, Musterverfahren zu unterstützen.
Dieses ökonomische Kalkül ist für die Entwicklung der Pressefreiheit nachteilig. Und der “fliegende Gerichtsstand” – also die freie Wahl des örtlich zuständigen Gerichts in äußerungsrechtlichen Konflikten (dazu Jürgens, NJW 2014, 3061 ff.; kritisch dazu Dölling, NJW 2015, 124 ff.) – verstärkt diese Wirkung. Die meisten presserechtlich relevanten Verfahren werden bekanntermaßen vor den Pressekammern in Berlin, Hamburg und Köln anhängig gemacht. Diese besitzen gemeinhin den Ruf, Abwägungsentscheidungen zwar meist vertretbar, aber tendenziell zugunsten des Persönlichkeitsrechts vorzunehmen. Erst- und zweitinstanzliche Entscheidungen werden selbst beim Unterliegen der Verlage häufig rechtskräftig, selbst wenn ihnen grundsätzliche Bedeutung zukommt. Demgegenüber akzentuieren die höheren Instanzen die Bedeutung einer freien Berichterstattung erfahrungsgemäß stärker. Damit dürften die Gewinnchancen also vor BGH und BVerfG – statistisch gesehen – steigen.
Abhilfe könnte schaffen, dass sich Verlage untereinander besser koordinieren, für die Fortschreibung der Pressefreiheit geeignete, also musterhafte Verfahren möglichst vor das BVerfG, BGH oder BVerwG zu bringen. Auch an eine Intensivierung der Prozesskostenhilfe durch die zuständigen Verbände, unabhängige NGOs oder Stiftungen ließe sich denken – sowohl zugunsten einzelner gerade kleinerer Verlage sowie freier Journalisten. Dann bliebe die Fortschreibung der Pressefreiheit womöglich nicht mehr bloß ein Fall für drei Verlage, wovon wiederum alle Medienschaffenden profitierten.
Prof. Dr. Tobias Gostomzyk, Dortmund